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Zunächst für 15 Tage hat die Armee in Teilen des Landes die Kontrolle übernommen.

© Juan Gonzallez/Reuters

Ausnahmezustand im Süden Chiles: Mit Militär gegen die Mapuche

Chiles Regierung hat den Ausnahmezustand über einige Provinzen im Süden verhängt. Es droht eine Eskalation der Gewalt mit den indigenen Mapuche.

Chiles Präsident Sebastián Piñera hätte sich keinen schlechteren Tag für die Ausrufung des Ausnahmezustands aussuchen können. Am Dienstag dekretierte er, dass das Militär in den südlichen Provinzen Biobío, Arauco, Malleco und Cautín die Kontrolle übernehmen solle, um die „schwerwiegenden Störungen der öffentlichen Ordnung“ zu beenden.

In den Provinzen 600 Kilometer südlich von Santiago leben vor allem Angehörige der indigenen Mapuche. Sie hatten wiederholt für die Rückgabe ihres Landes demonstriert, wobei es auch zu schweren Ausschreitungen kam.

Allerdings war Dienstag auch der 12. Oktober, das Datum, an dem die Spanier 1492 erstmals Fuß auf amerikanischen Boden setzten. Für Amerikas Ureinwohner markiert es den Beginn von Unterwerfung, Versklavung und Völkermord. Zwar betonte Piñera, dass seine Entscheidung sich nicht gegen die Mapuche als Volk richte, sondern dazu diene „mit besseren Instrumenten gegen den Terrorismus, den Drogenhandel und das organisierte Verbrechen vorzugehen“.

Aber gegen die Symbolik des Dekrets konnte er wenig ausrichten – es wirkte wie die Fortsetzung der mehr als 500 Jahre andauernden Unterdrückung der Ureinwohner durch weiße Kolonisatoren.

Die Mehrheit der Mapuche lebt in Armut

Der Konflikt mit den Mapuche ist eins der großen Probleme Chiles. Er zeigt , was passiert, wenn Regierungen ausdauernd soziale Widersprüche ignorieren. Die Mapuche sind mit 1,7 Millionen Menschen die größte ethnische Gruppe Chiles. Seit Jahrzehnten fordern sie die Rückgabe ihres angestammten Landes, das sich in den Händen von Holzunternehmen und Großgrundbesitzern befindet.

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Die große Mehrheit der Mapuche lebt in Armut und muss mit ansehen, wie ihr Land durch die expandierende Holzindustrie immer weiter schrumpft.

Das Ausbleiben einer Antwort auf die Forderungen der Mapuche hat in den vergangenen Jahren zu einer Eskalation der Gewalt geführt. Immer wieder werden Straßen blockiert sowie Brandanschläge auf staatliche und private Einrichtungen, Landwirtschaftsmaschinen, die touristische Infrastruktur und sogar christliche Kirchen verübt. Die Polizei antwortete darauf oft mit Willkür.

Sebastian Pinera (M), Präsident von Chile, verkündet am Dienstag vom Präsidentenpalast La Moneda in Santiago aus den Ausnahmezustand im Süden des Landes.
Sebastian Pinera (M), Präsident von Chile, verkündet am Dienstag vom Präsidentenpalast La Moneda in Santiago aus den Ausnahmezustand im Süden des Landes.

© Esteban Felix/AP/dpa

Um den Forderungen der Mapuche Nachdruck zu verleihen, gründete sich bereits 1998 die militante Gruppe Coordinadora Arauco-Malleco (CAM). Ihre vermummten Mitglieder stellen schwere Waffen zur Schau, die sie auch einsetzen. Bei Schießereien kam es bereits zu Toten und Verletzen.

Der Staat betrachtet die CAM als terroristische Organisation. Ihre Führung hat nun bekannt gegeben, dass ihre Kampfgruppen sich auf Konfrontationen mit dem Staat vorbereiteten. Der Ausnahmezustand gilt zunächst für 15 Tage, kann aber verlängert werden. Ohnehin kommt die Eskalation zur Unzeit.

Auf dem Weg zu einer neuen Verfassung

Chile gibt sich gerade eine neue Verfassung. Eine 155-köpfige gewählte Versammlung arbeitet seit Juli an einer neuen Carta Magna, die sie 2022 der Bevölkerung zur Abstimmung vorlegen will. Die alte Verfassung stammt aus der Zeit der Pinochet-Diktatur und war von vielen Chilenen für die tiefen sozialen Gräben im Land verantwortlich gemacht worden.

Hunderttausende demonstrierten 2019 trotz brutaler Polizeigewalt wochenlang für ihre Abschaffung. Die Versammlungsvorsitzende ist Elisa Loncón, eine Mapuche. Sie nannte die Verhängung des Ausnahmezustands durch Piñera „verstörend“.

Für Chiles Opposition ist die Militarisierung des Konflikts im Süden Chiles ein klares Ablenkungsmanöver Piñeras. Der konservative Politiker und Unternehmer steht unter Druck, weil Chiles Generalstaatsanwalt vor einigen Tagen Korruptionsermittlungen gegen ihn eingeleitet hat.

Im Zuge der Veröffentlichung der Pandora Papers wurden Unregelmäßigkeiten beim Verkauf eines Bergbauunternehmens durch Piñeras Familie sowie Steuerunregelmäßigkeiten bekannt. Chiles Opposition brachte deswegen am Mittwoch einen Antrag zu seiner Absetzung im Parlament ein.

Im November wird ein neuer Präsident gewählt

Allerdings endet Piñeras Präsidentschaft ohnehin im kommenden März. Am 21. November wählen die Chilenen einen neuen Präsidenten und ein neues Parlament. Piñera darf nicht mehr antreten. In den Umfragen liegt derzeit Gabriel Boric vorne, der Kandidat der links-progressiven Frente Amplio, die gemeinsam mit den Kommunisten regieren will.

Aber auf dem zweiten Platz folgt schon der ultra-rechte Anwalt José Antonio Kast, ein Bewunderer des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump und von Brasiliens Staatsoberhaupts Jair Bolsonaro. Er will unter anderem einen Graben zum Nachbarland Peru ausheben lassen, um die Immigration zu kontrollieren. So hat Kast den von Piñera bevorzugten Kandidaten, Sebastián Sichel, rechts überholt.

Dieser verkündete bereits, dass er die von Piñera angeordnete Militarisierung der Mapuche-Regionen voll unterstütze und sogar ausweiten würde. Er warnte vor einem Kontrollverlust in den südlichen Territorien Chiles. Es wirkte auch wie der Versuch, Stimmen am rechten Rand zurückzugewinnen.

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