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2017 haben sie es vermasselt: Politiker von FDP und Grünen während der "Jamaika"-Sondierungen auf dem Balkon der Parlamentarischen Gesellschaft in Berlin.

© Michael Kappeler/dpa

Ausschließeritis, Ausschweigeritis, Konditionitis: Wenn Parteien im Wahlkampf Bedingungen stellen

Ausschließeritis ist eine Malaise auch in diesem Wahlkampf. Aber sie wird seltener. Doch gibt es zwei andere Verhaltensmuster, die problematisch werden können.

Schwarz-Gelb ist ohne Chance, Grün-Rot (oder umgekehrt) nicht drin, und für Grün-Rot-Rot stehen die Zeichen auch nicht gut. Rechtes Lager, linkes Lager – perdu. Auch in der nächsten Wahlperiode des Bundestags werden, wenn es bei den aktuellen Umfragewerten bleibt, Parteien koalieren, die sich in gegnerischen Lagern verorten.

Schwarz-Grün hat nach dem neuesten ZDF-Politbarometer eine Mehrheit, eine schwarz-rot- gelbe Kombination („Deutschland-Koalition“) könnte mit noch mehr Stimmen regieren. Knapp dran, mal unter, mal über der Regierungsschwelle: eine grün-rot-gelbe „Ampel“ und, mal wieder, ein Bündnis von Union und SPD.

Im frühen Wahlkampf versuchen die Parteien, mit ihren Programmen Alleinstellungsmerkmale herauszustellen. Aber die Koalitionsmöglichkeiten werden eine stärkere Rolle spielen, je näher der Wahltag rückt. Angesichts knapper Prognosen will jedoch keine Partei sich zu sehr festlegen.

Das Mehrparteiensystem mit seiner Vielfalt an Möglichkeiten verursacht allerdings auch ein Dilemma beim Mobilisieren der Wähler. Einerseits ist das Links-Rechts-Schema nicht verschwunden, andererseits das Kämpfen in alten Gräben passé. Ganz haben sich die Parteien noch immer nicht darauf eingestellt. Aber sie lernen dazu.

In diesem Prozess spielt seit einigen Jahren ein Wort eine zentrale Rolle: „Ausschließeritis“. Gemeint ist das Krankheitsbild, koalitionspolitisch dieses oder jenes von vornherein abzulehnen – auch wenn’s später weh tun sollte. Den Begriff prägte der hessische Grüne Tarek Al-Wazir, der seine Partei bald darauf in eine Koalition mit der CDU führte. Was natürlich nur möglich war, weil man diese Option vorher nicht ausgeschlossen hatte.

In der breiten Mitte alles im Gespräch

Und jetzt? „Ausschließeritis bezogen auf die Koalitionssignale ist in diesem Wahlkampf bisher kaum auszumachen“, sagt der Politologe Volker Best – „sieht man einmal davon ab, dass keine andere Partei mit der AfD regieren möchte und Union und FDP es wie immer ablehnen, mit der Linken zu koalieren.“ In der breiten Mitte seien alle denkbaren Koalitionen im Gespräch. Und die Linke sei für ein Bündnis mit Grünen und SPD offener als in früheren Wahlen.

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Aber ganz erledigt ist das Virus noch nicht. Norbert Walter-Borjans etwa hat es sich unlängst eingefangen. „Entweder führen oder nichts“, sagte der SPD-Chef in einem Zeitungsinterview. Weitere vier Jahre als Juniorpartner seien keine Option. Das gelte in Bezug auf die Union wie auf die Grünen.

Best meint, das entspreche zwar der Strategie der SPD, „die Frage der Kanzlerschaft aufzuplustern“, um mit der Regierungserfahrung von Olaf Scholz zu punkten. „Dennoch ist es unklug. Gerade die SPD, die sich ja als Programmpartei versteht, sollte dem Wähler nicht signalisieren, dass ein Bündnis grundsätzlich nur möglich ist, wenn man selber die erste Geige spielt. Das kommt als verletzte Eitelkeit an.“

Lindner hat sich angesteckt

Angesteckt ist neuerdings auch Christian Lindner. Er hat sich entschlossen, bestimmte Optionen als „inhaltlich und rechnerisch abwegige Szenarien“ zu bezeichnen – weil sie seinen Wahlkampf stören. Gemeint ist die Ampel-Koalition, ob grün oder rot geführt. Der FDP-Chef fürchtet offenbar Stimmenverluste, sollte er die Frage länger offenhalten. „Die demonstrative Nähe zur Union soll wohl helfen, Wähler von dieser abzuziehen", meint Best. Lindner setzt damit allein auf „Jamaika“ oder die Deutschland-Koalition. Oder auf Opposition.

