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Über diese Lippen kommen keine harten Konsonanten. Markus Söder.

© imago images/Klaus W. Schmidt

Bayern, multikulturell: Die dobbelde Idendidäd

Regionales Erzeugnis mit überregionaler Strahlkraft: Markus Söder als Franke. Eine Betrachtung.

Von Gregor Dotzauer

Letzthin erklärte er bei Markus Lanz in seiner oberlässigen „Wissen Sie“-Souveränität wieder einmal die bayerische Coronapolitik. Doch eine Kleinigkeit störte: Markus Söder saß in einer alpenländischen Kulisse vor schneeglitzernden Bergen. In anderen Sendungen hatte man den zugeschalteten Ministerpräsidenten wenigstens vor der Münchner Frauenkirche postiert, die von seinem Arbeitsplatz in der Staatskanzlei fußläufig zu erreichen ist. Das Alpenglück jedenfalls ist Söder so wesensfern wie alle Chiemsee-Idyllen, in die man ihn auch schon hineinversetzt hat, oder der Trachtenjanker, den er zur Einhaltung der Münchner Kleiderordnung manchmal trägt.

Hätte man ihm die Kalksteinfelsen der Fränkischen Schweiz spendiert, den Ochsenkopf im Fichtelgebirge oder die Weinberge rund um Würzburg – es wäre passender gewesen. Immerhin hat man ihm auch schon das einzig Richtige zugedacht: die Nürnberger Burg, das Wahrzeichen seiner Heimatstadt. Denn er ist nun einmal Franke, Mittelfranke, um genau zu sein, aus jener Metropolregion, die der Ingolstädter Oberbayer Horst Seehofer zu einem zweiten bayerischen Zentrum adelte, indem er in Nürnberg 2014 Deutschlands erstes Heimatministerium einrichten ließ.

Zu Söders Gunsten ist zu sagen, dass der Aufstieg aus den fränkischen Mittelgebirgen ins bayerische Hochgebirge keine napoleonische Geste war, mit denen er den Bayern spät in der Weltgeschichte heimzahlen wollte, was sie Anfang des 19. Jahrhunderts mit der Auflösung des Fränkischen Reichskreises betrieben. Die Hintergrundprojektion bei Markus Lanz dürfte der schlichten Ahnungslosigkeit nördlicher Gemüter geschuldet gewesen sein, die alles für das exotische Bayern halten, wo an den Landesgrenzen Bayern draufsteht – wenn dies nicht der große Irrtum wäre, dem die Franken bis heute unterliegen.

In sich zersplittertes Franken

Erst kürzlich verstieg sich jemand zu dem denkwürdig falschen Satz, der kanzlerable Söder sei inzwischen auch den Deutschen jenseits des Weißwurstäquators ein Begriff. Freunde der Metapher: Aus genau diesem der Donau abgewandten Jenseits, der Bratwurstmetropole der Republik, kommt er her.

Das Verhältnis zwischen München und Nürnberg (an dieser Stelle kein Wort über die tödliche Binnenverachtung, die „Nämbercher“ für das übergangslos benachbarte Fürth empfinden) lässt sich am ehesten mit dem zwischen dem reichen Nord- und dem armen Süditalien vergleichen: Landesteile, die aller Fremdheit zum Trotz schon ökonomisch nicht voneinander loskommen. Entschuldigen lässt sich die verbreitete Unkenntnis nur damit, dass das Fränkische im gesamtdeutschen Regionalkonzert nicht nur unterrepräsentiert, sondern seinerseits hochgradig zersplittert ist.

Es gibt ein tiefkatholisches und ein protestantisches Franken, ein Bier- und ein Weinfranken, und eines, das sich schon halb unter die hessischen Apfelweinbäume krümmt. Ein technologisch gut gerüstetes, durchaus reich gewordenes Franken und eines, das seit dem Wegfall der Zonenrandförderung 1994 vor die Hunde geht, während die Wirtschaft im angrenzenden Thüringen floriert. Und wenn die Globalisierung Franken nicht kulturell eingeebnet hätte, könnte man davon erzählen, dass es hier weit über das Ende des Zweiten Weltkriegs hinaus Dörfer gab, in denen Wörter in Gebrauch waren, die man schon im Nachbardorf nicht mehr verstand.

