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Atomausstieg: Das letzte Gefecht im Bundestag

Der Abschied von der Atomkraft ist eingeleitet. Viele verbuchen das als ihren Erfolg. Wie hat der Bundestag die große Stunde begangen?

Von Robert Birnbaum

Der Beifall prasselt und will gar nicht aufhören. Vorn am Rednerpult setzt Norbert Röttgen zwei, drei Mal zum nächsten Satz an, aber die Applaudierenden sind unerbittlich. Für den Umweltminister der schwarz-gelben Koalition wäre das ja an sich ein erfreulicher Moment, nur kommt der Beifall von der falschen Seite. Von einem „Lernprozess“ hin zur Energiewende hatte Röttgen gesprochen, als Grüne, SPD und Linke höhnisch anfangen zu klatschen. „Ein bisschen Demut täte allen gut!“, ruft Röttgen in den lästigen Applaus hinein. Da krümmt sich Jürgen Trittin vor Lachen und haut noch heftiger die Hände aufeinander.

Spätestens in diesem Moment ist klar, dass der Bundestag zwar an diesem Donnerstag eine historische Entscheidung mit einer historischen Mehrheit fällen, aber wenig Feierlichkeit zulassen wird. Dabei ist Röttgen als erster Redner um Geschichtspathos nicht verlegen. „Das Hohe Haus wird heute nach mindestens 30-jähriger kontroverser, teils unerbittlicher Debatte einen Konsens in der Energiepolitik beschließen“, hebt der CDU-Mann an und beschwört ein „nationales Gemeinschaftswerk“. Aus den Bänken von SPD und Linkspartei schwellen aber gleich Zwischenrufe derart an, dass der Bundestagspräsident zur Ruhe mahnen muss. Der Krawall wird wieder lauter, als Röttgen für die schwarz-gelbe Koalition das Copyright auf die Energiewende beansprucht. FDP-Chef Philipp Rößler wird später sogar behaupten, dass dieser Ausstieg „vernünftig“ sei, anders als der rot-grüne.

So etwas kann Sigmar Gabriel nicht stehen lassen. Dass SPD und Grüne später dem Atomausstieg bis 2022 zustimmen werden, ist für beide Parteien schwierig genug; um so weniger mag sich der SPD-Chef als Gefolgsmann von Schwarz-Gelb vereinnahmen lassen. „Wir beschließen hier aus voller Überzeugung, Sie hingegen aus Gründen des Machterhalts“, ruft Gabriel der Kanzlerin zu. Angela Merkel drückt sich in ihrem hellblauen Kostüm tief in den Sessel und blickt betont geradeaus, während der SPD-Chef atomkritische Zitate von Hans-Jochen Vogel und Willy Brandt vorträgt, die beweisen sollen, dass die SPD schon da auf Ausstiegskurs gewesen sei.

Das ist historisch auch nicht ganz richtig – warum sonst säßen die Grünen heute im Bundestag? Aber Gabriel hat die Lacher auf seiner Seite, als er Merkels kurvigen Weg von der Laufzeitverlängerung zum Schnellausstieg nachzeichnet. Er nutzt die Chance zur Generalabrechnung: Stop-and- Go-Politik sei Markenzeichen der Koalition, „Politikversagen“, alles ohne Berechenbarkeit und Planbarkeit: „Wenn Sie wirklich Mut haben, dann kommen Sie nicht im Herbst mit dem soundsovielten Neustart zurück“, ruft Gabriel, „dann hören Sie einfach auf!“

Die SPD applaudiert frenetisch. Die Grünen nicht. Gabriels Satz „Dieser Ausstieg ist unser Ausstieg“ geht ihnen etwas zu weit. Trittin kann sehr lebendig erzählen, wie mühsam es war, damals die SPD zum ersten Atomkonsens zu tragen. Renate Künast fällt die Rolle zu, daran zu erinnern, wer den Ausstieg wirklich erfunden hat. „Dies ist der Zeitpunkt, wo man Dank aussprechen muss“, sagt die Grünen-Fraktionschefin, und dann zählt sie die Ikonen der Anti-Atom-Bewegung auf: von Klaus Traube, dem bekehrten Atomwissenschaftler, über den Protestmusikanten Walter Mossmann bis hin zu all den Menschen, „die über 30 Jahre lang in diesem Land den Mut hatten zu kämpfen“. Künast weiß, dass viele in dieser Bewegung das grüne Ja zum schwarz-gelben Ausstieg weiter skeptisch sehen. Sie wirbt noch einmal um Verständnis: „Von dieser Entscheidung wird Schwarz-Gelb nicht mehr runterkommen“, sagt sie. Für Merkel hat Künast nicht mal böse Worte übrig: „Mir reicht die Ironie der Geschichte.“

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