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Braungebrannt: Thilo Sarrazin bei der Vorstellung seines Buchs "Feindliche Übernahme".

© AFP

Auftritt Thilo Sarrazin: Die Debatte um seine Großprovokation noch immer nicht verwunden

Wie Thilo Sarrazin sein neues Buch „Feindliche Übernahme“ bewirbt – mit den Fakten nimmt er es nicht ganz genau.

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So urlaubsbraun, wie Thilo Sarrazin zur Vorstellung seines neuen Buches erscheint, hat man sich den Autor nach der Lektüre nicht vorgestellt. Das Buch ist seit Donnerstag im Handel, rund acht Jahre nach „Deutschland schafft sich ab“ und der ersten Sarrazin-Debatte. „Feindliche Übernahme“ heißt es, „Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht“. Es ist ein alarmistisches und gleichzeitig beleidigtes Buch. Beim Lesen stellt man sich einen verbiesterten Thilo Sarrazin vor, einen, der die Debatte um seine erste Großprovokation noch immer nicht recht verwunden hat.

Am Donnerstag präsentiert er es dann aber entspannt onkelhaft in den Räumen der Berliner Pressekonferenz, an der Seite des ehemaligen Neuköllner Bürgermeisters Heinz Buschkowsky, ebenfalls entspannt onkelhaft. Nach dem Erscheinen von Sarrazins erstem Buch hatte Buschkowsky über einige Passagen geurteilt, die seien „nackter Rassismus“. Heute haben die beiden offenbar genug gemeinsam. Beide sorgen sich um die Freiheit der Meinungsäußerung in Deutschland. Beide haben sich längst von jedem sorgsamen Umgang mit politischer Sprache (sie selbst würden sagen: politischer Korrektheit) verabschiedet. Sie haben kein Problem damit, vom „Fortpflanzungsverhalten“ der Muslime zu reden (Buschkowsky), oder von ihrer minderen „kognitiven Leistungsfähigkeit“ (Sarrazin), oder von der „Vermischung“ von Menschen unterschiedlicher Herkunft (nochmal Sarrazin).

(Eine ausführliche Buchbesprechung lesen Sie hier.)

Der umstrittene Autor und frühere Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin will in der SPD bleiben. „Ich fühle mich in der SPD, in der ich aufwuchs, nach wie vor gut aufgehoben“, sagte Sarrazin am Donnerstag in Berlin bei der Vorstellung seines neuen Buchs über den Islam. Er sei seit 45 Jahren Mitglied der SPD. Im Jahr seines Beitritts habe die Regierung von Willy Brandt den „umfassenden Zuzugsstopp für Gastarbeiter“ erlassen, sagte Sarrazin. Auch der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt habe sich in seinen Büchern „wiederholt über die kulturellen Gefahren muslimischer Einwanderung ausgelassen“. 1973 trat der Anwerbestopp für neue Gastarbeiter in Kraft.

In der SPD mehren sich derweil die Forderungen, Thilo Sarrazin aus der Partei zu werfen. Der Grund ist das neue Buch des ehemaligen Berliner Finanzsenators und früheren Bundesbank-Vorstandsmitglieds, das an diesem Donnerstag erscheint. Es trägt den Titel „Feindliche Übernahme“ und ist ersten Rezensionen nach zu urteilen ein echter Sarrazin, voller provokanter Formulierungen und steiler Thesen. Wie schon im Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ nimmt der Autor in dem neuen Buch Muslime ins Visier, warnt Deutschland vor einer „Überwältigung durch den Islam“.

Parteipräsidium prüft neues Verfahren

Viele seiner Genossen bringt das auf die Palme. SPD-Generalssekretär Lars Klingbeil ist klar für einen Parteiausschluss. Am Donnerstag legte er Sarrazin einen Austritt nahe. „Thilo Sarrazin ist ein verbitterter Mann, der nur noch in der SPD ist, um seine absurden Thesen zu vermarkten“, sagte Klingbeil der Deutschen Presse-Agentur. In einer Erklärung des SPD-Präsidiums hieß es, Sarrazin sollte sich „eine andere politische Heimat suchen.“ Nun soll nach Angaben der Deutschen Presse-Agentur eine Expertenkommission Sarrazins Buch begutachten - und prüfen, ob die Schrift einen Grund für einen Rauswurf aus der SPD darstellt.

