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Zwei russische Soldaten, die ihre Schusswaffen während einer Militärübung ausrichten.

© Uncredited/Russian Defense Ministry Press Service/AP/dpa

Aufgeschoben ist nicht aufgehoben: Ein Treffen von Biden und Putin löst das Kernproblem nicht

Der Westen versucht Zeit zu gewinnen. Gibt es etwas, was Biden Putin sagen könnte, was den Unterschied zwischen Krieg und Frieden ausmacht? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Die Idee ist erst einmal bestechend: Wladimir Putin bekommt den Respekt, den er angeblich vermisst, durch ein Gespräch auf Augenhöhe mit Präsident Joe Biden - unter einer Bedingung: kein Angriff auf die Ukraine bis dahin.

Das Angebot zielt auf den Kern der Beschwerden, die Putin vorträgt: Russland werde nicht gehört. Und der Untergang der Sowjetunion sei die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Warum also nicht, wenn es hilft, einen Krieg in Europa zu verhindern? Ein Gipfel von Supermacht zu Supermacht wie in der Zeit des Ost-West-Konflikts.

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Auf den zweiten Blick ist Macrons Intervention nicht ganz so bestechend. Lässt Putin sich überhaupt darauf ein? Hat es an hochrangigen Treffen gemangelt? Gibt es etwas, was Biden Putin sagen könnte, was den Unterschied zwischen Krieg und Frieden ausmacht, aber noch nicht gesagt wurde?

Biden und Putin haben sich vor wenigen Monaten in Genf zusammengesetzt. Sie telefonieren miteinander.

Das Ziel ist, Zeit zu gewinnen

Die Staats- und Regierungschefs der größten europäischen Staaten pilgern seit Wochen in den Kreml oder telefonieren mit Putin, um ihn vom Angriff abzuhalten: Macron, Bundeskanzler Olaf Scholz, der britische Premier Boris Johnson, ihre Außenministerinnen Annalena Baerbock, Liz Truss und viele andere.

[Lesen Sie alle aktuellen Entwicklungen in unserem Blog zur Krise um die Ukraine]

Macrons Vorschlag zielt nicht auf ein Versäumnis. Die Absicht ist, Zeit zu gewinnen. Den Angriff auf die Ukraine zu verzögern - in der Hoffnung, dass es gelingt, Putin in dieser Zeit von dem Entschluss abzubringen, sofern er sich denn bereits entschieden hat. Und den Abzug der Truppen an den Grenzen der Ukraine zu erreichen.

Ein Gipfel wie vor wenigen Monaten? Die Präsidenten Joe Biden und Wladimir Putin in Genf im vergangenen Juni.
Ein Gipfel wie vor wenigen Monaten? Die Präsidenten Joe Biden und Wladimir Putin in Genf im vergangenen Juni.

© DENIS BALIBOUSE/POOL/AFP

Drei Gründe für Skepsis bleiben. Putin sagt, ein Treffen mit Biden sei verfrüht. Er dreht den Spieß um und wird Vorleistungen des Westens zur Bedingung machen. So in die Richtung: Nur wenn es eine Garantie gibt, dass die Ukraine der Nato nicht beitreten kann, ist er zum Treffen bereit.

Zweitens, auch wenn Putin der Formel zustimmt - kein Angriff in den Tagen oder Wochen bis zum Gipfel mit Biden -: Wer mag noch darauf vertrauen, dass Putin sein Wort hält?

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Drittens heißt aufgeschoben nicht aufgehoben. So richtig es ist, den Versuch zu unternehmen: Europa und die USA können dieses diplomatische Manöver nicht mehrfach einsetzen. Es hat einen einmaligen Wert, Wiederholung nutzt es ab.

[Lesen Sie auch: Nach dem Treffen von Putin und Scholz: Die Schlinge um den Hals der Ukraine bleibt. (T+)]

Zudem zeichnet das Angebot ein Bild von Putin, das ihm im Grunde nicht schmeicheln kann: Als sei er ein etwas irrationaler, alter, weißer Mann, der nicht logisch denke und den man durch gutes Zureden von irrationalen Taten abhalten müsse. So in etwa hatte Boris Johnson die Lage am Sonntag in einem BBC-Interview ausgedrückt.

Zeit zu gewinnen, ist eine Hilfe. Und weckt Hoffnungen. Die Kriegsgefahr aber hängt weiter über der Ukraine. Und über Europa.

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