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Das Unfassbare erklären: Außenminister Heiko Maas bei seinem Besuch in Auschwitz.

© imago/photothek

Außenminister Maas in Auschwitz: „Das ist der schrecklichste Ort der Welt“

Außenminister Heiko Maas besucht die KZ-Gedenkstätte Auschwitz. Dort ruft er zum Einsatz für Menschenwürde und -rechte auf: „Unsere Verantwortung endet nie.“

Von Hans Monath

Über die Mauer aus roten Ziegelsteinen hallen laut die Sirenen von Polizei- oder Feuerwehrwagen, was der Szene etwas Unwirkliches gibt. Eigentlich soll es ein Moment der Stille sein. In einem engen, dunklen Hof vor der Mauer steht ein Mann im dunklen Anzug vor einem großen Blumenkranz. Er macht einen Schritt nach vorne, ordnet sorgfältig die zwei schwarz-rot-goldenen Schleifen, auf denen steht: "Der Bundesminister des Auswärtigen."

Heiko Maas tritt wieder zurück, er senkt den Kopf. Eine Weile steht er ganz still vor der Erschießungswand des Konzentrationslagers Auschwitz. Dann schaut er auf und geht ein paar Schritte zurück zu den beiden Männern, die ihn durch das Lager führen: Andrzej Kacorzyk, der Vizedirektor der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau, und Marian Turski, ein Mann mit gebeugtem Rücken, der nur noch an Krücken gehen kann. An die Wand gedrängt, offensichtlich beeindruckt von der Aura des Ortes, stehen 16 Anwärter für den deutschen Diplomatischen Dienst und beobachten die Szene.

Stacheldraht und Schilder

Turski, ein Journalist jüdischer Herkunft, ist Überlebender von Auschwitz, sogar Todesmärsche am Ende des Zweiten Weltkrieges hat er überstanden. Ein paar Minuten vorher unter dem KZ-Eingangstor mit dem Schriftzug "Arbeit macht frei", zwischen all dem Stacheldraht und den Schildern mit dem Totenkopf ("Halt! Stoi!") sind Maas und Turski kurz stehen geblieben. Der deutsche Außenminister hört dem Opfer deutscher Gewaltherrschaft zu, dann legt er seine Finger auf dessen Handrücken.

Eine Stunde später, auf der Rampe vor den Trümmern der Baracken des Vernichtungslagers Birkenau, wird Turski dem deutschen Gast erzählen, dass hier die Ankommenden getrennt wurden. Turski selbst hatte den verbotenen "Fremdsender" BBC gehört, wusste, dass die SS ihre Gaskammern mit irreführenden Schildern tarnte. Viele Häftlinge meinten, sie gingen nun duschen. Turski war informiert, er ging nichts ins Gas. Auch seine Mutter überlebte - als Zwangsarbeiterin in Neuengamme.

Ein Grablicht zur Erinnerung

Am Ende des Besuchs, noch vor dem Gespräch mit den Jugendlichen im Besucherzentrum und dem Treffen mit seinem polnischen Kollegen Jacek Czaputowicz im Franziskanerkloster in Harmeze, stellt Maas ein Grablicht auf am Mahnmal für die Opfer des KZ. Vor der Presse sagt er: "Ich stand jetzt in der Gaskammer von Auschwitz. Ich habe Tausende von Kinderschuhen gesehen, die ihnen auf dem Weg in die Gaskammer abgenommen worden sind, Tonnen von menschlichem Haar, das den Menschen genommen wurde, bevor sie in die Gaskammer geschickte wurden. Das ist in Worten schwer zu fassen. Das ist der schrecklichste Ort der Welt. Hier muss man sich entscheiden. Entweder verliert man den Glauben an die Menschlichkeit. Oder man gewinnt die Hoffnung und Kraft, dass die Menschenwürde gewahrt wird" - Maas macht eine kleine Pause - "und tut etwas dafür." Auschwitz sei ein Ort, der vor allem die Deutschen daran erinnere, was sie anderen millionenfach angetan hätten. Sein letzter Satz heißt: "Wir brauchen diesen Ort, denn unsere Veranwortung endet nie."

Wie einst Joschka Fischer

Schon als Student war Maas in Auschwitz, denn lange bevor er Außenminister wurde, hat er immer wieder erzählt, dass ihn dieser Schreckensort in die Politik gebracht hatte.

