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© dpa

Baden-Württembergs nächster Ministerpräsident: Stefan Mappus: Maschinist der Macht

Sein Vorbild: Franz Josef Strauß. Sein Manko: Keiner kennt ihn. Aber das wird sich jetzt ändern. Morgen wird Stefan Mappus Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Deutschlands Wirtschaftsmotor. Und er verspricht: Alle werden sich noch wundern

Thomas Strobl ist derzeit Wanderprediger in schwieriger Mission. Der Schwiegersohn von Wolfgang Schäuble und Generalsekretär der baden-württembergischen CDU muss einen Mann in Berlin berühmen, den dort kaum einer kennt: Stefan Mappus, den künftigen Ministerpräsidenten des Ländles. So läuft er durch die Gänge des Bundestags, stets die Frage beantwortend, was das denn für einer sei. Selbstverständlich fällt ihm dazu nur Gutes ein. Bodenständig, entscheidungsfreudig, integrativ. Im Vordergrund seines Schaffens, natürlich, Arbeit, Wirtschaft, Bildung, regional unterfüttert durch Heimat, Familie, Natur und Religion. Mappus’ Vorbilder seien Franz Josef Strauß und Erwin Teufel, woraus aber, „um Gottes willen“, nicht der Schluss gezogen werden dürfe, die CDU im deutschen Südwesten rutsche nach rechts. Der neue Regierungschef sei mit Frau Merkel bekannt, bekräftigt Strobl, er gehöre aber zur „Abteilung deutliche Aussprache“.

Das kann man so sagen. Was haben sie vor vier Jahren gelacht, die Chauvis von der baden-württembergischen CDU, als Stefan Mappus zur Hochform auflief. Er komme jetzt zum Höhepunkt, rief ihr Fraktionschef in die Runde, „nicht vorgetäuscht, sondern richtig real“. Hoho, da war wieder Stammtisch im Stuttgarter Landtag, weil jeder wusste, wer gemeint war. Nämlich die SPD-Frau Ute Vogt, die zuvor in einem Radiointerview bekannt hatte, schon mal einen Orgasmus vorgespielt zu haben. Das hatte nun keiner von ihr verlangt und wollte eigentlich auch niemand wissen, aber im Hohen Haus von Stuttgart beflügelte es Fantasien, die dort sonst eher selten sind. Und Mappus hatte wieder einmal gezeigt, dass unter der Gürtellinie immer noch Spielraum ist. Er sei eben „einfach gestrickt“, sagt Ute Vogt, er habe weder Skrupel noch Empathie für die Menschen. Erschüttert ist sie darob nicht. Sie war einst Staatssekretärin bei Otto Schily.

In Stuttgart wird der 43-jährige Unbekannte auch Mappi, Schnappi, das kleine Krokodil genannt, womit angeraten scheint, ihm nicht zu nahe zu kommen. Er greift an und beißt und mag es nicht, wenn zurückgebissen wird. Als dünnhäutig und nachtragend schildern ihn seine Parteifreunde, selbstverständlich nur im Off, weil jedes offene Wort sofort bestraft wird. So haben sie auch zugeschaut, voller Demut, wie Mappus nach dem Amt des Ministerpräsidenten geschnappt hat. Kaum war Günther Oettingers Abgang nach Brüssel verkündet, war der Fraktionschef der Designatus, und die Liste der anderen gehandelten Kandidaten, darunter einige Minister, war Makulatur. Blitzschnell hatte sich Mappus die Gremien der Partei gegriffen, seine Sympathisanten in Berlin gesichert, und schon war er mit überwältigender Mehrheit zum Nachfolger Oettingers nominiert. Wohlwollend betrachtet von Wolfgang Schäuble, der den Bruder Leichtfuß Oettinger nie leiden konnte, von Volker Kauder, der Patenonkel einer der beiden Söhne ist, und von Annette Schavan, die mit Gattin Susanne befreundet ist.

