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Baustellen führen häufig zum großen Ärgernis.

© dpa

Baustellen-, Verkehrs- und Ämterchaos in Berlin: Das Leiden der Bürger ist längst institutionalisiert

Baustellenchaos, Bahnverspätungen, unterbesetzte Polizei, Staus auf der Straße, in Ämtern und bei der Technik: Sich daran zu gewöhnen, kann kein politisches Programm für Berlin sein. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Nowakowski

In Berlin, wo die Stadtgesellschaft ein besonders sensibles Gebilde ist, sind die Schwingungen des Unmuts gerade deutlich zu spüren. Eine politische Wetterfühligkeit, die alarmiert. Es sind viele kleine Dinge, die zum großen Ärgernis gerinnen: Baustellen, die unangekündigt zentrale Verkehrsadern verstopfen. Oder ignorant verordnete Staufallen wie in Spandau, wo gleichzeitig die beiden einzigen Straßen nach Kladow saniert werden. Dazu eine Kakofonie der technischen Fehler bei der S-Bahn, von Signalstörung bis Weichendefekt, oder eine für Gleisbauten gesperrte U-Bahn-Linie 1, bei der selbst die BVG ihren Kunden abrät, den Ersatzbus zu nehmen, weil der auf der ebenfalls aufgerissenen Ersatzstrecke nur stecken bleiben wird. Und überall steht bei Koordination Fehlanzeige.

Ist Rot-Rot-Grün die Stadt eigentlich egal? Wer aus dem Senat heraus sagt, habt euch nicht so, in einer wachsenden Stadt geht es eben anders zu als auf Hiddensee, der muss aufpassen. Denn diese Provokation ist krass. Da kann es passieren, dass entsprechend zurückgefragt wird: Habt ihr sie noch alle? Nur schon bei der Aufgabe von Politik, Mobilität zu gewährleisten, steht der Senat nicht gut da. Aber es ist ja nicht allein der Verkehr, worunter man eine schnoddrige Geringschätzung gegenüber Alltagsbedürfnissen der Berliner spürt.

Die skandalöse Lage der Bürgerämter hat sich zwar verbessert, dafür kollabieren nun Standesämter – was bedeutet, dass Neugeborene keine Geburtsurkunde erhalten und damit die Eltern kein Elterngeld.

Und da ist die unterbesetzte Polizei, deren Belastung durch neue Deliktfelder und Terrorgefahr zunimmt. Was die Koalition ignoriert: Im Nachtragshaushalt gab es kein Geld für Stellen, und auch aktuell äußert sich der Innensenator dazu nicht. Dass Feuerwehrleute Berlin verklagen, weil sie den Überstundenstau nicht mehr hinnehmen wollen, kommt hinzu.

Egal wer regiert, diese Stadt funktioniert immer irgendwie. Aber wenn dieses "irgendwie" zum Richtmaß des Regierungs- und Verwaltungshandelns wird, dann wird es selbst für eine Stadt wie Berlin und deren Bürger kritisch.

schreibt NutzerIn cuibono

Gerade der Senat sollte Interesse an Reformen haben

Wie soll man solch politische Fahrlässigkeit verstehen? Immerhin hat Ex-Innensenator Frank Henkel 2016 bewiesen, dass man Wahlen durch Nichtstun in Sachen Sicherheit verlieren kann. Und nicht allein die BVG, sondern der Senat muss Interesse haben, dass Menschen in den öffentlichen Nahverkehr umsteigen, um stadt- und bundesweit die ambitionierten Klimaziele zu erreichen. Das geht nur mit einem attraktiven, verlässlichen Angebot, nicht mit verstopften Zügen und Bussen im Stau.

Zur institutionalisierten Geringschätzung der eigenen Bevölkerung gehört, dass alle Verantwortlichen die Schultern zucken und niemand zuständig sein will für die Probleme, unter denen die Berliner leiden und die ihnen ihren Alltag verleiden. Warum auch ein System der organisierten Unverantwortlichkeit ändern, das seit Jahrzehnten beweist, dass damit kein Staat zu machen ist, geschweige denn eine Stadt voranzubringen? Bezirksämter und Senatsverwaltung schieben sich wechselweise die Verantwortung zu, bis die nicht mehr greifbar ist. Zumindest das funktioniert an der Spree bestens. Wo ist zum Beispiel die Ambition geblieben, wichtige Bürgerdienste aus Bezirksämtern auszugliedern und auf Landesebene zu bündeln?

Es ist ein bisschen zu einfach diese Misere RRG vorzuwerfen. Da sind über Jahrzehnte strukturelle Defizite in erheblichem Ausmaß entstanden und kultiviert worden. [...] Dass die Laienschauspieltruppe im Senat dies offenbar noch nicht mal realisiert, ist allerdings eine andere Geschichte.

schreibt NutzerIn berlinbewohner

Gleiches gilt beim Blick über die Stadtgrenzen. Berlin wächst ungebremst ins Umland – und damit die innerstädtische Belastung durch Pendler und Autos. Auch das wird mit Nichtstun beantwortet; Umsteige-Parkplätze am Stadtrand in die Bahn werden sogar abgelehnt, weswegen sich in Hermsdorf und Zehlendorf die Pendlerautos stapeln. Eine Initiative, gemeinsam mit Brandenburg die Infrastruktur auszubauen, steht nicht an.

Sich daran gewöhnen, dass hier nicht selbstverständlich ist, was anderenorts in der Republik funktioniert, kann kein politisches Programm sein. Wehe, wenn das so aufgenommen würde. Bewegt ein Kreuz auf dem Humboldt-Forum einige Senatoren mehr, als die Stadt sicherer zu machen, sie in Bewegung zu halten und möglichst vielen das Leben zu erleichtern, werden die Berliner sonst ganz woanders ein Kreuz machen.

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