Der letzte Außenminister, der sich so exponiert auf Auschwitz berief, war Joschka Fischer. Er stand 1999 vor einer heiklen Entscheidung, wollte seiner Partei im jugoslawischen Nachfolgekrieg den pazifistischen Impuls austreiben. Der Grünen-Politiker führte Auschwitz als Argument an, um die Entsendung deutscher Kampfflugzeuge in Nato-Einsätze im Kosovo-Krieg durchzusetzen. Einem Völkermord, so sein Gedanke, kann ein deutscher Politiker nicht untätig zusehen, wenn er sich der Geschichte seines eigenen Landes vor Augen führt.

Deutschlands Chefdiplomat vor der Erschießungswand.
Deutschlands Chefdiplomat vor der Erschießungswand.

© imago/photothek

"Syrien ist nicht Auschwitz"

Vor ein paar Wochen, im April, war Maas nach Fischers Begründung gefragt worden. "Ich kann das gut nachvollziehen", sagte er in einem "Spiegel"-Interview. Doch der Minister kam mit seiner Ableitung eines Handlungsgebots aus der Pflicht, Massenmord zu beenden, dann ins Schleudern, nachdem das Magazin ihn fragte, warum es für die Massenmorde in Syrien keine deutsche Interventionspflicht gebe. Doch für Maas sollte plötzlich die direkte Linie, die Fischer 1999 gezogen hatte, nicht mehr gelten. "Syrien ist nicht Auschwitz", erklärte er nun.

Aber war das Kosovo vergleichbar mit Auschwitz? Der Name der effektivsten industriell organisierten Vernichtungsstätte der Nationalsozialisten schafft eine gewaltige moralische Fallhöhe, wenn ein deutscher Politiker im Jahre 2018 ihn als den Urantrieb seines Handelns bezeichnet.

Moralische Pflicht zum Handeln

Womöglich lässt der Bezug die Stärke der Verpflichtung erahnen, die ein Handelnder der Durchsetzung der Menschenrechte und bestimmter Werte verpflichtet fühlt. Eine eindeutige Handlungsanleitung, wie ein Konflikt denn gelöst werden soll - etwa mit Soldaten oder ohne - folgt in den seltensten Fällen aus einem solchen Bekenntnis. Die Entscheidung bleibt eine Entscheidung, die ohne Auschwitz auskommen muss.

Der Wunsch des jungen Linken Heiko Maas, sich mit dem Holocaust zu beschäftigen, entstand in der Schule. So zumindest hat es Maas in Israel bei einem Treffen mit sehr alten Holocaust-Überlebenden erzählt, das ihn sichtlich bewegte. Der junge Maas muss viel gefragt haben, doch vor allem seine Geschichtslehrer blieben ihm die wichtigsten Antworten schuldig.

Jedenfalls wandte sich Maas dann seiner eigenen Familiengeschichte zu, suchte nach Widerstandskämpfern - und würde nicht fündig. In der Saarländer Familie Maas fanden sich offenbar so viele Mitläufer wie in anderen Familien auch. Maas erzählte den Überlebenden in Israel: In diesem Moment an wollte er dazu beitragen, "dass es so etwas nie wieder gibt".

Das Judentum und der jüdische Staat - beides spielt für den Außenminister eine wichtige Rolle. So führte ihn eine erste Reise als Außenminister führte nach Israel, einem Land, das er sich seit Langem eng verbunden fühlt. Und auch zur jüdischen Gemeinschaft pflegt der SPD-Politiker schon lange sehr engen Kontakt. Meist ist er einer der Ersten, die Partei ergreifen, wenn Juden oder ihre Institutionen in Deutschland angegriffen oder geschmäht werden.

Erinnerung hinter Glas. Maas in einem der Räume der Gedenkstätte.
Erinnerung hinter Glas. Maas in einem der Räume der Gedenkstätte.

© imago/photothek

Kurz bevor der deutsche Außenminister vor dem Galgen stehen bleibt, an dem 16. April 1947 KZ-Kommandant Rudolf Höß den Tod fand, sehen sich dort zwei junge Leute aus Brasilien die Schrifttafel an. Beide sind gepiercet und bis über den Hals hin großflächig tätowiert.

Der junge Mann trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift "Destruction - spritual genocide". Gut, es sind keine jungen Deutschen, sondern Heavy-Metal-Fans aus Brasilien, die offenbar keine Hemmungen haben in einer KZ-Gedenkstätte die Worte "Zerstörung" und "Völkermord" spazieren zu tragen. Maas begegnet den beiden nicht. Womöglich hätten sie ihn zum Grübeln gebracht, wie schwer es werden kann, die Erinnerung an Auschwitz von Generation zu Generation weiter zu geben.

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