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Öffentlich religiös: Zum Fastenbrechen beteten Gläubige der Neuköllner Sehitlik-Moschee in diesem Sommer erstmals im Freien - auf dem nahen Tempelhofer Feld.

© Doris Spiekermann-Klaas

Ausbildung deutscher Imame: Islam-Konferenz will muslimisches Gemeindeleben stärken

Geistliche sollen die Moscheen selbst ausbilden, aber der Staat übernimmt, wie bei der christlichen Wohlfahrt, Kosten für muslimische Sozialarbeit.

Die jüngsten tödlichen Anschläge in Wien und Frankreich mit islamistischem Hintergrund haben Europa erneut aufgeschreckt. Am Dienstag trafen sich die Bundeskanzlerin und Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron, um zu beraten, wie des Problems Herr zu werden sei. Die Ausbildung muslimischer Geistlicher in Europa gilt als ein wesentliches Mittel, Radikalisierung zu verhindern – in diesen Tagen schlug EU-Ratspräsident Michel das während eines Solidaritätsbesuchs in Österreich vor. Kanzlerin Merkel lobte dabei die Erfolge von 14 Jahren Deutscher Islam-Konferenz (DIK) und der Verankerung islamischer Theologie an deutschen Hochschulen. Am Dienstag stand das Thema – freilich seit langem geplant – auch auf der Tagesordnung der DIK. Dabei gab es nach den Worten von Bundesinnenminister Horst Seehofer „breite Unterstützung“ für den hiesigen Ansatz. Schon am Morgen hatte sein für die Konferenz zuständiger Staatssekretär Markus Kerber im Rundfunk klargemacht, dass die Zahl der aus dem Ausland kommenden „Import-Imame“ in den nächsten Jahren gegen null gehen müsse. Das habe er bereits 2018 der Regierung in Ankara gesagt.

"Nicht jeder Attentäter ein eifriger Moscheegänger"

Seinerzeit ging es allerdings weniger um Radikalisierung und Terror: Ditib-Imame waren in die Schlagzeilen geraten, weil sie offenbar Gemeindemitglieder bespitzelt und vermeintliche oder tatsächliche Anhängerinnen und Anhänger der Gülen-Bewegung denunziert hatten, die der türkische Staatspräsident Erdogan als Drahtzieherin des Putschsversuchs von 2016 verfolgt und zu Tausenden ins Gefängnis gebracht hat. Viele Muslime, darunter auch erfahrene Ex-Funktionäre türkisch geprägter Verbände, beklagen insgesamt die Türkei-Orientierung des von Ankara geschickten Personals, das wenig Interesse am deutschen Alltag der Gläubigen habe und auf Karrieren in der Türkei setze. Das führte etwa in der Sehitlik-Moschee in Berlin-Neukölln vor wenigen Jahren dazu, dass die liberale Gemeindeführung zurücktreten musste.
Am Dienstag nannte das BMI allerdings vorzugsweise die Vorbeugung gegen Radikalisierung. Die Verankerung der Imamausbildung in Deutschland durch in Deutschland lebende Muslime in deutscher Sprache sei die deutsche Gegenstrategie, „um genau das zu unterbinden, was wir in ganz Europa seit vielen Jahren beobachten, nämlich eine ungute Einflussnahme durch das Ausland“, sagte Kerber am Dienstag im WDR5-„Morgenecho“ vor Beginn der Islamkonferenz.
Kerber war bereits 2006 unter Innenminister Wolfgang Schäuble, der sie erstmals berief, der wichtigste Architekt der Deutschen Islam-Konferenz. 2018 rief ihn Seehofer zurück ins Haus.
Der Staatssekretär wies im WDR auch darauf hin, dass von den heute in Deutschland tätigen Moscheevorbetern keine Radikalisierung ausgehe und dass die überwiegende Mehrheit der Musliminnen und Muslime nichts mit Extremisten gemein habe. „Und nicht jeder Attentäter war vorher ein eifriger Moscheegänger“, sagte Kerber.

Staat und Muslime gehen weiter aufeinander zu

Seit mehr als zehn Jahren gibt es islamische Theologie an mehreren deutschen Universitäten. Zunächst in Frankfurt am Main, Osnabrück, Münster, Tübingen, Erlangen Nürnberg, schließlich auch in Berlin und Paderborn. Ausdrücklich war auch das Ziel, damit Ausbildungsstätten für muslimische Geistliche zu schaffen.
Staatssekretär Kerber lobte am Dienstag vor allem das neue Osnabrücker Kolleg, das ab 2021 jährlich 20 bis 30 Geistliche, Seelsorgerinnen und Gemeindefachleute ausbilden soll. Es gebe ein großes Bedürfnis der muslimischen Bürger, ihre religiösen Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen. Osnabrück werde hoffentlich ein positiv identitätsstiftendes und Radikalisierung vermeidendes Vorbild für ähnliche Projekte.
Ein Problem hieß und heißt: Geld. Die etwa aus der Türkei geschickten Imame kosten die Gemeinden nichts, während akademisch ausgebildetes Seelsorgepersonal sogar erheblich teurer würde. Auch hier zeichnet sich, vorerst als Projektförderung, eine Lösung ab. Beim Programm „Moscheen für Integration“, so Kerber, übersteige die Nachfrage bereits das Angebot. Der Gedanke dahinter: Die Moscheen werden von den Kosten sozialer Aufgaben wie Alten- und Jugendarbeit, entlastet, um mit den freiwerdenden Summen Geistliche zu finanzieren. Etwas anderes lasse das deutsche Religionsverfassungsrecht auch gar nicht zu, betonten Seehofer wie Kerber. Zudem, so Kerber, seien die Gemeinden mehr und mehr motiviert, den eigenen Anteil zu steigern, weil sie das Engagement des Staats sähen. „Das Programm kommt gut an“ und zeige, „dass Staat und muslimische Religionsgemeinschaften sich weiter aufeinander zubewegen“.

Seehofer lobte, dass der ständige Austausch zwischen Staat und Islam, als dessen Forum die DIK geplant war, „jetzt seine Früchte“ trage. Sie laufe zudem „viel entspannter“ ab als früher. Dafür danke er ausdrücklich den muslimischen Vertreterinnen und Vertretern. „Wir lassen uns durch Terrorismus und Islamismus nicht aus der Bahn bringen“, fügte der Minister an.

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