Schwarz-Rot- Gelb aber hält Walter-Borjans für abwegig. Denn eine solche Koalition würde ja, Stand heute, nicht von der SPD geführt. Und die Option passt grundsätzlich nicht zur Wahlkampflinie der SPD, eine Mehrheit jenseits der Union anzustreben – will heißen: eine Ampelkoalition. So hat Lindner der SPD den Schwung genommen.

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Best hat zwei weitere politische Maladien ausgemacht, die aufkamen, als die Parteien der „Ausschließeritis“ zu entgehen versuchen. Zum einen ist da die „Ausschweigeritis“, also das Vermeiden von kontroversen Diskussionen, um sich alle Wege offenzuhalten. Zum anderen die „Konditionitis“, das Aufstellen inhaltlicher Bedingungen für Koalitionen. Letzteres war 2017 zu beobachten, als Grüne und FDP in der Endphase des Wahlkampfes mit Listen voller Forderungen auftraten, die in Koalitionsverhandlungen durchzusetzen seien.

Ausschweigeritis bei der Union

Und heute? „Ausschweigeritis mit Blick auf das Programmatische sehen wir vor allem bei Armin Laschet und der Union“, sagt der an der Universität Aachen lehrende Politologe. Laut Best will sich die Union möglichst lange bedeckt halten.

„Daher wohl auch das lange Warten mit dem Wahlprogramm und dessen Beschluss in Parteigremien statt auf Parteitagen, wo es zu Richtungsdebatten hätte kommen können.“ Die Union habe derzeit nur lagerübergreifende Koalitionsmöglichkeiten, sehe sich aber als „natürliche“ Regierungspartei – laut Best zwei Gründe, vorsichtig zu bleiben und nicht zu konkret zu werden.

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"Die Union versucht es auch wieder mit asymmetrischer Mobilisierung, nur eben nicht mehr gegen die SPD, sondern gegen Grüne und FDP", beobachtet der Wissenschaftler. "Also wird Klimaschutz angeboten, aber mit ‚Maß und Mitte'. Und es geht auch darum, der FDP das Thema Steuersenkungen nicht allein zu lassen."

In der heißen Phase des Wahlkampfes werde das nicht mehr gehen. "Dann muss insbesondere die CDU mehr Kante zeigen, damit ihr die Wähler nicht zur FDP abwandern, denn auf ihre populäre Amtsinhaberin kann sie diesmal nicht mehr zählen", sagt Best.

Auch die Grünen sind nicht frei davon

Bezogen auf Koalitionssignale gelte das Gebot des Ausschweigens aber auch für die Grünen. Bests Beobachtung: „Nicht einmal bezüglich der Präferenz zwischen verschiedenen Optionen will man sich äußern, was ja nicht direkt den Ausschluss einer Option bedeuten müsste.“

Doch hat das auch einen nachvollziehbaren Grund: Die Grünen sind in diesem Wahlkampf in der eigentlich ganz angenehmen Situation, die größte Bandbreite an Koalitionsmöglichkeiten zu haben – von Schwarz-Grün/Jamaika über die Ampel bis zu Grün-Rot-Rot. Da ist das Schweigen zu Präferenzen praktisch die Folge der von Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ausgegebenen Devise, keine „Ausschließeritis“ zu betreiben. Best glaubt, dass es mit Blick auf ihre Wähler dennoch interessant sein könnte, Koalitionspräferenzen der Grünen zu erfahren.

Tritt Konditionitis auf wie 2017?

Konditionitis hält sich bisher in Grenzen bei den Grünen, ein Zeichen für höheren Regierungswillen. „Eine rote Linie haben sie bisher nur beim Nebenthema Tempolimit gezogen“, sagt Best. „Es ist aber nicht auszuschließen, dass hier noch das eine oder andere hinzukommt, um angesichts schwächelnder Umfragewerte wieder etwas an Profil zu gewinnen, etwa mit Blick auf die Neuzulassung von Verbrennungsmotoren – wie schon 2017 – oder ein Vorziehen des Kohleausstiegs.“

Insgesamt kann Best „Konditionitis“ in diesem Wahlkampf nicht in dem Ausmaß erkennen wie vor vier Jahren. Der Grund: „Seither weiß man, dass detaillierte Bedingungskataloge das Bilden von Koalitionen verhindern können. Man darf also hoffen, dass die Lektion von 2017 gewirkt hat.“

Andererseits sei das Betonen von „Markenkernen“ gut für die Mobilisierung von Wählern. Man wolle zeigen, dass nicht alles im Programm als bloße Verhandlungssache diene. Das könnte im weiteren Verlauf des Wahlkampfes noch kommen. „Nicht zuletzt bei der FDP“, glaubt Best. „Sie könnte sich damit von einer sehr pragmatisch auftretenden CDU abheben.“ Lindner teste konkrete Bedingungen auch schon, etwa wenn er fordere, die Grünen dürften das Finanzressort nicht bekommen.

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