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Der nordmazedonische Außenminister Nikola Dimitrov warnt vor einem Rückfall in den Nationalismus auf dem Balkan.

© Tobias Schwarz/AFP

Außenminister von Nordmazedonien: „Ziel sind Beitrittsverhandlungen vor Jahresende“

Nordmazedonien setzt auf Kanzlerin Merkel, wenn es um die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen geht. Das macht Außenminister Dimitrov im Interview deutlich.

Herr Minister, setzen Sie darauf, dass es am Dienstag beim Treffen der EU-Europaminister grünes Licht für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien geben wird?

In diesem Jahr gibt es zwingende Gründe dafür, Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien aufzunehmen. Die EU-Kommission, Nichtregierungsorganisationen wie "Freedom House" und Ökonomen bescheinigen uns, dass wir bei den Reformen vorankommen. Es gibt einen ganz offensichtlichen Fortschritt in Richtung der europäischen Demokratie im Land. Dazu gehören Pressefreiheit, Rechtsstaatlichkeit und die Rechenschaftspflicht der Politikern. Hinzu kommt, dass wir zum ersten Mal in unserer Geschichte von fünf Ländern umgeben sind, mit denen es keine ernsthaften Konflikte gibt. Wir haben eine Freundschaftsvereinbarung mit Bulgarien unterzeichnet, und wir haben den Namensstreit mit Griechenland beigelegt.

Welcher Zeitplan gilt für den Beginn von EU-Beitrittsverhandlungen?

Unser Ziel ist es, vor Ende des Jahres zu Serbien und Montenegro aufzuschließen und ebenfalls Beitrittsverhandlungen mit der EU zu beginnen. Wir hoffen, dass die Entscheidung der EU möglichst früh fällt, weil wir in volatilen Zeiten leben. Ich glaube, dass wir gemeinsam mit Deutschland und den übrigen EU-Staaten eine Chance zum Erfolg haben.

Welche Rolle spielt Bundeskanzlerin Angela Merkel für den Beginn der Beitrittsverhandlungen?

Wir waren am vergangenen Donnerstag bei der Kanzlerin. Wir betrachten sie als einen Pfeiler unter den Führungspersönlichkeiten in der EU. Sie hat bei dem Treffen im Kanzleramt gesagt, dass wir die Anforderungen erfüllt haben - sowohl in der Innen- als auch in der Außenpolitik. Sie bewertet die Entwicklungen in Nordmazedonien sehr positiv. Nach ihren Worten wird der Bundestag im September über die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen entscheiden. Wir verstehen, dass der späte Zeitpunkt der Beratungen im Bundestag auch seine Ursache darin hat, dass der Fortschrittsbericht der EU-Kommission in diesem Jahr erst spät – nämlich nach der Europawahl – vorgelegt wurde.

Die EU berät nicht nur über Nordmazedonien, sondern auch über Albanien, wo es weiterhin Probleme bei der Bekämpfung der Korruption und der Organisierten Kriminalität gibt. Sehen Sie sich manchmal als Geisel der Entwicklungen in Albanien?

Es wäre gut für die Region, wenn auch Albanien am Prozess der Beitrittsverhandlungen teilnehmen könnte. Gleichzeitig kann der Beitrittsprozess aber auch nur funktionieren, wenn die Kandidaten aufgrund ihrer jeweiligen Leistungen beurteilt werden. Der Erfolg eines Landes in der Region ist eine Ermutigung für alle anderen. Auf dem Balkan brauchen wir eine positive und keine negative Dynamik. Wir haben durch den Namensstreit mit Griechenland auf unserem Weg in die EU die Zeitspanne fast einer ganzen Generation verloren. Das Problem konnten wir zumindest zum Teil aus eigener Kraft lösen. Es wäre jetzt allerdings verheerend für uns, wenn wir angesichts der Probleme in einem anderen Land blockiert würden – ohne jegliche Handhabe.

Was steht für die EU auf dem Balkan auf dem Spiel?

Wir haben alles auf die europäische Karte gesetzt. Für die EU steht aber auch viel auf dem Spiel. Denn wenn diese Gelegenheit verspielt wird, dann wird die EU jegliche Einflussmöglichkeiten in der Region verlieren. Die Botschaft wäre dann: Es lohnt sich nicht, schwierige politische Entscheidungen zu treffen.

Droht eine Rückkehr des Nationalismus, wenn demnächst keine Beitrittsverhandlungen aufgenommen werden?

Ja, denn Skeptiker könnten dann sagen: Europa meint es nicht ernst mit uns, wir müssen uns nach Alternativen umschauen. Aber wie gesagt: Wir setzen auf die Bundeskanzlerin, so dass es zum Ende des Jahres zum Start der Verhandlungen kommt.

Setzen Sie auch auf die Kanzlerin, wenn es darum geht, den französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu überzeugen? Macron möchte ja erst einmal Reformen im Inneren der EU ins Werk setzen, bevor die nächste Erweiterungsrunde kommt.

Ich würde nicht von Erweiterung sprechen, sondern eher von Konsolidierung. Hier geht es um die Europäisierung einer Region, die schon jetzt von EU-Mitgliedstaaten umgeben ist. Präsident Macron hat beim Treffen der Westbalkan-Staaten im April in Berlin die Lösung unseres Namensstreits als einen europäischen Erfolg gewürdigt. Wir haben genügend Argumente, um den französischen Präsidenten davon zu überzeugen, dass unsere Fortschritte auf einer Linie mit seinen Vorstellungen für die Reform der gesamten EU sind. Ohnehin treten wir ja nicht morgen der EU bei. Zwischen dem Beginn der Reise und dem Zeitpunkt, da wir wirklich an die Tür der EU klopfen, werden viele Jahre vergehen.

Wie groß ist das Problem des „Brain drain“ für Nordmazedonien?

Das Problem betrifft die gesamte Region. Für junge, talentierte Menschen auf dem Balkan ist es heute leichter, ins Ausland zu gehen und einträgliche Jobs zu bekommen, als zu Hause zu bleiben und für die Europäisierung ihrer Länder zu kämpfen. Deshalb haben es in diesem Punkt mit einer entscheidenden Frage für unsere Generation zu tun. Auch wenn unsere Region sehr geschichtsbeladen ist, müssen wir jetzt nach vorne schauen. Unsere Zukunft können wir selbst formen, indem wir den Handel verstärken und zu besseren Demokratien werden.

Hat die EU das Ausbluten der Mittelschicht, das in der ganzen Region zu beobachten ist, unterschätzt?

Die Region ist mit der EU wirtschaftlich eng verbunden. Mehr als drei Viertel des Handels wird mit dem EU-Binnenmarkt abgewickelt. Mehr als 70 Prozent der Direktinvestitionen auf dem Balkan kommen aus EU-Ländern. Wenn man diese Hebel richtig einsetzt, dann hat die Region ein großes Wachstumspotenzial. Unser Land zeigt, was sich allein durch die EU-Beitrittsperspektive erreichen lässt: Die Arbeitslosenquote ist gefallen, die Durchschnittseinkommen sind gestiegen. Im laufenden Quartal liegt das Wachstum bei 4,1 Prozent. Wenn es eine Region gibt, wo die EU etwas bewegen kann, dann ist es der Balkan.

Das Gespräch führte Albrecht Meier.

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