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Der damalige Bundesinnenminister de Maiziere, Bundeskanzlerin Merkel und der damalige Kanzleramtsminister Altmaier (CDU)

© Kay Nietfeld/dpa

Bamf-Affäre: Bundesregierung hat sich zu spät und sparsam erklärt

Die Diskussion über Asyl und Grenzöffnung spaltet die Republik. Ein Untersuchungsausschuss bietet die Chance, wieder ins Gespräch zu kommen - mit den nötigen Fakten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Der Skandal um das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verläuft, trotz der Außergewöhnlichkeit damaliger Umstände, nach bekannten Routinen. Die Aufmerksamkeit für einzelnes mögliches Fehlverhalten lenkt den Blick auf defizitäre Strukturen, die je nach politischen Sichtweisen kleingeredet oder zum „Staatsversagen“ vergrößert werden. Der politische Skandal – er entsteht im Auge des Betrachters und durch die Worte seiner meist parteiischen Interpreten.

Um hier wirklich werten zu können, fehlt es noch an Fakten. Möglich, dass Fälle rechtswidrig beschieden wurden, also ohne die gesetzlich verlangte Prüfung; dass Vorgaben missachtet, Zuständigkeiten übergangen wurden. Im Ergebnis: dass Menschen Asyl erhielten, ohne es zu verdienen. Möglich, dass die Verantwortliche einer Außenstelle dabei Helfermotiven erlag, möglich auch, dass Vorgaben aus der Zentrale dies begünstigten. Möglich – oder wahrscheinlich –, dass viele überfordert waren.

Der größte Schaden ist der Vorwurf selbst

Bundesinnenminister Horst Seehofer betont hier eben deshalb einen „handfesten, schlimmen Skandal“, weil er sonst genauer erklären müsste, worin dieser liegen könnte. Wäre sorgfältiger beschieden worden, hätten viele Asylbewerber trotzdem geklagt, gefolgt von Aufschub, Duldung, Abschiebehürden. Der übliche Gang mit der durchaus berechtigten Hoffnung, dass die Justiz am Ende doch noch für ein Bleiberecht entscheidet. Integrationsmaßnahmen wären zuvor systematisch unterblieben. Womöglich ist daher der größte Schaden, den die Bremer Außenstellenleiterin mit ihrem Akt zumindest unbürokratischer Eigenmacht angerichtet hat, der, dass dieses Handeln heute zum Vorwurf und zur politischen Abrechnung taugt. Heute, nach Verabschiedung der Willkommenskultur.

Über allem schwebt das maßlose Diktum Horst Seehofers

Und dafür einen Untersuchungsausschuss? Ein klares Ja. Es ist eben jene große Erzählung von Recht und Unrecht, die die Debatte um den damaligen Zustrom bis heute prägt. Hier teilt sich die Republik. Die einen behaupten, die Regierung habe mit der Grenzöffnung das Grundgesetz gebrochen, die anderen reden davon, das Europarecht oder jedenfalls ein moralischer Imperativ habe die Befugnis dazu gegeben. Über allem schwebt das von Seehofer aus der rechten Ecke aufgegriffene, ebenso maßlose wie leichtfertige Diktum von der „Herrschaft des Unrechts“. Das hat in vielen Köpfen die Vorstellung verfestigt, das Volk sei von seiner eigenen Regierung verraten worden. Wer soll darüber gültig entscheiden? Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist eher unwahrscheinlich. Viel spricht dafür, dass eine von der AfD eher symbolisch eingelegte Klage unzulässig ist – die Fraktion war damals noch nicht als solche vorhanden.

Die Regierung hat sich spät erklärt - und sparsam

Es ist nicht so, dass die Regierung ihr Handeln nicht erklärt hätte. Aber sie tat es spät und eher sparsam. Gut recherchierte Bücher und Zeitungsartikel ersetzen keine unabhängige Aufarbeitung. Wer gab wann welche Anweisungen, auf welchen Grundlagen wurde in welchen Stellen was entschieden? Wie sah im Einzelnen die behördliche Praxis aus, die sich im Anschluss daran der politischen Losung „Wir schaffen das“ fügen musste? Ein Untersuchungsausschuss muss nicht mehr leisten, als Dokumente dazu auf den Tisch und Zeugen zum Sprechen zu bringen. Diskutieren mögen die Bürgerinnen und Bürger die Ergebnisse selbst. Entscheiden können sie auch.

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