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Unendliche Geschichte. Protest gegen die Castor-Transporte im niedersächsischen Nordenham Anfang November.

© Mohssen Assanimoghaddam / dpa

Atomausstieg: Klimaschutz gelingt nur solide

Das Bundesverfassungsgericht springt dem Kläger Vattenfall gegen die Bundesregierung bei. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jakob Schlandt

Eine doppelte Ohrfeige hat das Bundesverfassungsgericht nun der Bundesregierung erteilt. Und zwar in Form eines Urteils zum Atomausstieg. Der ist und bleibt beschlossene Sache, 2022 geht das letzte Kernkraftwerk Deutschlands vom Netz. Doch 2011 wurden in einer Hauruck-Aktion nach der Katastrophe von Fukushima acht ältere Anlagen sofort vom Netz genommen. Dafür müssen Entschädigungen gezahlt werden. Auch wenn es jedem schlecht schmeckt, der die Atomkraft zurecht für eine unzumutbar gefährliche Technik hält: So ist das in einem Rechtsstaat.

Bei der Regelung hat die Bundesregierung, namentlich das Umweltministerium, allerdings grandios geschlampt. Die erste Entschädigungsregel wurde 2016 von den Verfassungsrichtern kassiert. Die Neuauflage von 2018, den Reparaturversuch, haben sie gestern ebenfalls in die Mülltonne befördert. Nun muss Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) mit ihrem Ressort zum dritten Mal ran.

Simple Schlamperei ist zum einen schuld daran, bei der Freigabe in Brüssel wurde ein Fehler gemacht. Wichtiger: Die Entschädigungsregel ist zu ungenau und letztlich zu knauserig ausgefallen. Das hat politische Gründe. Ein SPD-geführtes Umweltministerium (2016 noch von Barbara Hendricks) wollte sich erkennbar nicht dem Vorwurf aussetzen, den „Atomriesen“ Geld zuzuschanzen. Die Ungenauigkeit kam da gerade recht: Erst 2023 würde damit eine genaue Summe feststehen – weit weg. Doch genau das geht nicht, sagen die Karlsruher Richter.

Verfassungstreue Lösungen sind gefragt

Als Bundesregierung kann man sich oft nicht aussuchen, wem man gefallen möchte und wem nicht, sondern muss verfassungstreue Lösungen finden. Dass das nicht einfach ist nach einer Ad-hoc-Entscheidung wie 2011, liegt in der Natur der Sache. Die Karlsruher Richter haben gezeigt, dass es letztlich zu nichts führt, sich vor der Verantwortung zu drücken.

Zweitens: Die Tendenz zum Wunschdenken, was die rechtliche Solidität der eigenen Gesetze angeht, macht nervös. Deutschland steht am Anfang eines monumentalen Projekts: dem Umbau zu einer klimaneutralen Wirtschaft in wenigen Jahrzehnten. Umweltministerin Schulze tritt dafür mit Verve und zunehmendem Erfolg ein.

Ein entscheidender Baustein dazu aus ihrem Haus ist, dass auch im Verkehr und beim Heizen CO2-Emissionen einen Preis bekommen, schon ab kommendem Jahr. Rechtlich allerdings gibt es Zweifel, ob die Sache sauber geregelt ist. Das wird frühestens 2021 entschieden. Hoffen wir, dass das Gesetz hält – und auch sonst wieder solide gearbeitet wird. Sonst kommt es wie gerade beim Atomausstieg am Ende umso dicker.

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