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Die Dichter Paul Verlaine (li.) und Arthur Rimbaud, gemalt von Henri Fantin Latour.

© imago/Leemage

Auf der Suche nach neuen Helden: Warum die Dichter Rimbaud und Verlaine in ihren Gräbern bleiben sollten

In Frankreich wird die gemeinsame Umbettung ins Pantheon diskutiert - auch weil sie als kurzzeitiges schwules Paar für Diversität stehen. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Andrea Nüsse

Jede Zeit hat andere Helden, und zurückdrehen lässt sich das Rad der Geschichte nicht. Aber die Helden von gestern müssen nicht die Helden von heute sein – daher ändern wir Straßennamen von Kriegsherren und hängen Warnschilder an Statuen von Sklavenhändlern.

All dies immer ein Ausdruck aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen. Die Verunsicherung ist groß, wenn Referenzen verloren gehen – und neue gesucht werden. Denn es geht um Identität und Selbstverständnis einer Gesellschaft. Aber allzu oft passen auch die neuen alten Helden, vielschichtig wie sie sind, nicht ins Raster.

Eine amüsante Illustration dieser Schwierigkeiten ist derzeit in Frankreich zu beobachten. Dabei geht es nicht darum, einen heute inakzeptablen Kriegsherren aus dem Straßenbild zu tilgen wie Herrmann von Wissmann in Berlin-Neukölln, sondern es geht gleich um das ganz Große. Interessanterweise will man sich im Nachbarland eher mit der Fortschrittlichkeit der Vergangenheit schmücken.

Dort tobt ein Streit um zwei tote Dichter. Neun ehemalige Kulturminister sind involviert: Sollen die Gebeine der zu ihren Lebzeiten im 19. Jahrhundert als verrucht geltenden Dichter Paul Verlaine und Arthur Rimbaud, die kurzzeitig ein schwules Paar waren, in das Pantheon, diesen republikanischen Tempel, umgebettet werden?

Das Pantheon ist die Ruhmeshalle der Republik

Irgendwie auch wegen ihrer überragenden literarischen Bedeutung – aber ausdrücklich im Doppelpack, weil das Paar „Diversität“ symbolisiere und Opfer von „Homophobie“ geworden sei. So steht es in der Petition, adressiert an Präsident Emmanuel Macron, der allein entscheiden darf, wie die französische Geschichte in der Krypta dieser Ruhmeshalle der Nation fortgeschrieben wird.

Das Innere des Pantheon, die Ruhmeshalle der französischen Republik.
Das Innere des Pantheon, die Ruhmeshalle der französischen Republik.

© AFP

Jetzt, wo die Ehe für alle nach großem Widerstand des katholischen Milieus auch in Frankreich möglich ist, sollen deren Vorreiter hier einziehen – in diese gigantischen Mausoleumshallen, deren Größe und Säulenarchitektur den Besucher einschüchtert und in Ehrfurcht erstarren lässt.

Die aktuelle Kulturministerin Roselye Bachelot unterstützt die Initiative und unterstreicht die „aktuelle Dimension“, die eine Umbettung der „Liebenden“ hätte.

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Die Gegner führen ins Feld, dass die beiden Lyriker nur etwa zwei Jahr ein Paar waren – Verlaine hatte für den 17jährigen Rimbaud Ehefrau und Kind verlassen –, und die Trennung turbulent verlief, bei der Verlaine den jungen Rimbaud in Bein schoss. Daraufhin landete Verlaine im Gefängnis, Rimbaud hängte die Lyrik an den Nagel und wurde Waffenhändler in Afrika.

Fans des Rebellen Rimbaud, der immer gegen Kleinbürgerlichkeit und Nationalismus aufbegehrte, führen an, dass der Außenseiter der Gesellschaft niemals in diesem Nationaltempel landen wollte. Auch die Familie ist gegen diesen Doppelschlag, habe Rimbaud doch mehrere Leben gelebt und dürfe nicht auf diese kurze Liaison mit Verlaine beschränkt werden.

Diese Publicity brauchen die beiden Dichter nicht

Die beiden Dichter brauchen diese Publicity nicht: Rimbauds Anti-Kriegssonett „Le dormeur du Val“ (Der Schläfer im Tal), in dem Ästhetik und Schrecken sich elegant vermischen, lernt noch heute jedes Schulkind auswendig. Ebenso kennt jeder Franzose das oft vertonte „Chanson d´ automne“ (Herbstlied) von Verlaine.

Vielmehr dient das Anliegen der Selbstvergewisserung eines Teils der französischen Gesellschaft. Die Befreiung Verlaines aus einem unscheinbaren Grab nahe der Stadtautobahn unter „hässlichen Plastikblumen“ (ein Argument in der Petition zur Überführung!) sowie Rimbauds aus einem Familiengrab in der Provinz soll eigentlich nur belegen, dass die französische Gesellschaft es im Jahr 2020 mit der Diversität ernst meint.

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