Der Einzige, der sich der Stimme enthalten hatte, war der Balinger Abgeordnete und Landrat Günther-Martin Pauli. „Die Fraktion wurde ohne Not vor vollendete Tatsachen gestellt“, kritisiert der 44-Jährige, „sie ist aber mehr als ein Ministerpräsidenten-Wahlverein.“ Er habe sich nicht in den Zug der 69 Kopfnicker einreihen wollen, sagt Pauli. Nicht für einen Kandidaten ohne herausragende Eigenschaften, ohne Herzblut für Themen. Nicht als Statist in einem Drehbuch, das Mappus bei seinem Förderer Erwin Teufel abgeschrieben habe. In dessen Autobiografie („Gewissen für das Ganze“) sei nachzulesen, wie eine Machtübernahme durchzuziehen sei. Kühl und berechnend. Pauli hat auch bei der Jungen Union angefangen, mit Latzhose und Palästinensertuch. Mappus war eher Stoffhose.

Der Beleg ist die Karriere, die steil und bruchlos verlaufen ist. Junge Union mit 18, Lehre zum Industriekaufmann und Studium der Wirtschaftswissenschaft, CDU-Ortsvorsitzender mit 27, Landtagsabgeordneter mit 30, Staatssekretär mit 32, Umweltminister mit 38, Fraktionsvorsitzender mit 39. Ein Maschinist der Macht, dessen Besonderheit allenfalls die Schnelligkeit und die kleinbürgerliche Herkunft ist. Mappus ist in Enzberg bei Pforzheim aufgewachsen, einem Dorf von 4000 Einwohnern, das nicht zu den Puppenstuben im Land zählt. Schmucklose Häuschen, viele Flüchtlinge, hoher Pendleranteil, hoher Anteil von Rechtsradikalen in der Vergangenheit. Die besseren Häuser stehen am Hang, auch jenes der Familie Mappus, nachdem es der Vater, ein einfacher Schuhmacher, vom Tal auf den Berg geschafft hat. Der Sohn war ein guter Junge, weshalb er auch bis 1996 bei den Eltern wohnen durfte. In der Schule war er der Liebling der Lehrer, strebsam, brav und stets darauf bedacht, prima Noten nach Hause zu bringen. Und am Samstag hat er das Auto des Papas gewaschen. Der Stefan, erzählen seine Klassenkameraden, sei so unauffällig gewesen, dass ihnen nicht einmal ein Spitzname für ihn eingefallen ist. Woran sie sich erinnern, ist, dass Stefan der Einzige war, der heiraten wollte.

Mappus beschreibt sein Verhältnis zu den Eltern als „sehr warmherzig“. Kleine, bescheidene Leute, die alles für ihn taten, damit er es einmal besser habe. Man müsse im Leben für alles kämpfen, haben sie ihm gesagt, auch gegen den liederlichen Zeitgeist. Wer nach oben wolle, siehe Gerhard Schröder, müsse sich anstrengen. Natürlich waren die Eltern stolz auf ihn, und Vater Günter wäre gewiss noch stolzer gewesen, wenn der Sohn Direktor bei der Sparkasse geworden wäre, bei der er nach seiner Schuhmacherzeit beschäftigt war. Aber es musste die Politik sein, von der sie gar nicht begeistert waren, wie der Sohn einräumt. Zu viel Aufmerksamkeit, zu viel Bühne. Doch weil die Liebe von Eltern niemals endet, sind Günter und Else Mappus 1994 noch der CDU beigetreten, als ihr Stefan Kreisrat geworden ist. „Sie wollten mir helfen“, sagt der Sohn und erinnert zugleich an den Tod seiner Mutter, die 2002 gestorben ist. An ihr hat er sehr gehangen.

