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Dirk Nowitzki in Aktion.

© Nick Wass/AP/dpa

Basketballer Dirk Nowitzki: 20 Jahre in der NBA - und jetzt?

Er ist alt geworden, schleppt sich über das Feld. Trotzdem feiern die Fans Dirk Nowitzki wie nie. Denn sie wissen: Bald ist er weg – oder nicht?

Es beginnt in Charlotte, North Carolina, Anfang des Jahres. Drei Minuten vor dem Ende des Spiels skandiert das Publikum: „We want Dirk!“, Dirk Nowitzki winkt von seinem Platz auf der Auswechselbank fast etwas schüchtern zurück. Ein paar Tage später, in Boston, jubeln die Fans bei jedem Wurf des 40-Jährigen und stöhnen enttäuscht auf, als der Basketballer keinen seiner zehn Versuche trifft. Als Nowitzki im Madison Square Garden von New York eingewechselt wird, erheben sich die Zuschauer von ihren Sitzen. In Brooklyn buhen sie einen seiner Mitspieler aus, der zum Korb zieht, anstatt den Ball zu Nowitzki zu passen, später geht der Ruf „Thank you, Dirk!“ durch die Arena. Und in Los Angeles nimmt der gegnerische Trainer Sekunden vor Spielende extra eine Auszeit, greift sich das Mikrofon des Hallensprechers und fordert die Zuschauer auf, für Nowitzki, „einen der Größten aller Zeiten“, aufzustehen und zu klatschen. Dirk Nowitzki hebt die Hand, hält mit Mühe die Tränen zurück.

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Es ist eine seltsame Abschiedstournee, die Dirk Nowitzki derzeit in der amerikanischen Basketballprofiliga NBA absolviert. Zum einen, weil Fans im ganzen Land, die ihn früher ausgepfiffen und gefürchtet haben, jetzt nichts als Liebe für den Würzburger zu empfinden scheinen. Zum anderen, weil Nowitzki nicht einmal offiziell erklärt hat, dass seine 21. NBA-Saison im Trikot der Dallas Mavericks tatsächlich seine letzte sein wird. Dass nach den noch ausstehenden 17 Spielen mit dem Ende der Saison am 10. April wirklich Schluss ist. Nach mehr als 1500 Partien, mehr als 31 000 Punkten und der Meisterschaft mit Dallas im Jahr 2011.

Amerikanische Basketballfans wissen all diese Verdienste zu schätzen, zurzeit feiern sie ihn aber weniger für das, was er einmal war. Sondern für das, was er ist: ein Sportler, der immer noch das tut, was er liebt. Ein Mensch, der in Würde altert.

„Natürlich genieße ich es“, sagt Nowitzki zurzeit nach fast jedem Spiel. „Ich werde das alles nie vergessen.“ Allerdings sieht man ihm die mehr als zwei Jahrzehnte im Profisport an. Seine Bewegungen wirken eckig, manchmal schleppt er sich fast über das Feld. Das Spiel, das er einst dominierte, ist zu schnell für ihn geworden. Zu seinen Glanzzeiten war der 2,13 Meter große Nowitzki ein brillanter Offensivspieler – trickreich, elegant, nervenstark. Als er 1998 in die NBA kam, waren Spieler seiner Körpergröße noch bullige Kampfmaschinen, die unter den Körben Ringkämpfe austrugen. Dirk Nowitzki war anders, seine perfekte Wurftechnik, die Treffsicherheit aus der Distanz revolutionierten seine Sportart. Ab und zu blitzt Nowitzkis Können auch jetzt noch auf, der Jubel wird dann umso lauter.

Würde im Angesicht des Alterns

Der Schriftsteller Thomas Pletzinger hat all das aus der Nähe beobachtet. Der 43-Jährige arbeitet an einer Nowitzki-Biografie, im August soll das Buch „The Great Nowitzki“ erscheinen. „Das ist eine außergewöhnliche Situation für einen Sportler“, sagt Pletzinger. „Die Leute stehen einfach auf, weil sie Dirk Respekt zollen wollen. Das ist kein orchestrierter Jubel, sondern ungescriptet und authentisch.“ Vor zwei Wochen war der Autor zuletzt in Dallas, bald wird er wieder dorthin reisen. Vor sieben Jahren hat Pletzinger den Basketballer auf der Höhe seines Ruhms und seiner Leistungsfähigkeit kennengelernt, aber auch nach all diesen Jahren staunt er immer noch über ihn.

