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Demonstranten protestieren vor der saudi-arabischen Botschaft in Wien gegen die gewaltsame Bestrafung des Bloggers Raif Badawi.

© dpa

Auspeitschen von Raif Badawi in Saudi-Arabien: Hinrichtung auf Raten

Das Auspeitschen des Bloggers Raif Badawi ist ein Schlüsselmoment für uns und für Saudi-Arabien: Der König liegt im Sterben, die Nachfolge ist ungeklärt, das Land steht zwischen Reform und Restauration. In dieser Situation muss ein Ausweg für eine Begnadigung gefunden werden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Noch kann Raif Badawi gerettet werden. Dem Blogger droht weiter eine Hinrichtung auf Raten: Tausend Schläge mit einem Stock auf Beine und Rücken, verteilt über 20 Wochen – jeden Freitag 50 in einer öffentlichen Zeremonie. Die Behörden haben die Ausführung gestern nur verschoben, nicht die Strafe aufgehoben. Sage keiner, so sei die Rechtsordnung dort, und ein junger Mann ohne Gesundheitsprobleme könne die Tortur eventuell überleben. Selbst wenn er sie physisch durchhielte – während tausende Kehlen zustimmend Allah preisen –, wären Seele und Persönlichkeit zerstört. Er wäre nicht mehr der Mensch, der mit Mut und Würde für ein anderes Saudi-Arabien eintrat.

Das Urteil und die Vollzugsmethoden schreien zum Himmel. Saudi-Arabien ist Mitglied der Vereinten Nationen, hat die UN-Erklärung der Menschenrechte, die die Meinungsfreiheit schützt, und die Anti-Folter-Konvention unterzeichnet.

Manche werden dem Westen Doppelmoral vorhalten. Dass seine Verteidiger die Werte nur dann beschwören, wenn es politisch opportun sei. Dass die Saudis eben noch als Verbündete, Öllieferanten und Großinvestoren hofiert wurden. Dass auch die USA gefoltert haben und die Todesstrafe vollstrecken, dass China jedes Jahr mehrere Tausend hinrichtet und hart gegen Dissidenten vorgeht, dass in Russland Andersdenkende verprügelt und mit dem Tod bedroht werden, von Iran und Nordkorea zu schweigen.

Doch eine offen verkündete und vollzogene Hinrichtung auf Raten, allein wegen regierungskritischer Blogs – das ist eine andere Dimension. In den Tagen nach dem Journalisten-Massaker in Paris, nach dem internationalen Schulterschluss gegen Terror und für Meinungsfreiheit wirkt das wie eine gezielte Provokation und trotziges Beharren: Uns kann keiner, wir trauen uns das, auch jetzt!

In manchen Momenten summiert sich eine verbrecherische Monstrosität – da muss man sich empören. Da verdrängt der moralische Imperativ die kühl analysierende Realpolitik. Da geht „business as usual“ einfach nicht mehr. Da reicht der Protest des Menschenrechtsbeauftragten des Bundesregierung, Christoph Strässer, nicht; da müssen Kanzlerin und Außenminister mit Worten und Taten zeigen, warum Deutschland 2015 den Vorsitz der UN-Menschenrechtskommission beansprucht. Da wirkt ein Jahresempfang des Bundespräsidenten für das Diplomatische Korps, zu dem der saudische Botschafter erscheint, als gebe es keine besonderen Vorkommnisse und niemand sichtbar die Missbilligung ausdrückt, auch nicht die Botschafter anderer Länder, die sonst so viel Wert auf die Menschenrechte legen, fehl am Platz.

Dies ist ein Schlüsselmoment für uns und für Saudi-Arabien: Das Land ist in einer Umbruchsituation, der König liegt im Sterben, die Nachfolge und was sie bedeutet – Reform oder Restauration – ist ungeklärt, die Behörden überreagieren, auch aus Angst vor Umsturz. Der Fall Badawi wird zum außenpolitischen Desaster für die Saudis in einem Moment, wo sie vielerorts an Einfluss verlieren. Angesichts der Ölschwemme und der Aussicht auf Beilegung des Atomkonflikts mit Iran werden sie weniger gebraucht als früher. Es ist ein guter Moment für Politik und Wirtschaft, um ihnen zu sagen, dass sie einen Ausweg für Raif Badawi finden müssen – Begnadigung, Ausreise zu seiner Familie nach Kanada – und zwar rasch, bevor er ein gebrochener Mann ist. Denn unsere Gesellschaft trägt ein Weiter-So bei Ölverträgen und Rüstungslieferungen nicht mehr passiv mit.

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