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SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz weiß eine geschlossene Fraktion hinter sich.

© Hannibal Hanschke/Reuters

Aufbruchsstimmung in verjüngter Fraktion: Die Sorgen des Olaf Scholz

Jünger und bunter ist die neue SPD-Fraktion. Von Olaf Scholz gibt es eine Mahnung, um den Kanzler-Weg nicht zu torpedieren. Sorge bereitet auch Markus Söder.

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Zwei Tage nach der Bundestagswahl herrscht Aufbruchsstimmung bei der SPD. Nach ihrem knappen, aber deutlichen Sieg wähnen sich die Sozialdemokraten in einem strategischen Vorteil, schließlich stellen sie im Gegensatz zur konkurrierenden Unionsfraktion nun viel mehr als viel weniger Abgeordnete im Vergleich zur vergangenen Legislaturperiode.

Es hat für einige etwas von Erstsemester, als viele junge Neu-Abgeordnete am Morgen um kurz vor neun in den Bundestag kommen.

„49 Jusos sind nun in der Fraktion“, sagt deren früherer Chef Kevin Kühnert, als er zu seiner ersten Sitzung als Abgeordneter schreitet, einen Mit-Juso umarmt er herzlich.

Besonders herzlich begrüßt wird hier Frank Ullrich, der in Südthüringen das Direktmandat gegen den umstrittenen früheren Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen erobert hat.

67 Abgeordnete unter 40, viele mit Migrationsgeschichte

„Wir sind 206 Abgeordnete, etwas mehr als die Hälfte davon sind neu gewählt, 67 sind unter 40 Jahren, 33 haben eine Einwanderungsgeschichte“, betont Ye-One Rhie, die koreanische Wurzeln hat. Sie sei stolz darauf, dabei zu sein. Die Fraktion ist bunter und jünger geworden, die Stimmung wirkt sehr wie ein Aufbruch.

Als letzter kommt der, dem viele hier ihren Einzug in das Parlament verdanken: Olaf Scholz. Er trägt sich in die Teilnehmerliste ein, auch er ist neu in den Bundestag eingezogen, als Wahlkreisgewinner gegen Annalena Baerbock in Potsdam.

[Lesen Sie zudem eine Analyse zum SPD-Kanzlerkandidaten: Scholz wartet ab, bis er der Last Man Standing ist (T+)]

Neben Scholz schreitet Rolf Mützenich, er soll Fraktionschef bleiben. Die SPD ist auch hier sortierter als die Union, Scholz hält Mützenich für verlässlich und vertraut ihm – er wird aber die schwere Aufgabe haben, in der mehr nach links gerückten Fraktion auch unangenehme Kompromisse durchzusetzen, gerade wenn es zu einer Ampel-Koalition kommen sollte.

So wie die Parteichefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans beim linken Parteiflügel. Die SPD wagt hier - auch als Lehre der Machtkämpfe und Personalquerelen der Vergangenheit - ein interessantes Experiment: eine fein austarierte Machtteilung, die Scholz den Rücken frei halten soll, ob die Geschlossenheit und Harmonie auch in schweren Zeiten hält, wird sich noch zeigen müssen.

Erste Sondierungsgespräche der SPD mit Grünen und FDP könnten laut Mützenich noch in dieser Woche geführt werden. „Grüne und FDP sind von uns eingeladen worden, mit uns, wenn sie wollen, auch in

dieser Woche bereits Sondierungsgespräche zu führen“, sagte Mützenich vor der Fraktionssitzung mit den bisherigen und den neugewählten Abgeordneten im Bundestag.

Olaf Scholz und Rolf Mützenich auf dem Weg zur ersten Sitzung der neuen SPD-Fraktion.
Olaf Scholz und Rolf Mützenich auf dem Weg zur ersten Sitzung der neuen SPD-Fraktion.

