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Schlagabtausch vor Kameras: Der Außenminister der Türkei, Mevluet Cavusoglu, mit Außenministerin Annalena Baerbock in Istanbul.

© IMAGO/photothek

Baerbocks deutliche Worte in der Türkei: Ankara hat die Konfrontation nicht kommen sehen

Erdogan hat sich im Ukraine-Krieg die Rolle des Vermittlers zu eigen gemacht. Baerbocks Kritik an der Türkei passt nicht in sein neues Image. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Susanne Güsten

Bisher war Deutschland bereit, der Türkei vieles zu verzeihen, um sie in der Flüchtlingspolitik als Torwächter für Europa zu halten und den Streit mit den EU-Staaten Griechenland und Zypern im östlichen Mittelmeer zu entschärfen. Außenministerin Baerbock machte bei ihrer ersten Reise in die Türkei klar, dass sie mehr Druck auf Ankara ausüben will.

Unter der Großen Koalition hatte sich Deutschland den Vorwurf der Leisetreterei gegenüber Präsident Erdogan eingehandelt. Baerbock will das ändern.

Sie stellte sich im Streit zwischen Ankara und Athen eindeutig auf die Seite Griechenlands, kritisierte türkische Pläne für eine Militärintervention in Syrien und forderte die Freilassung des Kulturförderers Osman Kavala – drei Themen, bei denen klar war, dass Erdogans Regierung empfindlich reagieren würde.

Erdogan fühlte sich im Urkaine-Krieg international aufgewertet

Zwar hatte Erdogans Regierung nach dem Machtwechsel in Berlin im vergangenen Jahr eine Neuausrichtung der deutschen Politik erwartet, doch davon war lange nichts zu sehen. Der Ukraine-Krieg hat die Türkei international aufgewertet. Erdogan ist einer der wenigen Staatsmänner auf der Welt, die sowohl mit Wladimir Putin als auch mit Wolodimir Selenskij reden können.

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Das Getreide-Abkommen von Istanbul ist ein Ergebnis dieser besonderen Position des Landes. In der Flüchtlingsfrage bleibt die Türkei ein Schlüsselland für Europa. Die türkische Außenpolitik wird geprägt von einem Gefühl der eigenen Stärke, doch Erdogans Veto-Drohung gegen den Nato-Beitritt von Finnland und Schweden kam im Westen als Erpressungsversuch an.

Ankara hat Baerbocks Kurswechsel ganz offenbar nicht kommen sehen. Die offenen Worte der Bundesaußenminister werfen für die türkische Regierung die Frage auf, was geschieht, wenn Deutschland bei türkisch-europäischen Problemen ab sofort nicht mehr der „ehrliche Makler“ sein will, wie Cavusoglu es formulierte.

Im Westen wird schon länger über einen neuen Umgang mit der Türkei diskutiert. Ausgangspunkt ist die Einschätzung, dass die Türkei den Westen wirtschaftlich mehr braucht als andersherum. Die EU ist der größte Handelspartner der Türkei, die USA und westeuropäische Länder sind die wichtigsten Rüstungslieferanten des Landes. Das gebe dem Westen die Möglichkeit, das türkische Verhalten zu beeinflussen, glauben Verfechter eines neuen Kurses.

Bewährungsproben für die neue Politik wird es bald geben, denn Erdogan dürfte im Wahlkampf seine Angriffe auf den Westen verstärken, um seine nationalistische Anhängerschaft zu mobilisieren. Dazu wird er viel Gelegenheit haben, denn bis zu den türkischen Wahlen sind es noch zehn Monate.

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