„Es ist bemerkenswert, dass Dirk nicht an einem Status hängt, den er einmal hatte“, sagt Pletzinger. „Und das nötigt auch den Zuschauern Respekt ab.“ Früher lief fast jeder Angriff der Mavericks über den Deutschen. Nun sitzt er oft auf der Bank und sieht zu, wie das 20 Jahre alte Wunderkind Luka Doncic mit jedem Spiel mehr zum Liebling in Dallas wird. Nowitzki, Jahrgang 1978, findet nichts als lobende Worte für Doncic, Jahrgang 1999. Der Slowene war noch nicht einmal geboren, als der Deutsche bereits in der NBA spielte.

„Dirk hat eine große Würde im Angesicht des Alterns“, sagt Pletzinger. „Er beharrt nicht auf dem Gewesenen, sondern spielt einfach sehr gegenwärtig sein Spiel.“

Gerade in der NBA, wo große Karrieren meist mit großen Egos einhergehen, ist das eine Seltenheit. Nowitzkis langjähriger Widersacher Kobe Bryant trat 2016 ab, auch er wurde zuvor im ganzen Land gefeiert. In seinem letzten Spiel warf Bryant 50 Mal auf den Korb und erzielte 60 Punkte. Eine beeindruckende, aber auch manische Leistung – Bryant schien sich verzweifelt an das zu klammern, was er einmal war. Nowitzki wirkt zufrieden damit, wer er ist.

Für sein Buch ist Pletzinger in den vergangenen Jahren etliche Male in den USA gewesen, hat Nowitzki in Polen, Slowenien und China getroffen. Als der Basketballer vor einem Jahr seinen 30 000. Punkt erzielte – ein weiterer Meilenstein, nur sechs Spieler haben mehr –, saß Pletzinger auf der Tribüne neben Nowitzkis Entdecker und Mentor Holger Geschwindner, der vor Freude weinte. Der Autor hat stundenlang mit Menschen aus Nowitzkis Umfeld gesprochen. Jetzt ist sein Buch fast fertig, in sechs Wochen wird er das Manuskript abgeben, Anfang und Ende fehlen noch. Mit der aktuellen Wendung, der emotionalen Zielgeraden, hat auch der Schriftsteller nicht gerechnet. „Jetzt muss mein Buch reagieren“, sagt er. „Das, was dort gerade passiert, ist besonders.“

"Er spielt, um zu spielen"

Zumindest sportlich wird Dirk Nowitzki sich vermutlich ein anderes Ende gewünscht haben. Seine Mannschaft hat in dieser Saison keine Chance mehr, die Play-offs der 16 besten NBA-Teams zu erreichen, zuletzt hat Dallas meist hoch verloren, die Mavericks sind bestenfalls NBA-Mittelmaß. Die ersten 26 Saisonspiele hatte Nowitzki ohnehin verpasst, nach einer Operation im Sommer entzündete sich in der Saisonvorbereitung eine Sehne in der Fußsohle, wochenlang durfte er nicht trainieren, erst Mitte Dezember gab er sein Comeback.

Was Nowitzki früher leichtfiel, ist nun mit großen Mühen verbunden. „Es ist manchmal schon frustrierend, wenn der Körper nicht so reagiert, wie du es willst“, hat er zuletzt gesagt. Im Alter von 40 Jahren erfordern jedes Spiel und jede Trainingseinheit viel Vorbereitung. Wenn seine jüngeren Mitspieler in die Halle kommen, ist Nowitzki bereits seit Stunden da, um sich massieren zu lassen, sich zu dehnen und aufzuwärmen, seinen Körper basketballbereit zu machen. Wenn er gefragt wird, warum er sich das alles noch antut, nennt Dirk Nowitzki stets zwei Gründe: den Wettkampf und die Kameradschaft. Er liebt es, sich mit anderen Sportlern zu messen. Er liebt es, Teil einer Mannschaft zu sein.

Nach dem Spiel in Los Angeles wird Nowitzki von Reportern gefragt, wie er gerne in Erinnerung bleiben möchte. „Als jemand, der offensichtlich ein bisschen werfen konnte. Der für seine Mannschaft da war, seine Mitspieler, seinen Klub“, sagte er. „Der immer gewinnen wollte. Der Spaß daran hatte, das Spiel zu spielen, das er liebt.“ All die Rekorde? Hat Nowitzki eher nebenbei erreicht.

