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Aufarbeitung: In Behörden wimmelt es von Ex-Stasi-Mitarbeitern

Zu DDR-Zeiten waren sie für die Staatssicherheit tätig, heute sind sie Lehrer oder leitende Kriminalbeamte. Rund 17.000 Angestellte des öffentlichen Dienstes sollen eine Stasi-Vergangenheit haben - weitaus mehr, als bislang angenommen.

Angesichts der hohen Zahlen ehemaliger Stasi-Mitarbeiter im öffentlichen Dienst wird Kritik an den Überprüfungen in den 90er Jahren laut. Sie seien lückenhaft gewesen, sagte der Chef der Stasiopfer-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, im "Handelsblatt" (online). In Ostdeutschland seien Anfang der 90er Jahre frühere Beschäftigte des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) vielerorts "großzügig durchgewunken" worden.

Knabe sagte, dass allein in den ostdeutschen Landesverwaltungen mehr als die Hälfte der festgestellten Stasi-Mitarbeiter weiter beschäftigt worden sei. Ihre Kündigung sei heute praktisch nicht mehr möglich. "Es muss zumindest dafür Sorge getragen werden, dass ehemalige Stasi-Mitarbeiter keine Leitungsfunktionen ausüben und Einfluss auf Personalentscheidungen nehmen könnten".

Knabe reagierte auf einen Bericht der "Financial Times Deutschland", wonach noch rund 17.000 ehemalige Stasi-Leute trotz Überprüfungen im öffentlichen Dienst ostdeutscher Landesverwaltungen arbeiten. Die hohe Zahl halte er für plausibel, sagte er.

Von diesen 17.000 ehemaligen Stasi-Leute arbeiten 2247 in Mecklenburg- Vorpommern, 2942 in Brandenburg, 800 in Thüringen, 4400 in Sachsen-Anhalt, 2733 in Berlin und 4101 in Sachsen.

Das Bundeskriminalamt hatte bereits bestätigt, dass nach der Wiedervereinigung einige ehemalige Stasi-Leute in der Polizeibehörde unterkamen – 23 arbeiten dort heute noch. "Jeder Einzelfall ist genauestens geprüft worden", betonte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums.

Ehemalige Stasi-Mitarbeiter im LKA

Die Debatte über eine bisher unbekannt hohe Zahl von ehemaligen Stasi-Mitarbeitern war vergangene Woche entbrannt, als bekannt geworden war, dass im Landeskriminalamt (LKA) Brandenburg rund 100 ehemalige Offiziere der früheren DDR-Staatssicherheit arbeiten sollen. Das Innenministerium in Potsdam bestätigte nur 58 Fälle.

Auch für den Schutz des Wochenendgrundstücks von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Schutzbereich Uckermark sollen jahrelang zwei ehemalige Stasi-Offiziere verantwortlich gewesen sein. 20 Jahre nach dem Mauerfall sind nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa noch Hunderte frühere Stasi-Mitarbeiter im Polizeidienst der ostdeutschen Länder.

2007 hatte ein Gutachten ergeben, dass selbst in der Stasiunterlagen-Behörde seit Oktober 1990 insgesamt 79 ehemalige Angehörige der DDR-Staatssicherheit arbeiteten. Vor zwei Jahren waren es noch 56 ehemalige MfS-Bedienstete. Ursprünglich war vorgesehen gewesen, dass nur 18 MfSler im Archiv befristet beschäftigt sein sollten, weil man ihre Sachkenntnis für die Aktenaufarbeitung nutzen wollte.

Forderungen nach neuen Überprüfungen werden laut

Klaus Schroeder, Leiter des Forschungsverbundes SED-Staat der Freien Universität Berlin, forderte nun eine klare Offenlegung durch die Bundesländer. Er gehe von mehreren Zehntausend ehemaligen Inoffiziellen Mitarbeitern der Stasi, also Spitzeln, in Ministerien und Behörden aus. "Das sind Dimensionen, die bisher keiner geahnt hat", sagte Schroeder. "Die Überprüfungen waren sehr standardisiert und oberflächlich", kritisierte er. So seien Zollbeamte oder Personenschützer zu großzügig behandelt worden, da sie politisch als eher unbedenklich gegolten hätten.

Der Landesbeauftragte für Stasi-Unterlagen in Sachsen-Anhalt, Gerhard Ruden, verlangte eine neue Überprüfung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst. "Das ist eine Frage der politischen Hygiene". Aus seinen Berichten ergibt sich, dass sich vor Jahren bei 6375 Beschäftigten in Ministerien, nachgeordneten Einrichtungen und dem Landtag Hinweise auf eine hauptamtliche oder eine inoffizielle Stasi-Mitarbeit ergaben. Mehr als 4400 dieser Stasi-Mitarbeiter wurden weiterbeschäftigt.

Teils sollen sie in führende Positionen gelangt sein. "Die Beschäftigung im öffentlichen Dienst an sich ist noch nicht das Problem", sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Stephan Hilsberg der Mitteldeutschen Zeitung. "Das Problem ist, in welchen Positionen sie da landen." Leitungspositionen seien nicht hinnehmbar, "Pförtnerdienste" dagegen akzeptabel.

"Täter von einst in sensiblen Bereichen"

Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums begründete die Übernahme von früheren Stasi-Mitarbeitern durch das BKA historisch: "Aufgrund des Einigungsvertrages sind sowohl vom Innenministerium der DDR als auch in wenigen Einzelfällen aus dem Bereich der Staatssicherheit Mitarbeiter übernommen worden." Einer von ihnen gehört den Erkenntnissen nach auch zum Personenschutzkommando von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Er soll aber nicht zu ihrem direkten Schutz eingesetzt sein, sondern nur für die Aufklärung in einem Vorkommando.

Die Opfer von DDR-Repressionen reagierten empört: "Es ist ein Schlag ins Gesicht der Stasi-Opfer, dass ausgerechnet die Täter von einst in sensible Bereiche übernommen wurden", sagte der Sprecher der Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS), Ronald Lässig. Es dränge sich der Verdacht auf, dass der öffentliche Dienst von Stasi-Kadern durchsetzt sei. Die Bundesregierung müsse dringend für Aufklärung sorgen. (tst/dpa/Tsp)

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