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Gerhard Schröder (SPD) und Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen) nehmen an der Podiumsdiskussion: Das "rot-grüne Projekt" zum 20. Jahrestag der Wahl Gerhard Schröders zum Kanzler in der Friedrich-Ebert-Stiftung teil.

© Kay Nietfeld/dpa

Auftritt des Altkanzlers: Gerhard Schröder: SPD darf nicht "grüner als die Grünen sein"

Altkanzler Schröder rechnet "spätestens im Frühsommer" 2019 mit Neuwahlen und rät der SPD zu mehr Selbstbewusstsein. Ein denkwürdiger Auftritt.

Einst waren die Sozialdemokraten oben auf. An Wahlabenden strahlten ihre Spitzenvertreter in die Kameras, reckten im Blitzlichtgewitter die Arme zur Siegerpose und ernteten von ihren Anhängern tosenden Beifall. Der ehemalige SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder kennt das aus eigener Erfahrung.

40,9 Prozent erreichten die Sozialdemokraten unter seiner Führung bei der Bundestagswahl 1998. Lange her. Heute ist die SPD in den Umfragen zur 13-Prozent-Partei geschrumpft, an Wahlabenden herrscht bei den Genossen regelmäßig Trauerstimmung. Kein Wunder, dass viele von ihnen gerne einen Blick zurück werfen, zurück in die – aus ihrer Sicht – gute alte Zeit: die Schröder-Ära.

An diesem Montagabend schauen rund 650 Gäste in der Berliner Zentrale der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung gemeinsam zurück. Im Saal dominieren dunkle Sakkos und weiße Haare. Die Stimmung ist familiär. Man kennt sich, viele der Männer und Frauen im Publikum begrüßen einander mit kollegialem Handschlag oder einer herzlichen Umarmung – wie bei einem Klassentreffen. Alte SPD-Größen sind da, viele Polit-Rentner, Ex-Minister und Bundestagsabgeordnete. Gekommen sind sie zu einer „Festveranstaltung aus Anlass des 20. Jahrestages der Wahl Gerhard Schröders zum Kanzler der ersten rot-grünen Bundesregierung“.

Schröder – hell-braunes Haar, dunkel-grünes Jackett – nimmt vorne auf der Bühne Platz, neben ihm sein ehemaliger Grünen-Umweltminister Jürgen Trittin. „Mehr Fischer, weniger Trittin“, hatte sich Schröder einst von seinem Koalitionspartner gewünscht. Doch der ehemalige Grünen-Politiker Joschka Fischer ist heute nicht zu sehen. Aber auch Trittin widerspricht dem Altkanzler an diesem Abend nur in Nuancen. Die beiden Duzfreunde sind sich größtenteils einig, was das „rot-grünen Projekt“ angeht: Ihre Bilanz fällt positiv aus.

„Mehr Demokratie wagen, das ist gelungen“, stellt Schröder seine eigene Amtszeit – ganz unbescheiden – in die Tradition des SPD-Übervaters Willy Brandt. Rot-Grün habe das „Verhältnis zu Russland definitiv auf neue Füße gestellt“, erinnert sich Schröder – und lobt sich für sein „Nein“ zum US-geführten Irakkrieg im Jahr 2001. Dass große Teile der SPD bis heute Probleme mit der Agenda-Politik und den Hartz-IV-Gesetzen haben, kann Schröder nicht verstehen.

Den Vorwurf, Hartz-IV sei wie ein „Bleigewicht“ an den Füßen der Partei, weist er zurück – und blickt die aktuelle Parteichefin Andrea Nahles an, die in der ersten Reihe im Publikum sitzt. Sie hatte den Begriff „Bleigewicht“ einst geprägt. Schon als Juso-Chefin hatte sie den damaligen Kanzler Schröder als „Abrissbirne“ des Sozialstaats bezeichnet.

"Keine Ratschläge"

Der will sich über den Zustand der Nahles-SPD zunächst nicht auslassen. „Ich will keine Ratschläge für heute geben“, sagt er kurz – nur, um es dann doch zu tun. „Ich kann nicht umhin, gewisse Defizite feststellen zu müssen“, fasst er die Lage der SPD zusammen.

