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Am S-Bahnhof Wehrhahn erinnert eine Pappe mit Aufschrift an den Anschlag.

© Martin Gerten/dpa

Attentat mit Rohrbombe: Die Beweise reichten nicht aus, um den rechten Tatverdächtigen zu verurteilen

18 Jahre nach dem Bombenanschlag am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn mit zehn Schwerverletzten endet der Prozess am Dienstag mit einem Freispruch.

Von Frank Jansen

Das Urteil fällt fast auf den Tag 18 Jahre nach dem Anschlag – doch die Tat bleibt ungesühnt. Das Landgericht Düsseldorf hat am Dienstag im Prozess zu der Sprengsstoffexplosion vom 27. Juli 2000 am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn den Angeklagten Ralf S. freigesprochen. Bei dem Angriff mit einer Rohrbombe hatten zehn Sprachschüler russischer, ukrainischer und aserbaidschanischer Herkunft, sechs von ihnen Juden, zum Teil schwere Verletzungen erlitten. Eine junge Frau verlor durch einen Metallsplitter ihr ungeborenes Kind. Die Strafkammer sei zu dem Ergebnis gekommen, „dass die Indizienbeweise auch in der Summe nicht ausreichen, um die Täterschaft des Angeklagten zweifelsfrei nachzuweisen“, teilte das Landgericht mit.

Der Freispruch für den Mann aus der rechten Szene hatte sich abgezeichnet. Im Mai entließen ihn die Richter aus der Untersuchungshaft. Staatsanwaltschaft und Opferanwälte halten Ralf S. weiterhin für den Attentäter. Oberstaatsanwalt Ralf Herrenbrück hatte lebenslange Haft gefordert. Nebenklage-Anwalt Juri Rogner sagte im Plädoyer, „wenn der Wehrhahn-Anschlag das schwerste Verbrechen in der Düsseldorfer Nachkriegsgeschichte war, ist die Kammer gerade dabei, den größten Fehler der Nachkriegsgeschichte zu begehen“. Staatsanwaltschaft und Nebenkläger werden das Urteil wahrscheinlich anfechten.

Kanzler Schröder rief den "Aufstand der Anständigen" aus

Das Verbrechen hatte Entsetzen ausgelöst. Der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) sprach vom Verdacht eines fremdenfeindlichen Hintergrunds. Es kam zu einer Welle der Empörung über rechte Gewalt, obwohl kein Täter bekannt war. Nach einem weiteren Anschlag im selben Jahr in Düsseldorf, getroffen wurde die Synagoge, rief Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) einen „Aufstand der Anständigen“ aus. Schröder setzte sich auch für ein Verbot der NPD ein. Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat scheiterten jedoch mit ihren Anträgen. Das Bundesververfassungsgericht stellte das Verbotsverfahren im März 2003 wegen V-Leuten in Vorständen der NPD ein.

Bei der Polizei waren kurz nach dem Anschlag Hinweise auf Ralf S. eingegangen. Eine Durchsuchung der Wohnung des Ex-Soldaten und seines Militaria-Ladens, nicht weit von der Sprachschule der Opfer entfernt, erbrachte nichts. Die Ermittler machten weiter und vernahmen mehr als 1400 Personen. Stadt und Staatsanwaltschaft lobten 120 000 D-Mark Belohnung für Hinweise auf den oder die Täter aus. Nach dem Ende des NSU 2011 wurde geprüft, ob die Terrorzelle den Anschlag verübt haben könnte. Belege fanden sich nicht. Und dann geriet Ralf S. 2014 wieder ins Visier der Strafverfolger.

Das Gericht stufte die Zeugenaussagen als "nicht belastbar" ein

Der Mann saß wegen unbezahlter Schulden im Gefängnis. Ein Mithäftling berichtete der Polizei, Ralf S. habe sich ihm gegenüber der Tat bezichtigt. Die Behörden fuhren die Ermittlungen wieder hoch, im Januar 2017 reichten die Indizien für einen Haftbefehl. Ralf S. bestritt, den Anschlag begangen zu haben, verwickelte sich aber in Widersprüche. Die Staatsanwaltschaft klagte ihn wegen versuchten Mordes in zwölf Fällen an. Am Tatort hatte sich ein Dutzend Sprachschüler aufgehalten.

Im Prozess sagte Ralf S., er sitze auf der Anklagebank „wegen Wichtigtuerei“. Nach 25 Prozesstagen meinten auch die Richter, Zeugenaussagen zuungunsten von S. seien „nicht hinreichend belastbar“. Der Angeklagte kam aus der U-Haft heraus, nach dem Urteil vom Dienstag hat er erstmal nichts mehr zu befürchten.

35000 Namen auf Feindeslisten der Rechten

Unterdessen wirft die Linken-Bundestagsabgeordnete Martina Renner der Bundesregierung vor, die rechtsterroristische Gefahr zu ignorieren. Anlass ist eine Antwort des Justizministeriums auf Renners Anfrage zu drei „Feindeslisten“ von Rechtsextremisten. Das Ministerium spricht von insgesamt 35 000 Daten. Das sind die 10 000 Datensätze, die der NSU gesammelt hatte, die von dem terrorverdächtigen Bundeswehroffizier Franco A. und mutmaßlichen Komplizen angelegte Liste mit 32 Personen und Örtlichkeiten sowie Daten der Prepper-Gruppe „Nordkreuz“ zu 25 000 Personen. Renner hält dem Bundeskriminalamt vor, nur drei Personen über eine Gefährdung informiert zu haben. Das BKA sagt allerdings, es habe bei allen Listen die Polizeien der Länder eingeschaltet.

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