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Luft raus? Junge Europäer haben ein distanziertes Verhältnis zur EU, wie eine Studie belegt.

© Jörg Carstensen/dpa

Befragung in sieben Ländern: Junge Europäer auf Distanz zur EU

Eine aktuelle Studie belegt, dass junge Europäer die EU vor allem als Wirtschaftsbündnis und nicht als Wertegemeinschaft sehen. Außerdem haben sie Probleme mit der Demokratie.

Ein Schulterschluss auf der Basis gemeinsamer Kultur, religiöser Herkunft und politischer Grundüberzeugungen? Ach was. Aus der Sicht einer klaren Mehrheit von jungen Europäern dient die EU schlicht der Durchsetzung ökonomischer Ziele. 76 Prozent der 16- bis 26-Jährigen verstehen die Union in erster Linie gänzlich unidealistisch als Wirtschaftsbündnis.

Mehr als ein Drittel möchte, dass die EU wieder mehr Macht an die nationalen Regierungen zurückgibt. Jeder Fünfte wünscht sich den Austritt seines Landes. Und fast die Hälfte der jungen Menschen in den europäischen Kernländern zweifelt auch an der Demokratie als beste aller Staatsformen.

6000 junge Menschen befragt

Das sind die ernüchternden Ergebnisse einer Europäischen Jugendstudie, die das Meinungsforschungsinstitut YouGov im Auftrag der TUI-Stiftung erstellt hat. Befragt wurden dafür 6000 junge Menschen aus Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien, Großbritannien, Polen und Griechenland.

Dass von diesen nicht mal mehr jeder Dritte die Europäische Union als Wertebündnis begreift, werteten die Auftraggeber bei der Präsentation der Befragungsergebnisse als beunruhigend. „Ein Europa, dessen Wert vor allem in den Vorteilen des Binnenmarkts gesehen wird, droht austauschbar und beliebig zu werden“, warnte der Vorsitzende des Stiftungskuratoriums, Thomas Ellerbeck, bei der Präsentation der Online-Befragungsergebnisse am Donnerstag in Berlin. Er nannte es eine Herausforderung für Politiker und andere gesellschaftliche Akteure, dieses „großartige Projekt“ wieder besser zu erklären. Die „wertebasierten Bindekräfte“ Europas seien offenbar nicht mehr selbstverständlich.

Nur sieben Prozent nennen christliche Kultur als zentralen Wert

Tatsächlich rangieren Religion und christliche Kultur nur bei sieben Prozent der jungen Menschen als zentraler Wert der EU. Die offenen Grenzen, zwischen denen sich frei reisen, umziehen und arbeiten lässt, würdigen dagegen 70 Prozent der Befragten. 63 Prozent bezeichnen die Friedenssicherung, 57 Prozent die gemeinsame Währung als Kern des Ganzen.

Am nächsten stehen der EU interessanterweise die jungen Spanier – trotz hoher Jugendarbeitslosigkeit und schwieriger ökonomischer Lage. Bei der Frage, ob sie bei einem Referendum für den Verbleib in der Union stimmen würden, antworteten 73 Prozent mit Ja. Bei den Griechen, die in ähnlicher Situation leben, ist das anders, hier zweifelt knapp die Hälfte an der EU-Mitgliedschaft. In Polen, Italien, Frankreich und Großbritannien liegt die Zustimmungsrate zwischen 58 und 61, in Deutschland bei 69 Prozent.

21 Prozent wollen den EU-Austritt ihres Landes

Klar für den Austritt ihrer Länder sprechen sich 21 Prozent aller Befragten aus. In Griechenland sind es 31, in Polen 22 und in Frankreich 19 Prozent. Deutschland und Spanien kommen auf zwölf Prozent.

Bei der EU-Skepsis spiele offenbar nicht nur der ökonomische Faktor, sondern auch die kulturelle und nationale Identität eine wesentliche Rolle, erklärte Marcus Spittler vom Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin (WZB) die Diskrepanzen. Hinzu kommt, dass 72 Prozent der jungen Griechen die Wirtschaftskrise für noch nicht beendet halten. In Spanien sind das lediglich 47, in Deutschland gar nur 21 Prozent.

Was die eigenen ökonomischen Aussichten betrifft, gehen die Einschätzungen jedenfalls weit auseinander. Während 82 Prozent der Griechen damit rechnen, einmal schlechter dazustehen als ihre Eltern, glauben das in Polen nur 27 und in Deutschland lediglich 33 Prozent. Insgesamt rechnet nur jeder vierte junge Europäer mit einem höheren Lebensstandard als in der Vorgänger-Generation.

Bei der Frage, was sie an der EU vor allem stört, verweisen die meisten Befragten auf das Fehlen konkreter Ziele und Handlungsspielräume. Offenbar empfinden sie die EU eher als trägen Verwaltungsapparat denn als gestalt- und veränderbare Gewinngemeinschaft.

Mehr Macht für nationale Regierungen

Entsprechend wünscht sich eine Mehrheit, dass die nationalen Regierungen wieder mehr Macht rückübertragen bekommen. Besonders verbreitet ist diese Forderung unter jungen Griechen (60 Prozent) und Briten (44 Prozent). In Deutschland will das nur jeder Vierte, 36 Prozent präferieren den bisherigen Status quo. Allerdings wollen auch hierzulande nur 16 Prozent, dass die EU noch mehr Macht erhält.

Für den WZB-Forscher Spittler verweisen die Befragungsergebnisse auf ein generelles Dilemma der EU. Einerseits wolle man darin Mitglied bleiben, andererseits dränge man auf Kompetenzbeschneidung. Und verlange gleichzeitig für sich selber und gegenüber den anderen mehr Mitsprachemöglichkeiten. Für spezielle „Jugendschelte“ tauge die Studie insofern nicht. Die Befragten präsentierten sich vielmehr als „kritische Europäer“, so der Wissenschaftler. „Ihre Zufriedenheit mit der EU ist begrenzt, sie basiert auf keinem gemeinsamen Wertegerüst“.

48 Prozent sehen in der Demokratie nicht die beste Regierungsform

Schwieriger zu erklären und zu rechtfertigen ist die erhebliche Demokratieskepsis unter den jungen Europäern: 48 Prozent der Befragten bezweifeln, dass es sich dabei um die beste Staats- und Regierungsform handelt. In Griechenland kommen die Demokratie-Freunde zwar auf 66 und in Deutschland auf 62 Prozent. Von den Italienern sind davon allerdings lediglich 45, von den Franzosen und Polen sogar nur 42 Prozent überzeugt.

Wobei die Frage nach Alternativen sehr unterschiedlich beantwortet wurde: Während die Skeptiker in Polen als Regierende am ehesten nicht-demokratisch ernannte Experten bevorzugen würden, tendieren die jungen Franzosen zu mehr direkter Demokratie mit Volksentscheiden. In Spanien und Großbritannien wiederum stoßen auch Sozialismus und Kommunismus bei den Jungen auf hohe Zustimmungswerte.

Junge Polen wollen keine Flüchtlinge

Auffällig ist in der Studie aber noch ein weiterer Wert. Bei der Frage, ob man Flüchtlinge aufnehmen sollte, die berechtigt um Asyl ersuchen, scheren die jungen Polen gewaltig aus. Jeder Zweite antwortet hierauf rigoros mit einem Nein. In den anderen sechs EU-Ländern liegt die Ablehnungsquote nur bei 13 bis 25 Prozent.

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