Was Schröder links begonnen hat, fand sich bei Mappus rechts. Vorneweg die großen Väter. Helmut Kohl und Franz Josef Strauß. Dem Bayern, dem er physiognomisch ähnelt, eifert er heute als Hobbypilot nach. Gerhard Mayer-Vorfelder und Erwin Teufel. Sie schienen ihm Recht und Ordnung zu schaffen. Wenn sie den Weg in den Enzkreis fanden, wollte er, der Jungspund, die Sitzung leiten und gegen atomwaffenfreie Zonen wettern. Im Gemeinderat zu Mühlacker, den er nach dem Verteilen von 5000 Wahlprospekten geentert hatte, zoffte er sich mit dem Sozialdemokraten Thomas Knapp, den er Jahre später im Landtag wieder treffen und verklagen sollte. Nachdem Genosse Knapp gegiftet hatte, in den Gehirnen baden-württembergischer Christdemokraten befinde sich „braune Soße“ und Mappus wäre „ganz rechts“ von der Erde gefallen, wenn sie eine Scheibe wäre, hatte er sofort den Rechtsanwalt am Hals, inklusive der persönlichen Missachtung. Wenn Knapp spricht, verlässt Mappus den Saal. Sein politischer Ziehvater, der Journalist Günter Bächle, der einst in Mühlacker CDU-Fraktionschef war, sieht darin den Hang zu Überreaktionen. Der Stefan müsse gelassener werden, sagt der 59-Jährige und äußert die Zuversicht, dass Gattin Susanne „ausgleichend“ auf ihn wirkt. Womöglich aber komme das Amt zu früh, mutmaßt der Mentor. Immerhin ist Baden-Württemberg nicht gerade das unbedeutendste der Länder. Wo aber steht er nun wirklich, der neue Ministerpräsident?

Ganz rechts, halb rechts oder in der Mitte? Wer will, kann zur Wahrheitsfindung ein schmales Papier heranziehen, das den Titel „Moderner bürgerlicher Konservatismus“ trägt. Mappus hat es zusammen mit den Vordenkern Philipp Mißfelder (JU-Bundesvorsitzender), Markus Söder (CSU) und Hendrik Wüst (CDU-Generalsekretär NRW) verfasst und darin insbesondere den Werteverlust beklagt, den die 68er zu verantworten haben. Die „hedonistische Selbstverwirklichung“ habe über allem gestanden, schreibt er und setzt sein Credo dagegen: „Konservativ im Herzen – progressiv im Geist.“ Erhellender wird’s, wenn Mappus gegen die Schwulen und Lesben zu Felde zieht. Die CDU müsse sich von der „frivolen, karnevalesken Zurschaustellung sexueller Neigungen“ fernhalten, verlangt ihr Vorsitzender und meint damit den Christopher Street Day. Zu Oettingers Zeiten durfte da noch ein Minister den Schirmherrn spielen.

Insofern darf man den neuen Regierungschef als den Gegenentwurf zum alten sehen. Was das Teufel/Schavan-Lager schon immer mit Abscheu und Empörung erfüllt hat, ist jetzt in bester Ordnung. Keine Eskapaden mehr, keine Teesiebbrille auf der Nase, keine halbseidenen Freunde, keine Scheidung, keine Friederike als Freundin. Bei Mappusens zu Haus in Pforzheim ist alles ganz normal. Ehefrau Susanne (47), früher Landesgeschäftsführerin der CDU, sorgt sich um die Söhne Leon (7) und Lukas (5). Der Ehemann, ein erklärter FC-Bayern-Fan, geht mit ihnen zum Fußball oder mit dem Staubsauger durch sein Haus, wenn ihm nach Abschalten zumute ist. „Die Familie“, betont er, „steht über allem.“

Abgesehen von den Restressentiments, die aus den Tiefen des Enzberger Tales stammen, ist der Neue aber kein Ideologe. Er wird nicht weniger flexibel sein als sein Vorgänger, nur konzentrierter arbeiten, nachts am Schreibtisch hocken und nicht in der Kneipe und die Rhetorik auf staatsmännisch dimmen. „Alle werden sich noch wundern“, verspricht er, „alle, die mich unterschätzt“ haben.

Das Konservative war sein Markenzeichen, die Angel für die Rechten, das Rüpelhafte die Rolle, die Aufmerksamkeit bringt. Alles Vergangenheit. „Wer als Fraktionschef den Staatsmann spielt, ist kein Fraktionschef“, sagt Mappus, „und der Ministerpräsident ist kein Fraktionschef.“ Will heißen: Die Zeit des Rambos ist vorbei. Jetzt kommt der Landesvater.

Josef-Otto Freudenreich[Stuttgart]

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