© Kay Nietfeld/dpa

„Wir sind bereit, nicht nur schnelle, sondern auch verlässliche Gespräche zu führen“, so Mützenich. Er, Scholz, die beiden Vorsitzenden Esken und Walter-Borjans, Generalsekretär Lars Klingbeil und die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer bilden das Sondierungsteam der SPD – Scholz‘ Ziel ist es, die Unordnung bei der Union zu nutzen, um rasch Fakten zu schaffen.

Ein Fixdatum: Der G20-Gipfel Ende Oktober in Rom

Ein besonderes Datum hat man im Scholz-Lager im Blick: Den 30. und 31. Oktober, dann findet der G20-Gipfel in Rom statt. Steht bis dahin eine Ampel-Koalition weitgehend, könnte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) dort ihren Abschied feiern und zugleich Scholz als ihren Nachfolger vorstellen.

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Der Bundesfinanzminister ist traditionell bei den G20-Gipfeln der Staats- und Regierungschefs auch mit dabei. Es wäre ein Zufall, aber würde der Welt auch ein Beispiel gelebter Demokratie und eines geordneten Übergangs geben.

Eine Sorge gibt es aber zugleich. Scheitern die Ampel-Gespräche und Laschet ist bei der Union Geschichte, dann könnte es zu Jamaika-Sondierungen kommen mit einem anderen als Kanzlerkandidaten: Nämlich mit Markus Söder.

„Unrealistisch, aber nichts ist unmöglich“, meint dazu ein Sozialdemokrat beim Gartenfest des Seeheimer Kreises, des konservativen Flügels in der SPD-Fraktion. Das würde das Vertrauen in die Politik zerstören, da Söder nie zur Wahl gestanden hat. Und vor allem bei der Grünen-Basis sei die Stimmung eher Richtung Ampel-Koalition, wird immer wieder betont. Und so muss die SPD fast hoffen, dass Laschet noch durchhält.

Scholz hat eine klare Mahnung: Klappe halten

Auch Scholz ist bei dem Fest im Garten der Parlamentarischen Gesellschaft am Vorabend der ersten Fraktionssitzung zugegen. Es gab Biergläser mit seinem Konterfei, er stieß symbolisch mit allen auf den Wahlerfolg an.

Und er mahnte dort in dieser hochfragilen Phase parteiinterne Disziplin an: „Es müssen sich drei Parteien zusammenfinden, die, wenn sie die Regierungsbildung geschafft haben, auch vier Jahre zusammenregieren wollen.“

Die wichtigsten Tagesspiegel-Artikel zur Bundestagswahl 2021:

Und sie müssten das dann so machen, dass sie in vier Jahren auch wiedergewählt werden. „Diese Vertrauensgrundlage zu schaffen, das ist die Aufgabe der nächsten Tage. Und das kann nur gelingen, wenn alle auf dieser Basis mitmachen.“

Es gebe drei ganz unterschiedliche Vorstellungen davon, was Fortschritt in der Gesellschaft bedeuten soll, seien es was den Respekt in der Gesellschaft betrifft, die Bekämpfung des Klimawandels, Bürgerrechte und Technologieoffenheit. „Alles das kann man zusammenbinden, wenn man es will.“

Scholz setzt auf Vertraulichkeit

Damit das klappt, forderte Scholz klipp und klar, bitte keine roten Linien für eine Ampel-Koalition über die Medien aufzustellen, oder die möglichen Partner verbal anzugehen. „Wer eine Regierung bildet, der muss nicht jeden Tag in der Zeitung ausführlich erörtern, was so zu sagen ist.

Parteivize Kevin Kühnert scheint die Mahnung erhört zu haben, via „Spiegel“ entschuldigte er sich bei FDP-Chef Christian Lindner, dass er ihn einen Luftikus genannt hatte.

