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Politik: Ausgemustert

Ab heute ist die Bundeswehr eine Freiwilligenarmee Königshaus: „Völlige Veränderung des Charakters“

Von Michael Schmidt

Berlin - Das war’s. Die Wehrpflicht ist Geschichte. Nach 55 Jahren, in denen mehr als acht Millionen junge Männer ihren Pflichtdienst geleistet haben, wird an diesem Freitag die Bundeswehr zu einer Berufs- und Freiwilligenarmee. Obwohl sie damit nachvollzieht, was dem Trend in anderen Nato-Staaten entspricht, galt dieser Schritt noch vor eineinhalb Jahren als undenkbar. Deutschland ohne Wehrpflicht? Das sei mit der Union nicht zu machen, hieß es. So ohne weiteres werde die auf ihren Markenkern nicht verzichten. Und überhaupt: Der Staatsbürger in Uniform – gehört der nicht zum Selbstverständnis der Bundesrepublik? Es kam anders. Und das atemraubend schnell.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) machte Anfang letzten Jahres seinen Kabinettskollegen klar, dass die Regierung vor allem dreierlei Ziele verfolge: sparen, sparen, sparen. Der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) preschte vor und propagierte eine deutsche Armee, die kleiner, moderner, effizienter und damit fitter für das 21. Jahrhundert und die Herausforderungen der zahlreicher werdenden Auslandseinsätze sein sollte. Wichtiger Bestandteil der Reform, die der inzwischen über eine Plagiatsaffäre um seine Doktorarbeit aus dem Amt gestolperte Minister dann mit Aplomb anschob, war die Aussetzung der Wehrpflicht, die im Juli 1956 per Gesetz eingeführt worden war. Die ersten 10 000 Wehrpflichtigen wurden zum 1. April 1957 eingezogen. Die letzten 12 000 Wehrpflichtigen wurden zum 3. Januar dieses Jahres einberufen. Ihre sechsmonatige Dienstzeit endete am Donnerstag. Die Wehrpflicht wird allerdings nur ausgesetzt, nicht abgeschafft: Sie bleibt im Grundgesetz verankert und kann bei Bedarf mit einfacher Mehrheit in Bundestag und Bundesrat wieder eingeführt werden.

Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) will künftig mit dem Slogan „Wir. Dienen. Deutschland“ die Nachwuchswerbung verstärken. Der Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus (FDP) tritt für ein Bündel von Attraktivitätsmaßnahmen ein, um die angestrebte Personalstärke der Bundeswehr von 175 000 Soldaten zu sichern. Am Montag will De Maizière die ersten freiwillig Wehrdienstleistenden in Berlin begrüßen. Ihr Dienst wird bis zu 23 Monate dauern und mit 777 bis 1146 Euro monatlich vergütet. Der Minister setzt darauf, dass künftig mindestens 5000 Freiwillige der Bundeswehr angehören werden.

Königshaus sagte, die Aussetzung der Wehrpflicht bedeute eine „völlige Veränderung des Charakters der Bundeswehr“. Niemand müsse sich mehr zwangsläufig mit der Truppe befassen. Mit den bisherigen Bewerberzahlen zeigte sich Königshaus zufrieden, betonte aber, dass man sich trotzdem nicht zurücklehnen könne. „Man muss schon sehen, dass man mehr Attraktivität schafft“, sagte der Wehrbeauftragte des Bundestags. Er sprach sich dafür aus, den Soldaten durch ein neues Stationierungskonzept häufige Standortwechsel zu ersparen. Er zeigte sich auch offen für die Aufnahme von in Deutschland lebenden Ausländern in die Bundeswehr. Für Bewerber ohne deutschen Pass müsste es dann allerdings auch „eine vereinfachte Möglichkeit der Einbürgerung“ geben. Die Gefahr einer Entwicklung der Bundeswehr zu einer „Unterschichtenarmee“ nach dem Aussetzen der Wehrpflicht sieht der Wehrbeauftragte nicht.

Die Bundeswehr – sie ist nicht mehr, was sie einmal war. Ob die Veränderungen sie besser oder schlechter machen, das wird die Zukunft zeigen müssen.

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