Und dann kommen sie, Schröders Ratschläge: Die Sozialdemokraten sollten sich auf Wirtschaftsthemen konzentrieren und die klassischen ökologischen Themen den Grünen überlassen, findet Schröder. Die Stärke der SPD unter seiner Führung sei immer gewesen, „dass wir als SPD nicht grüner sein wollten als die Grünen“. Auch gegen einen Linksruck der SPD spricht er sich klar aus. Vielmehr sollten die Sozialdemokraten stolz sein auf ihre bisherige Politik, samt Agenda 2010 und Hartz-IV.

So weit will Nahles nicht gehen. Dennoch verteidigt auch sie Hartz IV. Unter Rot-Grün seien „schwierige Entscheidungen“ getroffen worden, „die nicht schön, aber notwendig waren“. Den Niedergang der Sozialdemokratie, wie von manchen behauptet, habe das aber nicht zur Folge gehabt. „Das hat natürlich Verlust gebracht“, sagt Nahles. „Aber der entscheidende Knick kam dann mit der großen Koalition.“ Die „Fixierung“ mancher Teile ihrer Partei auf das Thema Hartz IV findet Nahles „komisch“. Sie wolle nach vorne blicken.

Dass der Sozialstaat umgebaut werden müsse, sei klar. Was aber kommt nach Hartz IV? „Ich hoffe, etwas, das in die Zeit passt“, bleibt Nahles vage. An vielen Stellen windet sie sich, um dann doch noch einige SPD-Forderungen herunterzubeten, wie die Idee vom „Chancenkonto“ für Weiterbildungen.

Dass sich die SPD zu einer Kopie der Grünen zu entwickeln drohe, von dieser These Schröders will Nahles nichts wissen. „Radikaler Klimaschutz, damit identifiziere ich mich nicht“, sagt die SPD-Chefin. Direkt mit dem Altkanzler spricht sie auf dem Podium aber nicht an diesem Abend. Getrennt von Schröder und Trittin setzt sie sich nach dem Auftritt der beiden Männer aufs Podium.

Neben ihr nimmt die Grünen-Chefin Annalena Baerbock Platz. Die zwei Frauen verstehen sich gut, kaum Widerspruch gibt es zwischen den beiden. Nahles erinnert sich an Rot-Grün. Damals habe man noch richtig „Lust zu gestalten“ gehabt, sagt sie. Das wolle sie jetzt wieder spüren – weswegen sie unbedingt mit der Union weiter regieren wolle. „Ich habe heute erstmal seit einigen Wochen das Gefühl: Ja, das könnte klappen“, sagt sie. Sie spielt damit auf das „Ok“ der SPD-Spitze für ihren Groko-„Fahrplan“ an. Den hat der Parteivorstand am Montag abgesegnet hat. Es kann vorerst weitergehen mit der Groko. Diese Botschaft sendet Nahles auch bei dem Fest der Ebert-Stiftung aus.

Doch was passiert, wenn die CDU im Dezember Friedrich Merz zu ihrem neuen Vorsitzenden wählt – und womöglich nach rechts rückt? Nahles will sich auf die Diskussion nicht einlassen. Fast wütend reagiert sie auf die Frage. „So ein Schwachsinn!“, ruft sie. „Wir müssen selbst stark sein und nicht abgeleitet von irgendwas.“ Die SPD habe im Moment Wichtigeres zu diskutieren.

Doch das könnte sich bald ändern, glaubt man Gerhard Schröder. Der geht fest davon aus, dass Merkels Ankündigung vom baldigen Rückzug der „Anfang vom Ende“ der großen Koalition ist. „Spätestens im Frühsommer“ 2019 erwartet er Neuwahlen – vor allem, wenn Merz neuer CDU-Chef werde.

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass meine Partei alles aushalten kann“, sagt der Altkanzler über eine mögliche Groko mit Merz. Sollte der tatsächlich neuer CDU-Vorsitzender werden und seine Partei in Neuwahlen führen, für die SPD könne das ein Vorteil sein – solange sie ihre Wirtschaftskompetenz ausbaue, sagt Schröder. Abermals weist der Ex-Kanzler auf die guten Wahlergebnisse hin, die die Genossen einst unter seiner Führung erreichten.

Da fragt ihn einer aus dem Publikum, warum er es nicht selbst noch einmal versuchen wolle als SPD-Chef und Kanzlerkandidat. Schröder grinst – und antwortet knapp: „Ich finde keinen Ortsverein der SPD, der mich vorschlägt.“

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