Scholz betont, inhaltliche Vorschläge aus diesem Kreis - also von den Abgeordneten - seien immer herzlich willkommen, aber „dazu braucht man nicht die Medien“. Es gebe auch ganz traditionell die Möglichkeit, miteinander persönlich zu sprechen.

Die SPD hat das lange erlebt und nicht davon profitiert, wenn alles Mögliche nach draußen gestochen und zerredet wird. Das erlebt nun gerade die lange in der Kanzlerschaft von Angela Merkel geeinte und als Machtmaschine funktionierende Union.

Eine Sorge gibt es aber zugleich. Scheitern die Ampel-Gespräche und Laschet ist bei der Union Geschichte, könnte es zu Jamaika-Sondierungen kommen mit einem anderen als Kanzlerkandidaten: Markus Söder: „Unrealistisch, aber nichts ist unmöglich“, meint dazu ein Sozialdemokrat beim Gartenfest des Seeheimer Kreises. Aber, auch um sich selbst zu beruhigen, verweisen Sozialdemokraten darauf, dass bei der Grünen-Basis die Stimmung eher Richtung Ampel-Koalition gehe und so eine Wende würde das Vertrauen in die Politik zerstören - wenn plötzlich jemand vom Wahlverlierer Kanzler werden wolle, der nie zur Wahl gestanden hat.

Aber erst einmal ist da die Hoffnung, dass es mit dem Regieren klappt. Es gibt in der Fraktion im Bundestag „Standing ovations“ für den Kanzleranwärter Olaf Scholz. Eine „Stimmung wie an Weihnachten“, konstatiert der im Ruhrgebiet wiedergewählte Abgeordnete Frank Schwabe. Die Fraktion steuere „mit Vorfreude, aber auch mit großer Entschlossenheit und Konzentration“ auf eine Regierungsbildung zu. Schabe arbeitete mit in einem Gesprächskreis von Abgeordneten, die mit Linken und Grünen ein rot-rot-grünes Bündnis vorbereiten wollten, nun ist auch er für eine Ampel.

Rund ein Viertel der SPD-Abgeordneten stellen nun die Jusos

„Die Fraktion ist nun jünger, linker und bunter“, sagte ein Regierungsmitglied am Rande der Sitzung. Die neuen Abgeordneten stellten sich am Dienstagmorgen kurz gegenseitig vor. Glaubt man Teilnehmern, sind nun wieder mehr Milieus und Berufe in der Fraktion repräsentiert, unter anderem eine Startup-Unternehmerin, mehrere Mediziner, ein Feuerwehrmann, mehrere Wissenschaftler, ein Notfallsanitäter, Soldaten und Polizisten. Und der Migrantenanteil steigt.

Die Jusos sind sowohl prominent wie auch zahlreich in der neuen Fraktion vertreten, unter anderem auch durch Verbandschefin Jessica Rosenthal (Wahlkreis Bonn) und ihren Vorgänger Kühnert. 82 Genossen im Juso-Alter von bis zu 35 Jahren hatten in Wahlkreisen kandidiert, immerhin rund ein Viertel aller SPD-Abgeordneten seien nun Jusos, so Rosenthal: „Das ist Wahnsinn“.

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Der erstarkte linke Flügel

Drei Flügel gibt es in der Fraktion, die Parlamentarische Linke (PL), die pragmatischen Abgeordneten vom Netzwerk Berlin und die eher konservativen vom Seeheimer Kreis. „Wir sitzen jetzt alle über unseren Listen und rechnen“, sagte ein Flügelmitarbeiter. Schon wird gerätselt, ob die Juso-Parlamentarier sich allesamt der ohnehin starken PL anschließen oder auch eine eigene Organisation gründen wollen. Etliche von ihnen waren in der „Nogroko“-Kampagne des Jahres 2018 dabei, die ein Jahr später Scholz als Parteivorsitzenden verhinderte. Das zeigt, das Projekt Kanzleramt wird auch parteiintern für Scholz sicher kein Selbstläufer.

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