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Passt das zum Etikett "links"? Bei pro-palästinensischen Demonstrationen kam es oftmals zu antisemitischen Vorfällen (Archivfoto vom 19. Mai aus Berlin).

© Christoph Soeder/dpa

Auch der Extremismus ist divers: Warum Begriffe wie „rechts“ und „links“ nur begrenzt taugen

Für die einen ist alles „Antifa“, die anderen blasen überall zum „Kampf gegen rechts“. Die Realität ist viel komplexer. Das zeigt sich am Islamismus. Ein Gastbeitrag.

- Claus Leggewie ist Ludwig Börne-Professor an der Universität Gießen. Mit Horst Meier verfasste er „Republikschutz. Maßstäbe für die Verteidigung der Demokratie“ (1995) und „Nach dem Verfassungsschutz. Plädoyer für eine neue Sicherheitsarchitektur der Berliner Republik“ (2019)

Zum Bordgepäck der Bundesrepublik Deutschland gehört eine Denkfigur: Wo immer in den vergangenen Monaten über Machenschaften und Gefährlichkeit der parlamentarischen und außerparlamentarischen Rechten debattiert wurde, ließ der Hinweis auf ein Komplementärphänomen namens Linksextremismus nicht lange auf sich warten.

Rituell schließen Konservative und Liberale stets „kategorisch“ die Zusammenarbeit nicht nur mit der AfD, sondern auch mit der Linken aus, als handele es sich um kommunizierende Röhren mit identischem Wasserstand an Bedrohlichkeit. Für die Behauptung, dass beispielsweise Bodo Ramelow (Die Linke) und Björn Höcke (AfD), auch wenn sie weit auseinanderliegen und sich energisch bekämpfen, ein und dasselbe zerstörerische Ziel verfolgen, wird gerne das Bild des Hufeisens aufgerufen.

Der Hufeisen-Topos hat sich tief in die Vorstellungswelt der selbsternannten „bürgerlichen Mitte“ eingebrannt. Doch das ist ein Taschenspielertrick: Die Mitte wird erst die Mitte, wenn sie die Symmetrie der Flügel herstellt. Gäbe es die Extreme nicht, wo läge dann die Mitte, die ohnehin ständig ein Verortungsproblem hat – linke, rechte Mitte? Und ein internes Abgrenzungsproblem: Wo endet die gemäßigte, wo beginnt die extreme Rechte und Linke?

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Es kommt sicher vor, dass sich Gegensätze berühren (Nazis und Kommunisten gemeinsam gegen die Weimarer Republik, Gewerkschaftler und Gelbwesten gemeinsam gegen Emmanuel Macron) - oder als Schein erweisen. Wenn etwa im Volksbegriff des Populismus die Eckpfeiler linker und rechter Ideologie im Aufstand des vermeintlich homogenen Volkes gegen „die da oben“, die verhasste politische Elite, zerbröseln.

Das Hufeisen-Bild stammt aus den 1950er Jahren, den Jahren nach der Einrichtung des Bundesamtes für Verfassungsschutz, mit dem die Extremismus-Bekämpfung dann zur Staatsreligion einer unsicheren Republik wurde, die auf der einen Seite mit der DDR konkurrierte, auf der anderen mit ideologischen, personellen und institutionellen Kontinuitäten zum „Dritten Reich“ fertig werden musste.  

Die Verfassungsmilitanz verlangte sehr viel

Ausgewogen antitotalitär agierte man dabei nicht: Im Visier stand in der Regel die Linke. Die Trias von Wertgebundenheit, Abwehrbereitschaft und Treuepflicht wurde zum Mittel des politischen Kampfes gegen radikale Oppositionelle, sogenannte Sympathisanten und Beamte mit Mitgliedsbuch von DKP oder KBW (Kommunistischer Bund Westdeutschland), die von der sozialliberalen Koalition in den 1970er Jahren mit Berufsverboten überzogen wurden. Diese geheimdienstliche Verfassungsmilitanz ging über alles hinaus, was klassische Demokratien an Loyalitätspflichten und Präventivschutz auffuhren.

Für diesen deutschen Sonderweg könnte man die Unsicherheiten einer jungen Republik ins Feld führen, aber er wurde fortgesetzt, auch als sie stabil geworden war. Der Preis bestand darin, dass sie sich damit eine selbstbewusste Begründung aus ihrem Erfolg heraus versagte.