Markus Söder zählt zu den großstädtisch geprägten, evangelischen Bierfranken, was seiner Bewunderung für den katholischen, in der Münchner Maxvorstadt aufgewachsenen Metzgerssohn Franz Josef Strauß nicht im Wege stand. Als Botschafter seiner Region hat er den Kulmbacher Oberfranken Thomas Gottschalk, der seine Herkunft zwar nie verleugnet, aber auch nie kultiviert hat, in Sachen Vernehmlichkeit längst deklassiert. Und Günther Beckstein war als bayerischer Ministerpräsident zu kurz im Amt, um Spuren zu hinterlassen, und zeigte keinerlei bundespolitische Ambitionen.

Schlawinertum und Pessimismus

Bleiben einige Kabarettisten, die mit rollendem R, labialer Erweichung aller „haddn Gonsonandn“ und einem charmanten „ned“ das Hochdeutsche in die Knie zwingen: der schlagfertige Würzburger Frank-Markus Barwasser alias Erwin Pelzig, der destruktiv verdrossene Nürnberger Matthias Egersdörfer oder der vom Rustikalen ins Ordinäre spielende Rüpler und Rempler Bembers („Ey horch amoll“). Schattierungen auf der Mentalitätspalette zwischen entwaffnendem Schlawinertum und niederschmetterndem Pessimismus, die sich grundlegend unterscheiden vom selbstzufriedenen, in höheren Schichten schnell zum Schickeriahaften neigenden Treiben der Ober- und Niederbayern (die Schwaben und die altbayerischen Oberpfälzer sind ein eigenes Kapitel). Ansonsten ist das sichtbarste Zeichen überregionaler fränkischer Repräsentanz der Franken-„Tatort“ mit den sagenhaft unfränkischen Kommissaren Dagmar Manzel und Fabian Hinrichs.

Wie soll ein Hamburger Fischkopp da einmal im Jahr aus den dialektgefärbten Nebenrollen lernen, was die Ehrlichkeitsbrutalität des Frankentums ausmacht? Zu fragen ist höchstens: Brauchen wir in Zeiten, in denen alle Welt mit ihrer Herkunft hausieren geht, eigentlich solche regionalen Unterscheidungen, die einige Hitzköpfe noch immer zu separatistischen Träumen veranlassen? Sogar Söder selbst, oft auf seine Identität angesprochen, scheint als Ministerpräsident aller Bayern mit seinem Frankentum nicht nur aus Kalkül Frieden geschlossen zu haben – ohne deshalb sein Kolorit verleugnen zu wollen.

„Die einen bemühen sich krampfhaft um Hochdeutsch, die Anderen sprechen es immer sehr extrem“, erklärte er bei Gelegenheit eines Franken-„Tatorts“ den kuriosen sprachlichen Ehrgeiz seiner Landsleute. „Ich finde, so, wie ich das mache, ist es eigentlich ganz OK. Man hört, wo man herkommt, aber trotzdem versteht einen jeder in Deutschland.“

Stur, aber gutmütig

Hinter diesem Selbstbewusstsein verbirgt sich, so angreifbar Typisierungen sind, eine Denkungsart, die Söder zugleich erfüllt und über den Haufen wirft. Der Franke ist stur, aber auch ausdauernd, prinzipiell gutmütig und er kann von einer umwerfenden Direktheit im Handeln sein. Die spielt er rhetorisch gerne „a weng“ herunter, damit sich sein Gegenüber nicht völlig überrumpelt vorkommt.

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Bei aller Gerissenheit ist er eine ehrliche Haut. Er trägt von daher das Herz da, wo es hingehört, und nicht auf der Zunge. Die Franken gelten als das maulfaulste Volk Deutschlands. Und hier weicht Markus Söder mit seinem Mundwerk nun doch hörbar ab. Er ist um Klassen eloquenter als der Oberbayer Edmund „Äh“ Stoiber und radikal hochdeutscher als der Niederbayer Erwin Huber.

Zwar ist es unwahrscheinlich, dass der Markus nur ein netter Kerl ist. Immerhin hat er sich in der CSU, einer schlagkräftigen Verbindung mit eigener Clankriminalität, hochgekämpft. Doch neben korrupten Parteifreunden wie dem Amigo Max Streibl, schwäbischen Paten wie Alfred Sauter und lausbübischen Grenzkriminellen wie Andreas Scheuer strahlt er etwas zutiefst Anständiges aus. In Verbindung mit seiner hemmungslosen Tatkraft kommt das offenbar auch in Bundesländern an, in denen rheinischer Singsang oder sächsische Zischlaute vorherrschen. Und falls in unserer Fernsehdemokratie doch einmal sprachliche Probleme auftauchen sollten, bleiben ihm immer noch Untertitel.

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