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Bedrohung wächst. Die deutsche Wirtschaft wird zunehmend durch Cyberangriffe geschädigt. Die Schadenssumme liegt bei mehr als 220 Milliarden Euro

© Getty Images/iStockphoto

Update

Attacken auf deutsche Unternehmen: Hacker und andere Täter verursachen Schäden von mehr als 220 Milliarden Euro

Der Digitalverband Bitkom ist alarmiert: Cyberkriminelle richten in der deutschen Wirtschaft einen „Rekordschaden“ an. Der Ausblick ist pessimistisch.

Von Frank Jansen

Die Bilanz ist dramatisch. Cyberangriffe treffen Unternehmen mit einer existenzgefährdenden Wucht. Der deutschen Wirtschaft entstehe durch Diebstahl, Spionage und Sabotage jährlich ein Gesamtschaden von 223 Milliarden Euro, teilte am Donnerstag der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und Neue Medien (Bitkom) mit. Ein Teil ist auf analoge Kriminalität zurückzuführen, ursächlich für den enormen Anstieg der Schäden sind jedoch überwiegend Cyberangriffe. Die Schadenssumme sei damit doppelt so groß wie 2018 und 2019, als sie pro Jahr 103 Milliarden Euro betrug. Auch wenn der Betrag schon damals hoch war, spricht der Bitkom jetzt von einem „Rekordschaden“.

Die Zahlen sind das Ergebnis einer repräsentativen Studie des Bitkom. Der Digitalverband stellte das Papier am Donnerstag gemeinsam mit dem für die Beobachtung von Cyberangriffen und Wirtschaftsspionage befassten Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) vor. Mehr als 1000 Unternehmen „quer durch alle Branchen“ seien befragt worden, heißt es. Demnach waren 88 Prozent der Firmen 2020/2021 von Angriffen betroffen. 2018/2019 waren es 75 Prozent. 2017 hatte Bitkom von 53 Prozent heimgesuchter Firmen gesprochen und die Schadenssumme mit 55 Milliarden Euro beziffert. Jetzt meldet Bitkom, aktuell sehe jedes zehnte Unternehmen seine geschäftliche Existenz durch Cyberattacken bedroht.

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"Haupttreiber“ des enormen Anstiegs seien „Erpressungsvorfälle, verbunden mit dem Ausfall von Informations- und Produktionssystemen sowie der Störung von Betriebsabläufen“. Sie seien meist unmittelbare Folge von Ransomware-Angriffen. Durch sie werden Computer und andere Systeme blockiert, anschließend werden die Betreiber erpresst. Die so verursachten Schäden hätten sich im Vergleich zu den Vorjahren 2018/2019 mehr als vervierfacht.

Verlust von Wettbewerbsfähigkeit

Bitkom-Präsident Achim Berg sagte, „die Wucht, mit der Ransomware-Angriffe unsere Wirtschaft erschüttern, ist besorgniserregend und trifft Unternehmen aller Branchen und Größen“. Systeme würden verschlüsselt und der Geschäftsbetrieb lahmgelegt. Gestohlene Kunden- und Unternehmensdaten erzeugten nicht nur Reputationsschäden, sondern führten auch zum Verlust von Wettbewerbsfähigkeit. Berg warnt, „der Diebstahl von geistigem Eigentum kann für die innovationsgetriebene deutsche Wirtschaft schwerwiegende Konsequenzen haben".

Nach Ansicht der geschädigten Unternehmen kommen die meisten Angriffe aus Deutschland. So äußerten sich jedenfalls 43 Prozent der betroffenen Firmen in der Bitkom-Studie. Bei 37 Prozent der Unternehmen werden hinter den Attacken Täter aus Osteuropa – ohne Russland – vermutet. Es folgen China, Russland und die USA. Ein Teil der Unternehmen sprach sogar von Angriffen sowohl aus dem Inland wie dem Ausland. Allerdings waren 31 Prozent der Firmen nicht in der Lage, die Täter zu lokalisieren. Das sind sieben Prozent mehr als 2018/2019. Aus Sicht der Bitkom ist der Anstieg „ein Indiz für erfolgreichere Verschleierungstaktiken der Angreifer“.

In der Pandemie wird zudem Homeoffice ein weiteres Einfallstor für Hacker, da häufig die Geräte von Firmenmitarbeitern zuhause nicht ausreichend gesichert sind.

Unternehmen befürchten weitere Eskalation

Die deutsche Wirtschaft blickt pessimistisch in die Zukunft. 83 Prozent der befragten Unternehmen befürchten, die Zahl der Cyberattacken werde in diesem Jahr noch weiter zunehmen. Knapp die Hälfte, 45 Prozent, erwartet sogar einen starken Anstieg. Das gilt vor allem für Betreiber Kritischer Infrastrukturen. Dabei handelt es sich um Unternehmen, die für die Versorgung der Bevölkerung von besonders Bedeutung sind, unter anderem Stromkonzerne, Wasserbetriebe und Verkehrsunternehmen. Bei einem erfolgreichen Cyberangriff auf ihre IT-Anlagen bestünde die Gefahr größerer Schäden für die betroffene Region. Ein offenbar realistisches Szenario. Eine spezialisierte Beratungsfirma hatte im vergangenen Jahr die Berliner Wasserbetriebe gewarnt, bei einer Attacke professioneller Hacker, die Lösegeld erpressen wollen, könnte die Abwasserentsorgung der Stadt wochenlang lahmgelegt werden. In der Bitkom-Studie steht nun, dass sich mehr als die Hälfte der Betreiber Kritischer Infrastrukturen besonders bedroht sieht.

Der Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Sinan Selen, betonte am Donnerstag, „die aktuelle Bitkom-Studie macht deutlich, wie wichtig eine resiliente Wirtschaft für den Standort Deutschland ist". Die Corona-Pandemie habe die Notwendigkeit "drastisch verstärkt". Nur durch eine intensive Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Behörden "können wir den Bedrohungen durch Sabotage und Spionage effektiv entgegentreten“, sagte Selen.

Bitkom-Präsident appelliert schon an kommende Bundesregierung

Bitkom-Präsident Berg mahnt bereits jetzt die nächste Bundesregierung, "der Schutz der deutschen Wirtschaft entscheidet wesentlich über den Erfolg und die Strahlkraft des Wirtschaftsstandorts Deutschland". Es brauche neben dem offenen und ehrlichen Dialog mit der Wirtschaft "in der kommenden Legislaturperiode mehr Tatkraft auf allen Ebenen". Die Stärkung des Wirtschaftsschutzes und der Aufbau notwendiger Cyber-Resilienz könnten nur gelingen, "wenn die nächste Bundesregierung den Schulterschluss mit der Wirtschaft sucht".

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