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Kein Holzweg: Mit Buntstiften gegen Ausgrenzung.

© Sven Braun/dpa

Auf dem Weg zu einem Herkunftsdauerstreit?: Wenn Vorwürfe die Debatte bestimmen

Was fällt mir zu mir ein? Frau, Kriegskind, katholisch, deutsch. Das prägt mich, wie andere anderes prägt. Plädoyer für einen entspannteren Umgang mit Herkunft.

Anfang der 1990er Jahre holte ich als Ausländerbeauftragte ein in den USA verbreitetes Training gegen Diskriminierung und Rassismus nach Berlin „A World of Difference“ („Eine Welt der Vielfalt“). Entwickelt wurde es von der „Anti Defamation League“, einer Organisation, die gegen Antisemitismus kämpfte, ihre Aktivität aber bald auf alle Formen von Feindseligkeit und Hass gegenüber Minderheiten erweiterte.

Es ging um mehr Akzeptanz (celebrate and embrace) für gesellschaftliche Vielfalt in Einwanderungsländern, damit sich eine faire und gerechte Gesellschaft bilden kann.

Ich erinnere mich noch an das Eingangsseminar und die erste Aufgabe. Vier Begriffe aufschreiben, die den Teilnehmenden bedeutsam erschienen für ihre kulturelle Prägung. Auf meinen Zettel schrieb ich: Frau, Kriegskind, katholisch, deutsch. Ich erwähne das, weil alle Anwesenden schon am Kursbeginn bekennen sollten, wie unterschiedlich beeinflusst sie selbst waren – es sei sozial, religiös oder weltanschaulich.

Ein Vierteljahrhundert später scheint fast die gesamte Gesellschaft im Training zu sein, allerdings nicht mehr mit Samt-, sondern auch mit Boxhandschuhen. Inzwischen hat sich Deutschland im Zeichen globaler Wanderungen zum wichtigsten EU-Land für Arbeitsmigranten und Asylbewerber entwickelt, und diese Vielstimmigkeit der Einwohner ist lauter und hörbarer geworden. Und der Ton wird aggressiver.

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Es geht um strukturellen und persönlich erlebten Rassismus, um Vorwürfe an die Polizei, um das Zusammenschrumpfen des Menschen auf die Hautfarbe (Weiße, People of Color), um abgrenzende Identitätsbildung. Geballte Vorwürfe werden vorgebracht, berechtigte wie unberechtigte. Sind wir auf dem Weg zu einem Herkunftsdauerstreit, der zur Spaltung statt zur Zusammengehörigkeit führt, wie einige befürchten?

Wenn sich Unheilwolken zeigen, braucht die „Welt der Vielfalt“ Gelassenheit und gesellschaftliche Durchlässigkeit. Denn wer dazugehört und sich geschützt weiß durch den funktionierenden Rechtsstaat und dessen Gewaltmonopol, der will sich davon nicht abkoppeln.

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