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Im Alter von 35 Jahren tritt Sebastian Kurz nun von allen Posten zurück.

© AFP

Aufstieg und Fall von Österreichs Ex-Kanzler: Der letzte Ausweg des Sebastian Kurz

Österreichs früherer Kanzler Sebastian Kurz ist steil und rasch aufgestiegen. Nun folgt der ebenso schnelle Sturz – wohl vor allem wegen Korruptionsvorwürfen.

Um 11.48 Uhr ist die politische Karriere vorbei. „Es war mir eine große Ehre, der Republik zehn Jahre dienen zu dürfen“, sagt Sebastian Kurz am Donnerstag abschließend. Und auf eine Nachfrage fügt der österreichische Ex-Bundeskanzler noch hinzu: „Ich werde jetzt aufbrechen, um meinen Sohn und meine Frau aus dem Spital abzuholen.“ Kurz ist in diesen Tagen erstmals Vater geworden.

Und dann verlässt er das „Springer-Schlössl“, wo die Politische Akademie der konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) ihren Sitz hat. Ein großes Kapitel in der Politik der Alpenrepublik ist beendet, ein Hoffnungsträger – gerade einmal 35 Jahre alt – hat sich verabschiedet.

Sebastian Kurz ist von allen politischen Ämtern zurückgetreten. Nachdem er im Oktober schon auf das Kanzleramt verzichtet hatte, gibt er nun auch auf als Partei- und Fraktionsvorsitzender. Er hält eine 20-minütige Rede voller gefühlvoller Worte, nennt sich „glücklich“ und „dankbar“ für eine „wunderschöne Zeit“.

Sein Team und er hätten „Höchstleistungen“ vollbracht, allerdings sei mit der „Abwehr von Vorwürfen und Anschuldigungen“ auch die „Begeisterung ein bisschen weniger geworden“. Auffällig an Kurz’ Auftritt ist die Diskrepanz zwischen seinen rührenden Worten und seiner souveränen, teils kühlen Rhetorik. Emotion ist da nicht rauszuhören.

Im Zentrum der so genannten „Anzeigenaffäre“, wegen der die Staatsanwaltschaft ermittelt, steht der Vorwurf der Korruption und der Untreue. Tausende Chat-Nachrichten zwischen Kurz und seinem Umfeld begründeten im Oktober den Verdacht, dass der Kanzler sich in der Vergangenheit durch Anzeigen in der Tageszeitung „Österreich“ eine für ihn positive Berichterstattung erkauft hat.

Kurz gab immer eine Art Saubermann

Die Anzeigen wurden wiederum nicht von der Partei ÖVP, sondern vom Finanzministerium geschaltet, also bezahlt mit Steuergeldern – insgesamt mehr als eine Million Euro. Zudem soll die Meinungsforscherin Sabine Beinschab gegen eine zusätzliche Honorierung Umfragedaten so frisiert haben, dass sie Kurz nutzten. Ziel der Aktionen soll es gewesen sein, Kurz in den Parteivorsitz und später ins Kanzleramt zu bringen. Kommt es zu einem Prozess, würde sich dieser über Jahre hinziehen.

„Das war der letzte Exit für ihn“, sagt die Wiener Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl gegenüber dieser Zeitung. „Er hat seinen Sohn als Begründung genommen und versucht, einen noch einigermaßen gesichtswahrenden Abgang zu machen.“ Sie vermutet aber, wovon in Wien viele Beobachter ausgehen: Dass es weitere Chats im einstigen Kurz-Dunstkreis gibt, mit denen sich bisher noch unbekannte Verfehlungen belegen. „Die Schlinge wird sich weiter zu ziehen“, sagt Strobl.

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Sebastian Kurz war zehn Jahre lang in der Politik. Er ist aufgestiegen zum jungen Vertreter eines auf seine Person konzentrierten neuen Konservativismus, den manche als populär, andere als populistisch beschreiben. Er gab eine Art Saubermann, der einerseits in der Flüchtlingspolitik durchgreift und andererseits den normalen Bürgern neue Chancen gibt. Von vielen Österreichern wurde er dafür bewundert. Zuerst regierte er mit der rechtspopulistischen FPÖ, diese wurde von Kurz aber wegen der Ibiza-Videoaffäre um den damaligen Parteivorsitzenden Karl-Heinz Strache rausgeworfen.

Nach einem großen Wahlsieg in einem ganz auf seine Person zugeschnittenen Wahlkampf ging Sebastian Kurz ein Bündnis mit den Grünen ein, das sein Interims-Nachfolger Alexander Schallenberg weiterführte. Doch am Donnerstagabend stellte auch Schallenberg sein Amt zur Verfügung.

Eigentlich war es im Oktober das Kalkül von Kurz, zwar das Kanzleramt aufzugeben, aber weiterhin als mächtigste Person der ÖVP die Regierungsgeschicke aus dem Hintergrund zu lenken. In seiner Erklärung sagt er nun: „Die Geburt des eigenen Kindes toppt alles.“ Er wolle sich nun bis ins neue Jahr der Familie widmen.

Neuer Kanzler wird nun wohl Karl Nehammer

Eine gewisse Einsicht in ein Fehlverhalten in der Anzeigenaffäre lässt Sebastian Kurz aber nicht erkennen. Er sagt lediglich: „Ich bin weder ein Heiliger noch ein Verbrecher, ich bin ein Mensch.“ Er freue sich auf den Tag, an dem bewiesen werde, dass die gegen ihn gerichteten Vorwürfe falsch seien.

Es wird vermutet, dass die Staatsanwaltschaft momentan die Demoskopin Beinschab als Kronzeugin der Anklage aufbaut. Sie saß zwei Tage in Untersuchungshaft wegen Verdunkelungsgefahr und wurde dann wieder entlassen. Ihr würde Strafmilderung in Aussicht gestellt, wenn sie umfassend aussagt und dabei auch neue Sachverhalte aufdeckt, hieß es. All dies ließ Kurz’ Position als weiterhin aktiver Spitzenpolitiker immer unhaltbarer werden. Seine Zukunftspläne ließ der 35-Jährige, der Jura nicht zu Ende studiert hat, im Unklaren. Weil er sehr gut vernetzt ist, dürfte es allerdings ihm keine Probleme bereiten, künftig in der Wirtschaft einen hohen Job zu erhalten.

In der ÖVP, die nun vor den Kurz-Trümmern steht, läuft alles auf den jetzigen Bundesinnenminister Karl Nehammer als neuen starken Mann hinaus. Alexander Schallenberg galt von vorneherein als Übergangskanzler. Es wird vermutet, dass Nehammer sowohl Parteivorsitzender als auch Kanzler wird. Dazu wollen die ÖVP-Gremien demnächst tagen. Ob es zu Neuwahlen kommt, ist unklar. Strategisch hat gerade keine Partei ein Interesse daran.

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