„Die Jusos sind klar für einen neuen Versuch, Sarrazin rauszuwerfen“, hatte zuvor Kevin Kühnert, der Chef der SPD-Jugendorganisation, der „Rhein-Neckar-Zeitung“ gesagt. Sarrazin hat in den vergangenen Jahren bereits zwei Parteiausschlussverfahren überstanden. Beide waren wegen ähnlicher Äußerungen wie in seinem neuen Buch eingeleitet worden – und scheiterten. Das rote Parteibuch hat Sarrazin bis heute.

Eine erneute Niederlage gegen Sarrazin will die SPD-Spitze jetzt offenbar verhindern. Nach Tagesspiegel-Informationen hält das Parteipräsidium im Laufe des heutigen Tages eine Telefonkonferenz ab, um das weitere Vorgehen zu beraten. Dabei wird geprüft, ob ein erneutes Parteiordnungsverfahren eingeleitet werden kann.

Die Hürden für den Entzug des Parteibuchs sind hoch. Für einen Rauswurf – die härteste aller Parteistrafen – muss einem Mitglied eklatantes Fehlverhalten nachgewiesen werden. Die Sarrazin-Gegner argumentierten in der Vergangenheit stets mit dem „Verstoß gegen die Grundsätze der Partei“. Doch die Schiedskommission des SPD-Kreisverbandes Charlottenburg-Wilmersdorf sah das im März 2010 anders und wies die Ausschlussanträge der beiden Kreisverbände Spandau und Pankow ab.

Das zweite Parteiordnungsverfahren gegen den Buchautor endete 2011 mit einer „gütlichen Einigung“. Sarrazin hatte als Reaktion auf das Verfahren eine Erklärung veröffentlicht, in der er sich zwar allgemein von rassistischer Diskriminierung distanzierte. Von seinen umstrittenen Äußerungen, dem Grund für den ganzen Ärger in der Partei, nahm er jedoch nichts zurück. Dennoch zog Andrea Nahles, damals SPD-Generalsekretärin und jetzt Parteichefin, ihren Ausschlussantrag zurück. Das gleiche taten drei weitere Sarrazin-Gegner, die ihn aus der Partei werfen wollten.

"Sarrazin ist schon viel zu lang in der SPD"

Geht es nach der Bundestagsabgeordneten Daniela Kolbe, dann wird das kein weiteres Mal passieren. „Sarrazin ist schon viel zu lang in der SPD“, sagte die Sozialdemokratin, die Mitglied im Bundesvorstand der Partei sowie Generalsekretärin der sächsischen SPD ist. „Wenn man nicht in die Sozialdemokratie gehört, dann muss man ausgeschlossen werden. Wichtig ist aber, dass man das parteirechtlich sauber macht, damit das auch klappt. Da ist es besser, sich die Zeit zu nehmen, anstatt jetzt etwas zu überstürzen – und den Parteiausschluss so möglicherweise zu gefährden.“

Auch in Sarrazins Berliner Landesverband mehren sich die Stimmen für einen Rauswurf. Die Kreuzberger Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe sagte dem Tagesspiegel: „Alleine der Titel des Buches 'Feindliche Übernahme' sagt schon alles über das Denken des Herrn Sarrazin. Was Sarrazin sagt, seine rassistischen Äußerungen, sind nicht vereinbar mit den Grundsätzen der SPD. Ich habe das Ausschlussverfahren gegen ihn schon vor Jahren unterstützt und tue das jetzt wieder."

Aziz Bozkurt, Mitglied der Berliner SPD und Bundesvorsitzender der parteiinternen Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt, sieht das ähnlich. „Sarrazin versucht seinen Rassismus mit dem SPD Parteibuch zu vergolden“, sagte Bozkurt. „Er hat sich schon lange von der Sozialdemokratie verabschiedet. Wobei zu bezweifeln ist, dass er jemals etwas mit unseren Werten zu tun hatte. Deshalb muss man das jetzt auch eindeutig klären und ihn ausschließen.“

Sarrazin bediene in seinem neuen Buch das Klischee „vermeintlich rückständiger Gruppen, die per se nicht in unsere Gesellschaft passen würden“. In Wirklich aber sei der ehemalige SPD-Finanzsenator selbst „derjenige, der im Gestern und außerhalb unserer weltoffenen Gesellschaft verhaftet ist“. (mit dpa)

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