"Fanatismus" als konstruierte formale Übereinstimmung

Die Verfechter der Hufeisen-Symmetrie wissen sehr wohl, wie weit Bewegungen, Ideologien und Programme der radikalen Linke und Rechten auseinanderliegen. Aber sie konstruieren formale Übereinstimmungen wie den „Fanatismus“, womit die Ablehnung des Meinungspluralismus und parlamentarischer Kompromisse gemeint ist. Das gilt heute für die radikale Rechte, aber schon lange nicht mehr für die Partei Die Linke, erst recht nicht für die Grünen, die in ihren Anfängen auch als Extremisten ins Visier genommen wurden. Und am fanatischsten gerieren sich heute „Querdenker“, die ganz überwiegend aus der bürgerlichen Mitte kommen.

[Lessen Sie hier bei T-Plus: So ticken die "Querdenker" - ein Interview mit Meinungsforscher Richard Hilmer.]

Das Hufeisen bringt kein Glück, auch nicht den Betroffenen, die selbst darauf herumreiten, wenn sie jeweils das andere Extrem aus dem öffentlichen Diskurs ausschließen und aus einem wahlweisen Anti-Faschismus oder -Kommunismus oftmals ihre ganze politische Identität schöpfen. Vom Schlachtruf Donald Trumps gegen „Antifa“ haben sich die Republikaner aufs ultrarechte Glatteis führen lassen und einen versuchten Staatsstreich geschehen lassen.

Auch dieses Anti ist rein taktisch, wenn etwa Verbalradikalismus und Gewaltakte der Autonomen wie in Leipzig-Connewitz oder bei Aufmärschen zum Ersten Mai mit der faschistischen Gefahr legitimiert oder aufgerechnet werden.  Und was diese selbst erklärten Antifaschisten betrifft, ist der „Kampf gegen rechts“ zum inhaltsleeren Pranger geworden, an den man beliebig jeden „Feind“ hängen kann.

Hamas-Symapathisanten zeigen den Hitlergruß

Ein Beispiel dieser Inhaltsleere war die jüngste Polizeistatistik zum Antisemitismus, in der das Bundesinnenministerium eine minutiöse Quantifizierung von Straftaten 94,6 Prozent dem rechtsextremistischen Spektrum zuordnete. Zu Recht wurde kritisiert, dass darunter Straftaten mit religiösem, namentlich islamistischem Hintergrund sind, die nicht weiter zugeordnet werden konnten. Ein Beispiel sind Aufmärsche von Sympathisanten der Terrormilizen Hamas und Hisbollah, bei denen der Hitlergruß gezeigt wird, ein Hinweis auf verbreiteten Judenhass in arabisch-türkisch-islamischen Milieus, aus denen – unter dem Etikett „Antizionismus“ -  die aggressivste Tätergruppe bei tätlichen Angriff an Juden in Deutschland stammt.

Ist die radikale Rechte damit aus dem Schneider? Keineswegs. Man sollte lieber die formalen Kriterien der Triade Rechtextremismus/Linksextremismus/Islamismus überprüfen und inhaltliche Gemeinsamkeiten von Antisemiten herausarbeiten, die ungeachtet der linken, rechten oder religiösen Färbung ganz klar eine für die Rechte typische Diskriminierung gemeinsam haben.

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Wer Juden hasst, verteufelt, verfolgt und angreift, den schützen keine antizionistischen Ausreden, und eine klare Zuordnung zum völkisch-autoritären Denken auch in linken und islamischen Milieus exkulpiert keine selbsternannte Linke.

Einer der widerlichsten Anschläge auf jüdische Einrichtungen in der jüngeren Geschichte war der auf die Jüdische Gemeinde am 9. November (!) 1969 durch die Tupamaros West-Berlin, in den der SDS-Kommunarde Dieter Kunzelmann verwickelt gewesen sein soll. Das Datum der Reichspogromnacht war bewusst gewählt. Kunzelmann ließ verlauten, die Deutschen sollten ihren „Judenknax“ loswerden und sich für die Sache der Palästinenser aussprechen.  Ein Beleg für die Hufeisentheorie? Eher der Beweis, dass Kunzelmann den Anspruch, links zu sein, weit verfehlte.

Das war nicht der einzige große Irrtum: Die Sache der Palästinenser bis heute für „links“ (im Sinne von antiimperialistisch) zu deklarieren, verkennt den Charakter zumindest großer Teile der palästinensischen Kämpfer und die Verbreitung von Antisemitismus in den Reihen des palästinensischen Volkes und in der gesamten arabisch-islamischen Welt völlig. Dass „Antizionisten“ den Hitlergruß üben, sagt alles. Diese Gemeinsamkeiten zeigen, dass man sich bei der Einordnung der politischen Familien nicht an deren Selbstetikettierungen orientieren darf. Antisemitismus und allgemeiner völkisch-autoritärer Nationalismus war und ist ein Kernelement der Rechten.

Claus Leggewie

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