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Opfer ausgespäht. Die Terrorzelle NSU legte Feindlisten mit tausenden Daten potenzieller Angriffsziele an. Auf dem Foto zeigen Demonstranten Bilder der ermordeten Opfer

© imago/Christian Mang

Auf Steckbriefen die Adressen von Opfern: Extremisten führen „Feindeslisten" von politischen Gegnern

Neonazis und andere Fanatiker spähen Personen aus und legen Feindlisten an. Das BKA kennt 24 Fälle. Die Bundesregierung will Betroffene besser schützen.

Von Frank Jansen

So wird Angst verbreitet und auch zu Attentaten angestachelt: Extremisten legen „Feindeslisten“ an, auf denen politische Gegner aufgeführt werden, oft auch mit Adresse und Foto. Was die Sicherheitsbehörden davon mitbekommen, lässt sich nun einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des FDP-Abgeordneten Jürgen Martens entnehmen. Mit Stand 4. Januar 2021 seien dem Bundeskriminalamt „aus den Phänomenbereichen der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) 24 solcher Sammlungen mit entsprechender Relevanz bekannt geworden“. Darüber hatte zuerst die „Welt“ berichtet.

Es handele sich vornehmlich um „Informationssammlungen aus allgemein zugänglichen Quellen“, heißt es im Papier. Das BKA spricht von 20 Feindeslisten, die im Internet abrufbar sind oder waren. Wie viele Personen betroffen sind, kann die Regierung nicht sagen, „da die Sammlungen typischerweise durch ihre Urheber, aber auch durch Dritte, fortlaufende Überarbeitungen/Aktualisierungen erfahren“.

In der Antwort wird nicht aufgeschlüsselt, welchen extremistischen Szenen die Feindeslisten zuzuordnen sind. In den meisten Fällen dürfte es sich um steckbriefartige Machwerke von Neonazis handeln. In der Szene kursiert beispielsweise eine Liste mit 24.300 Namen und Adressen von Linken und Punks.

Rechte Hacker hatten die Daten 2015 bei einer Attacke auf die Kundenliste eines linken Online-Versands erbeutet. Die Firma verkauft Kleidung und weitere Utensilien, darunter Aufkleber gegen die AfD. Die Liste geriet auch in die Hände militanter Rechtsextremisten. Mitglieder der Terrorgruppe „Revolution Chemnitz“ hatten über eine rechte Chatgruppe, an der 340 Neonazis beteiligt waren, Zugriff auf die Daten bekommen.

Revolution Chemnitz galt als hochgefährlich, die Gruppe plante 2018 für den Jahrestag der Wiedervereinigung Anschläge in Berlin und hatte bereits Migranten überfallen. Die Polizei konnte den Trupp gerade noch rechtzeitig vor noch schwereren Angriffen ausheben. Das Oberlandesgericht Dresden verurteilte im März 2020 die acht Angeklagten zu mehrjährigen Haftstrafen.

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Die 24.300 Daten waren auch die Basis der Feindesliste, die das rechtsextreme Prepper-Netzwerk „Nordkreuz“ angelegt hatte. Die im August 2017 aufgeflogene Gruppierung bereitete sich auf einen „Tag X“ vor, an dem die Bundesrepublik kollabiert und „Nordkreuz“ dann Linke töten wollte.

Rechte Feindeslisten gibt es auch schon länger in Berlin. Neben Linken und anderen Nazigegnern wurde der Tagesspiegel ausgespäht und in Steckbriefen eingetragen. Eine Feindesliste hatte zudem der hessische Neonazi Stephan Ernst angelegt, bevor er im Juni 2019 den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke erschoss. Die Terrorgruppe NSU hatte bis zu ihrem dramatischen Ende im November 2011 Adress- und Telefonlisten mit 10.000 Daten potenzieller Angriffsziele erstellt.

Auch Linksextreme sammeln Daten

Feindeslisten werden nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden auch von Linksextremisten angelegt. Gesammelt werden gezielt Daten von Rechten und weiteren Personen, die der Szene verhasst sind.

Das Bundesjustizministerium will mit einer Änderung des Strafgesetzbuches den Schutz von Personen stärken, die über Feindeslisten einem Drohszenario ausgesetzt sind. Im Februar legte das Ministerium einen Referentenentwurf vor. Die bedrohliche Verbreitung personenbezogener Daten im Internet soll unter Strafe gestellt werden.

Unterdessen ist die Frankfurter Anwältin Sedan Basar-Yildiz weiter dem Psychoterror eines oder mehrerer Rechtsextremisten namens „NSU 2.0“ ausgesetzt. Im Februar kam kurz nach dem Jahrestag des Anschlags von Hanau wieder eine Morddrohung.

Seit 2018 habe sie mehr als ein Dutzend Drohungen erhalten, sagte Basar-Yildiz dem Tagesspiegel. Da ihre Daten illegal von einem Polizeicomputer abgefragt und offenbar NSU 2.0 zugespielt wurden, hat die Anwältin die Rechnung über mehr als 5000 Euro für Schutzmaßnahmen an ihrem Haus Hessens Innenminister Peter Beute (CDU) geschickt. Landespolizeipräsident Roland Ullmann teilte Basar-Yildiz jedoch mit, die Voraussetzungen für einen „Amtshaftungsanspruch“ seien nicht erfüllt.

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