zum Hauptinhalt
Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Regierungsbefragung am Mittwoch im Deutschen Bundestag.

© John Macdougall/AFP

Befragung der Kanzlerin: "Als Physikerin geht es mir bei den Zahlen wirklich um die Wahrheit"

Angela Merkel stellt sich den Fragen der Abgeordneten. Die Stimmung im Bundestag ist verhalten und sachlich - bis die Kanzlerin AfD und Linke attackiert.

Zum zweiten Mal hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel im Bundestag den Fragen der Abgeordneten gestellt. Das für Deutschland neue Format war im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD festgeschrieben worden und hatte im Juni Premiere gefeiert.

Auch diesmal stellte sich Merkel eine Stunde lang den Fragen der Parlamentarier. Die Befragung begann mit einem kurzen Eingangsstatement, in dem Merkel auf die Beschlüsse des G20-Gipfels in Buenos Aires einging. Sie lobte Argentinien als guten Gastgeber und zeigte sich zufrieden, dass es gelungen ist, ein gemeinsames Abschluss-Kommuniqué zu verabschieden. Auch dass es eine Erklärung zum Klimaschutz gegeben habe - wenn auch ohne die USA - sei ein Erfolg, ebenso wie die Entschlüsse zur Reform des multilateralen Handelssystems. Die Verhandlungen seien "extrem schwierig und extrem lang" gewesen, somit gebe ihr das Ergebnis ein "gewisses Maß an Zufriedenheit", so die Bundeskanzlerin.

Außerdem warf sie einen Blick auf den morgen beginnenden EU-Gipfel in Brüssel. Mit Blick auf die andauernde Regierungskrise in Großbritannien sagte sie, die 27 EU-Länder hätten "nicht die Absicht, das Austrittsabkommen zu verändern". Weitere Themen des Gipfels seien die Reform der Wirtschafts- und Währungsunion - genauer die Vollendung der Bankenunion, das Eurozonen-Budget sowie die Entwicklung des Euro-Rettungsfonds ESM in Richtung eines europäischen Währungsfonds.

Nach dem fünfminütigen Eingangs-Statement der Kanzlerin begann die eigentliche Befragung. Im Gegensatz zur ersten Ausgabe im Juni hatten die Fragesteller diesmal die Möglichkeit, Nachfragen zu stellen, was besonders die Oppositionsabgeordneten konsequent nutzten. Themen der einstündigen Befragung waren dabei der Brexit, der Handelskonflikt mit den USA, der syrische Bürgerkrieg, die Tarifbindung im Einzelhandel und viele weitere Themen mehr. Merkel antwortete auf die meisten Fragen besonnen, ruhig und in großer Detailtiefe.

Seltsam verhaltene Stimmung im Bundestag

Trotz des etwas lebendigeren Formats aus Fragen und Antworten war die Stimmung im Bundestag seltsam verhalten. So gab es kaum Applaus - weder wurden die Fragenden von ihren Fraktionen unterstützt, noch applaudierten die Regierungsfraktionen ihrer Kanzlerin. Bei jeder "normalen" Bundestagsdebatte - und erst recht bei einer Regierungserklärung der Kanzlerin - ist deutlich mehr los im Hohen Haus.

So wurde es nur zweimal etwas lebhafter: So, als der Linken-Abgeordnete Fabio De Masi auf die Bewegung der "Gelbwesten" in Frankreich und ihren Kampf für mehr soziale Gerechtigkeit zu sprechen kam. In diesem Zusammenhang wollte De Masi wissen, warum die Regierung sich mit Frankreich mit einer Steuer auf Aktiengewinne zufriedengebe - wo der frühere Finanzminister Schäuble doch gesagt habe, eine Steuer nur auf Aktienverkäufe sei angesichts der Schwemme an weiteren Finanzpapieren Unsinn.

Darauf Merkel: "Ich widerspreche nicht meinem früheren Finanzminister." Aber mehr sei im Augenblick in der Europäischen Union nicht mehrheitsfähig. "Das müssen auch sie mal zur Kenntnis nehmen", so Merkel - und fuhr fort: Im übrigen sei es skandalös, dass De Masi kein Wort zur Gewalt der Gelbwesten verliere. Der Rest ihrer Antwort ging im Applaus der Abgeordneten unter.

Daraufhin nutzte De Masi das neue Instrument der Nachfrage und verwies auf die Erklärung seiner Fraktion zu den "Gelbwesten", in der deren Gewalt verurteilt werde. Aber sofort ging Merkel wieder dazwischen: Die Erklärung kenne sie ganz genau, sie habe sie im Internet gelesen - und hält sie offenbar für nicht ausreichend.

Gelächter, Applaus, nächste Frage

De Masi aber lässt nicht locker und fragt erneut nach den deutsch-französischen Steuerplänen. Er zitiert den bayerischen Ministerpräsidenten Söder, der ebenfalls nichts von einer reinen Aktiensteuer hält. "Oder halten Sie es da mit dem Satz, frei nach Adenauer: was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?", so De Masi an die Bundeskanzlerin. Und die trocken: "Sie haben ja nicht mich zitiert, sondern Herrn Söder, oder?" Gelächter, Applaus, nächste Frage. Schwer getroffen und gequält lächelnd sinkt De Masi auf seinen Sessel.

Eine zweite Auseinandersetzung hat Merkel kurz darauf mit der AfD: Nach einer Frage des AfD-Abgeordneten Martin Hebner zum UN-Migrationspakt wirft die Kanzlerin der Partei vor, "Falschinformationen, die auch sehr stark aus ihren Reihen kommen" zu verbreiten. Und sie betont, unter den EU-Staaten sei die Zahl derer, die den Pakt angenommen haben, größer ist als die, die den Pakt nicht angenommen haben.

Hebner fragt nach und verweist auf einige EU-Mitglieder, die noch kurzfristig ihre Haltung zum Pakt geändert und nicht unterschrieben hätten. Merkel unterbricht und bietet Hebner an, gemeinsam durchzuzählen - "und sie werden sehen, dass es mehr als 14 sind". Dann aber, nachdem Hebner seine Nachfrage zu Ende formuliert hat, entschuldigt sich die Kanzlerin, ihn unterbrochen zu haben, aber: "Als Physikerin geht es mir bei den Zahlen wirklich um die Wahrheit."

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false