„Man erwartet nicht, dass ein Star wie er sich auf die Grundwerte des Sports bezieht“, sagt Pletzinger. Im Prinzip spiele Nowitzki aus demselben Antrieb Basketball wie schon als Teenager, auch damals hätten Geld und Status keine Rolle gespielt. „Seine Motivation ist immer noch die gleiche. Er spielt nicht, um noch ’ne Markfuffzich mitzunehmen. Oder um sich feiern zu lassen“, sagt Pletzinger. „Er spielt, um zu spielen. Und das merken die Leute.“

In seiner Karriere hat Nowitzki, mittlerweile Vater von drei Kindern, rund 250 Millionen Dollar verdient, Werbeverträge nicht mitgerechnet. Es hätten sogar noch fast 200 Millionen mehr sein können, er hat aber immer wieder bei Vertragsverlängerungen auf Geld verzichtet, um seinem Klub mehr finanziellen Spielraum bei der Verpflichtung von anderen Profis zu geben. Auch deshalb genießt er in Dallas Heldenstatus, 21 Spielzeiten für ein und dieselbe Mannschaft – ein weiterer Rekord.

In Deutschland, sagt Thomas Pletzinger, werde Nowitzki grundsätzlich anders geliebt als in Texas. „In Deutschland wird oft die Geschichte vom sympathischen Jungen erzählt, der in der weiten Welt erfolgreich ist – wie revolutionär sein Spiel tatsächlich war, ist dabei nicht so wichtig“, sagt Pletzinger. „In den USA ist das Basketballwissen der Leute größer. Auch sie finden ihn sympathisch und schätzen ihn als Mensch – aber er ist auch ein fachlich zertifizierter Superstar.“

Nowitzki hat noch nicht entschieden

Allerdings einer, der sich selbst nicht zu ernst nimmt. Viele NBA-Profis posten während der Sommerpause in den sozialen Netzwerken Videos, in denen sie riesige Hanteln stemmen oder schweißüberströmt durch Sporthallen sprinten. Nowitzki veröffentlicht lieber ein Foto, das ihn auf einem klapprigen Fahrrad inklusive Kindersitz an einem schwedischen See zeigt – und verweist auf seine „Sommer-Schinderei“. Er hat auch kein Problem damit, in Werbefilmchen der Mavericks als „die große Mumie“ aufzutreten – wegen seiner steifen Bewegungen trägt er schon seit Längerem diesen Spitznamen.

Sollte seine Karriere in diesem Sommer tatsächlich enden, will Nowitzki mehr Zeit mit der Familie verbringen, um die Welt reisen, sich für die beiden Stiftungen engagieren, die er ins Leben gerufen hat, und die benachteiligte Kinder unterstützen. Alle Zeichen deuten darauf hin, dass es tatsächlich so kommt. Die NBA hat ihm bereits ein Abschiedsgeschenk gemacht, indem sie ihn im Februar für das All-Star-Game, das Showspiel der besten Profis, nominierte. Nowitzki nutzte den Auftritt, um jedem in Erinnerung zu rufen, wozu er früher an jedem Abend in der Lage war: Innerhalb kürzester Zeit traf er drei Dreipunktewürfe.

Könnten Momente wie dieser nicht doch Motivation sein, das Karriereende weiter hinauszuzögern? Nowitzki will sich nicht festlegen, der Wirbel um ihn wird trotzdem immer größer werden, je näher das Saisonende rückt. Der Countdown läuft, noch sind es 17 Spiele. Ein letztes Mal Oklahoma City, ein letztes Mal Miami, ein letztes Mal San Antonio, zum Abschluss im April. Und dann?

„Dirk Nowitzki hat die freie Wahl“, sagt Pletzinger. „Er ist ein freier Mann, ein freier Geist.“

Nowitzki selbst erklärt wieder und wieder, er habe sich noch nicht entschieden, „wir werden sehen, wie der Rest der Saison läuft“, dann werde er mit seiner Familie beratschlagen, ob er doch noch eine Saison weitermacht. Nach dem Spiel in Los Angeles sagt er aber auch, mit einem Lachen: „Ich schätze, die Leute nehmen mir die Entscheidung ab.“

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