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Stein des Anstoßes. Der Findling im Tiergarten.

© Maurizio Gambarini dpa

Aufregung um Skulptur im Tiergarten: Staatsaffäre aus Stein

Wie Berlin wegen der Rückgabe einer 35-Tonnen-Skulptur an Venezuela in Erklärungsnot gerät. Ein indigenes Volk verehrt den Stein als heilig.

Die kahle Fläche lässt Passanten im Berliner Tiergarten stutzen, sie macht das „Global Stone Project“ zu einem unvollkommenen Kunstprojekt. Bisher befanden sich hier fünf Steinmonumente, eines aus jedem Kontinent. Sie sollen Frieden und Völkerverständigung symbolisieren.

Doch Venezuelas Regierung hat den 35-Tonnen-Koloss, der Amerika verkörpert, im Januar abholen lassen. Dahinter verbirgt sich eine Affäre, die die Bundesregierung in Erklärungsnot bringt.

Gefilmt wurde der Abtransport von einem eigens eingeflogenen Team des venezolanischen Staatsfernsehens. Außenminister Jorge Arreaza twitterte Bilder, wie ein Kran den 35-Tonnen-Stein auf einen Tieflader im Tiergarten hievt. Der Koloss ist nun per Schiff auf dem Weg nach Südamerika.

Der Rücktransport kostet zwischen 30 000 und 35 000 Euro. Der rote Stein stand für die „Liebe“ im „Global Stone Project“ – doch er brachte dem Künstler Wolfgang Kraker von Schwarzenfeld nur Ärger ein. Ausgerechnet in der Woche, in der sich die Ausrufung von Juan Guaidó zum Interimspräsidenten Venezuelas gejährt hat, dieser im Ausland um Unterstützung warb und Kanzlerin Angela Merkel in Davos traf, gönnte die Bundesregierung der offiziell von ihr nicht mehr anerkannten sozialistischen Regierung von Nicolás Maduro einen Propagandaerfolg.

Wenn man so will, ist der Stein zur Staatsaffäre geworden. Die Deutsche Welle berichtet unter Berufung auf venezolanische Diplomatenkreise über eine mögliche Gegenleistung für die Rückkehr von Botschafter Daniel Kriener im Juli nach Caracas, der im Zuge der Guaidó-Anerkennung zur unerwünschten Person erklärt worden war und das Land für mehrere Monate verlassen musste.

Das Auswärtige Amt betont jedoch: „Eine Gegenleistung wurde weder mündlich noch schriftlich vereinbart. Die Rückkehr von Botschafter Kriener war an keinerlei Zugeständnisse an Venezuela geknüpft.“ Es handele sich um eine Rückschenkung. Doch warum gerade jetzt?

Erst Jahre später heiliggesprochen?

Das indigene Volk der Pemón verehrt den Stein als heilig und fordert ihn schon seit fast 20 Jahren zurück. Der Künstler Kraker von Schwarzenfeld betont aber, der sogenannte Kueka-Stein sei „per Urkunde für das Global Stone Projekt in meiner Verantwortung geschenkt“ worden. Jahre später sei der Stein plötzlich heilig gesprochen worden.

Die Unterschrift seitens des Auswärtigen Amtes für die Rückschenkung erfolgte am 18. Dezember 2019, die seitens des venezolanischen Generalstaatsanwalts am 16. Januar 2020, heißt es im von Heiko Maas (SPD) geführten Ministerium. „Der Stein sei „ seitens der Bolivarischen Republik Venezuela am 20. Januar 2020 entnommen“ worden.

Trotz dieses Abkommens wird betont: „Die Bundesregierung betrachtet Guaidó weiterhin als legitimen Interimspräsident mit dem Mandat, freie und faire Präsidentschaftswahlen auszurufen, sobald die politischen Rahmenbedingungen dies zulassen.“

Der Linken-Politiker Andrej Hunko war Ende April 2019 in Venezuela und wurde auch von Nicolás Maduro empfangen. Für ihn zeigt der Fall einen Irrweg der Bundesregierung, er hält die Anerkennung Guaidós für völkerrechtswidrig. Bisher sei es gängige Praxis gewesen, nur Regierungen anzuerkennen, wenn sich eine neue Staatsgewalt endgültig durchgesetzt hat.

Hunko besuchte damals auch das Volk der Pemón im Grenzgebiet zu Brasilien und Guyana. „Der Kueka-Stein hat für die Pemón eine hohe mythische Bedeutung“, berichtet er. Denn es gibt dort noch den Schwesterstein, Abuelo, Großvater genannt, die Abuela, Großmutter, lag bis jetzt im Tiergarten.

Dadurch sei die Natur aus dem Gleichgewicht geraten, Unwetter und Missernten hätten zugenommen. Er habe der Regierung in Caracas geraten, als Geste des guten Willens für die Kriener-Rückkehr die Rückgabe des Steins zu fordern. Es habe danach diplomatische Noten dazu gegeben, und Kriener habe sich nach seiner Rückkehr mit Vertretern der Pemón getroffen. „Oha, da ist ja etwas in Bewegung“, dachte sich Hunko,als er davon hörte. Er überlegt nun, zur Rückkehr des Steins erneut zu den Pemón zu reisen.

In der Regenwald-Region liegen auch Rohstoffvorkommen, da kann der Maduro-Regierung der Einsatz für die Anliegen der Pemón womöglich helfen, Widerstände gegen Förderkonzessionen abzubauen. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Ulrich Lechte mit Schwerpunkt Außenpolitik und Menschenrechte sieht reichlich Klärungsbedarf: „Die Bundesregierung muss Stellung beziehen, ob es im Zuge der Rückschenkung irgendwelche Geheimabsprachen gegeben hat.“

Die Bundesregierung verhelfe Maduro zu einem Achtungserfolg mit der Rückschenkung des Kueka-Steins. „Die Bundesregierung kann nicht auf zwei Hochzeiten tanzen.“ Deutschland unterstütze Guaido. „Da darf sie ihm nicht unnötig das Leben schwerer machen.“ Maas müsse erklären, was die Regierung gerade jetzt dazu veranlasst habe, die Schenkung zu vollziehen.

Letztlich offenbart die Stein-Affäre ein diplomatisches Dilemma mit der Anerkennung Guaidos. Auch dank der Hilfe Russlands und Chinas hat die zunehmend autoritär agierende Maduro-Regierung die Macht im Land mit den offiziell größten Ölreserven der Welt wieder festigen können.

Mehr als vier Millionen Menschen sind vor Gewalt, Hunger und Hoffnungslosigkeit geflohen. Guaidó ist machtlos.

Dass er dennoch von rund 60 Regierungen als Interimspräsident anerkannt wird, führt zu kuriosen diplomatischen Situationen, Etwa im Fall der früheren kolumbianischen Abgeordneten Aida Merlano, die wegen Wahlbetrug und Korruption in Kolumbien eine 15-jährige Haftstrafe absaß.

Während eines Zahnarztbesuchs entkam sie durch ein kleines Fenster und floh nach Venezuela. Da Kolumbiens Präsident Iván Duque wie die Bundesregierung nur Guaidó anerkennt, erklärte das Justizministerium, dass es bei Guaidó die Auslieferung beantragen werde.

Doch der hat nichts zu melden. Merlano wurde von den venezolanischen Behörden festgenommen und wird nun quasi zum Faustpfand. Um die Auslieferung erreichen zu können, müsste Kolumbien die Maduro-Regierung offiziell wieder anerkennen. So wie es die Bundesregierung quasi bei der Verhandlung über die Rückschenkung des Steins getan hat.

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