zum Hauptinhalt
Außenministerin Annalena Baerbock steht vor ihren Antrittsbesuchen in Kiew und Moskau.

© Michael Sohn/Pool AP/dpa

Außenministerin besucht Kiew: Ukrainischer Botschafter fordert Waffenlieferungen von Baerbock

Die Ukraine setzt die Bundesregierung unter Druck. Die Zurückhaltung von Rüstungshilfe sei „sehr frustrierend“, so der Botschafter.

Kurz vor dem Antrittsbesuchen von Außenministerin Annalena Baerbock in Kiew hat der ukrainische Botschafter in Berlin die Grünen-Politikerin eindringlich aufgefordert, der Ukraine die Lieferung von Waffen zur Landesverteidigung zuzusagen.

Die Zurückhaltung oder sogar Ablehnung von Rüstungshilfe durch Baerbock und die gesamte neue Bundesregierung sei „sehr frustrierend und bitter“, sagte Botschafter Andrij Melnyk der Deutschen Presse-Agentur. „Die Menschen in der Ukraine sind äußerst enttäuscht. Nun ist der Moment der Wahrheit gekommen, wer der echte Freund ist.“

Den Ukrainern sei zwar bewusst, dass im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP eine restriktive Rüstungsexportpolitik festgeschrieben sei, die keine Waffenlieferungen in Krisengebiete zulasse, sagte Melnyk. „Aber dieses politische Dokument ist ja keine Bibel. Und die Welt steht derzeit vor der größten Gefahr eines riesigen Krieges mitten in Europa, des schlimmsten seit 1945.“

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Die Staatlichkeit der Ukraine werde vom russischen Präsidenten Wladimir Putin bedroht. Die Ukrainer hätten das „heilige Recht auf Selbstverteidigung“.

Die Ukraine fordert seit Jahren Waffenlieferungen von Deutschland, um sich gegen einen möglichen russischen Angriff verteidigen zu können - bisher ohne Erfolg. Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck hatte allerdings im vergangenen Mai im Wahlkampf bei einem Besuch in der Ukraine gesagt, man könne dem Land „Defensivwaffen“ kaum verwehren.

Angst vor militärischer Eskalation

Auch der designierte CDU-Vorsitzende Friedrich Merz plädiert angesichts des russischen Truppenaufmarschs an der Grenze zur Ukraine dafür, Waffenlieferungen in Erwägung zu ziehen. Baerbock sagte der dpa kurz vor Weihnachten zu der Frage: „Eine weitere militärische Eskalation würde der Ukraine keine weitere Sicherheit bringen.“

Melnyk verwies darauf, dass es im deutschen Strafrecht den Tatbestand der „unterlassenen Hilfeleistung“ gebe. „Dasselbe Grundprinzip gilt auch in zwischenstaatlichen Beziehungen“, sagte er. „Daher appellieren wir an die deutsche Regierung, persönlich an die Außenministerin Baerbock, der Ukraine mit notwendigen Defensivwaffen dringend unter die Arme zu greifen. Das ist moralisch und menschlich geboten.“

[Lesen Sie auch: Das Imperium kehrt zurück: Auf welche Pläne Putins sich der Westen einstellen muss (T+)]

Melnyk machte auch deutlich, dass er die Lieferung von militärischer Schutzausrüstung nicht für ausreichend hält. „Wir hören nun aus Berlin, eine Diskussion über Helme oder Schutzwesten wäre denkbar. Schön. Hauptsache, dass keiner auf die Idee kommt, uns Särge zu schicken. Das wäre ja gewisserweise auch eine Hilfeleistung“, sagte er.

Er reagierte damit auf eine Äußerung des Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth (SPD), der dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) gesagt hatte: „Über Schutzgeräte wie Helme und Schutzwesten ist eine Diskussion denkbar.“

Baerbock reist weiter nach Russland – Nord Stream 2 als Streitpunkt

Baerbock reist am Montag zunächst zu ihrem Antrittsbesuch in die Ukraine, wo sie Präsident Wolodymyr Selenskyj und Außenminister Dmytro Kuleba trifft. Noch am Abend reist sie nach Moskau weiter. Dort stehen am Dienstag unter anderem Gespräche mit Außenminister Sergej Lawrow an.

Kuleba machte seine Erwartungen an Deutschland in der „Bild am Sonntag“ zurückhaltender als Melnyk deutlich. „Wir erwarten von der neuen Bundesregierung einen festen und deutlichen Kurs gegenüber den russischen Drohungen und Einschüchterungsversuchen - zusammen mit der Ukraine und unseren Partnern und Alliierten“, sagte der Außenminister. „Kein Geschäftsinteresse und kein Bedürfnis danach, Verständnis für Putin zu zeigen, sind es wert, einen blutigen Krieg in Europa zuzulassen.“

Die Ukraine fordert von Deutschland angesichts des russischen Verhaltens im Ukraine-Konflikt einen Stopp der Gaspipeline Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland. Melnyk kritisierte die widersprüchlichen Äußerungen aus der Ampel-Koalition zu dem Thema.

Er rief die Bundesregierung angesichts der Bedrohung durch Russland auf, „klipp und klar eine gemeinsame Position zu beziehen, dass unter diesen verheerenden neuen Umständen Nord Stream 2 politisch nicht mehr tragbar ist und daher nie Betrieb gehen darf“.

[Lesen Sie auch: Flucht aus Belarus in die Ukraine: Der KGB drohte, sie im Wald zu verscharren (T+)]

Die Grünen stehen der Pipeline skeptisch gegenüber. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sieht sie dagegen als privatwirtschaftliches Projekt und hat den Genehmigungsprozess als rein unpolitisch bezeichnet.

Sprachzwang für ukrainische Printmedien

Die Spannungen zwischen den beiden Ländern werden unterdessen größer. Um das Russische zurückzudrängen, ist in der Ukraine ein Zwang zur Verwendung der Landessprache in nationalen Printmedien in Kraft getreten. Seit Sonntag müssen alle überregionalen Zeitungen und Zeitschriften in ukrainischer Sprache erscheinen.

Russische Ausgaben sind nicht verboten, aber parallel dazu muss eine ukrainische Variante in gleicher Auflage und gleichem Umfang gedruckt werden. Wirtschaftlich gilt das für die Verlage als unrentabel. Die letzte landesweite russischsprachige Tageszeitung „Westi“ (Nachrichten) stellte am 10. Januar auf Ukrainisch um.

Grundlage für den Übergang ist ein umstrittenes Sprach-Gesetz aus dem Jahr 2019, das kurz nach der Abwahl von Ex-Präsident Petro Poroschenko verabschiedet worden war. Poroschenko unterzeichnete es vor dem Amtsantritt von Präsident Wolodymr Selenskyj. Seither galt eine Übergangsfrist. Das Gesetz hat das Ziel, den Einfluss des bisher weiter dominanten Russischen im öffentlichen Raum zurückzudrängen. (dpa)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false