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Vor dreieinhalb Jahren war er noch gegen Atomwaffen, heute will er nicht auf sie verzichten: Heiko Maas, Außenminister, kürzlich in Kairo.

© imago images/photothek

Debatte über atomare Abrüstung: Wenn das gute Ziel den Bösen hilft

Heute tritt der UN-Atomwaffenverbotsvertrag in Kraft. Doch Deutschland wird nicht beitreten - aus guten Gründen, wie eine neue Studie meint.

Von Hans Monath

Als die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (Ican) im Oktober 2017 den Friedensnobelpreis erhielt, gratulierte auch die Bundesregierung. Heiko Maas, der angesichts von Jamaika-Sondierungsgesprächen damals dem Ende seiner Amtszeit als Bundesjustizminister entgegensah, lobte Ican auf Twitter. "Atomwaffen schaffen nicht mehr Sicherheit. Sie machen die Welt instabiler und bedrohlicher. Glückwunsch!", schrieb der SPD-Politiker, der nicht ahnte, dass er nach dem Platzen der Jamaikaträume ein halbes Jahr später Außenminister werden würde. Heute denkt er anders über das Problem.

Andere Regierungsvertreter waren vorsichtiger. Denn die große Koalition teilte zwar das Ican-Ziel einer atomwaffenfreien Welt, hielt aber den von ihr vorgeschlagenen Weg dorthin für falsch. Die Union und im Herbst 2017 auch noch die SPD bekannten sich zur Notwendigkeit atomarer Abschreckung. Das Bündnis von Nichtregierungsorganisationen aber versammelte UN-Staaten hinter dem Ziel, einen UN-Atomwaffenverbotsvertrag ("Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons", kurz TPNW) zu verabschieden. Dieser ist nicht zu verwechseln mit dem Atomwaffensperrvertrag ("Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons", kurz NPT), mit dem sich viele Staaten, darunter auch Atommächte, verpflichten, Kernwaffen nicht zu verbreiten und nuklear abzurüsten.

Ende dieser Woche, am 22. Januar, wird der Verbotsvertrag TPNW in Kraft treten – 90 Tage, nachdem 50 UN-Staaten ihn am 24. Oktober 2020 ratifiziert hatten. Der Vorgang dürfte die Debatte um einen Beitritt Deutschlands zum Atomwaffenverbotsvertrag wieder beleben, in der sich seit 2017 einiges getan hat.

Mit einem Beitritt zum Vertrag könnte Deutschland die Nato sprengen

Eine deutsche Unterschrift unter den Verbotsvertrag würde einen Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland nach sich ziehen und in der Nato schwere Konflikte über die Bündnistreue der Deutschen und den Fortbestand des Paktes heraufbeschwören. Denn die Bundesrepublik verfügt zwar nicht über eigene Nuklearwaffen, ist aber indirekte Atomwaffenmacht, weil sie über die Nuklearstrategie der Nato mitbestimmt und Tornado-Kampflugzeugen bereitstellt, die US-Atomsprengköpfe im Ernstfall ins Ziel tragen. Der Fachbegriff dafür lautet "nukleare Teilhabe".

Linkspartei und Grüne fordern schon lange, Deutschland müsse dem Atomwaffenverbotsvertrag beitreten, denn sie lehnen auch die nukleare Teilhabe ab. Verändert hat sich in den vergangenen drei Jahren die Position der SPD. Fraktionschef Rolf Mützenich fordert seit dem vergangenen Jahr den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland und einen Verzicht auf den technischen Teil der nuklearen Teilhabe – er will mit dieser Position auch in den Bundestagswahlkampf ziehen. Die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans unterstützen ihn dabei.

Die stellvertretende SPD-Fraktionschefin Gabriela Heinrich forderte die Bundesregierung kürzlich auf, „ihre kategorische Ablehnung des Vertrages abzulegen“. Vor dem Verlangen nach einem Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag schreckt die SPD-Fraktion zwar noch zurück, aber sie nähert sich dieser Position an. Anfang des Jahres verabschiedete sie ein Papier, in dem sie die Regierung dazu drängt, „als Beobachter an der Vertragsstaatenkonferenz teilzunehmen und so die Intentionen konstruktiv zu begleiten“.

Despoten mit Nuklearwaffen wie Nordkoreas Kim Jong Un wollen dem Atomwaffenverbotsvertrag nicht beitraten.
Despoten mit Nuklearwaffen wie Nordkoreas Kim Jong Un wollen dem Atomwaffenverbotsvertrag nicht beitraten.

© via REUTERS

Damit baut die SPD-Fraktion weiter Druck auf den SPD-Außenminister auf, der sich dem aber nicht beugen will. Maas lehnt in seinem neuen Amt nun den Atomwaffenverbotsvertrag ab: „Es nützt nichts, Verträge zu schließen, an denen diejenigen nicht beteiligt sind, die über die Atomwaffen verfügen, die man abrüsten will“, sagte er kürzlich vor der Teilnahme an einer Abrüstungskonferenz mit Vertretern aus 15 anderen Staaten.

Eine neue Studie der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) stützt die Position von Maas und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU). Wegen inhaltlicher Schwächen werde sich der Verbotsvertrag "in absehbarer Zukunft" nicht durchsetzen, schreibt darin der Sicherheitsexperte Jonas Schneider.

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Die neun Atommächte und die 27 Nichtkernwaffenstaaten der Nato hätten bereits erklärt, dem „TPNW“ nie beizutreten, weshalb der Schluss naheliege, dass seine Strahlkraft gering bleiben werde.

Zudem vernachlässigten die Protagonisten des Vertrages, dass dieser sich „in der Praxis stärker gegen Demokratien als gegen autokratische Kernwaffenstaaten richtet“. In offenen Gesellschaften wirke der zivilgesellschaftliche Druck von Ican, in Staaten mit eingeschränkter oder vollständig kontrollierter Öffentlichkeit aber bleibe die Strategie der TPNW-Unterstützer „wirkungslos“. Mit anderen Worten: Das hehre Ziel könnte am Ende den Bösen helfen.

Eine Unterstützung des Atomwaffenverbotsvertrags, so Schneiders Schlussfolgerung, sei nicht in Deutschlands Interesse. Die Bundesregierung fordert der Experte auf, dem öffentlichen Druck stärker entgegenzutreten, sie solle ihre Ablehnung des Vertrags „selbstbewusster erklären“.

Die Union dürfte damit weniger Schwierigkeiten haben als die SPD. Zwar gilt Kanzlerkandidat Olaf Scholz als natotreuer Realpolitiker. Weil er sich in dieser Frage öffentlich aber nicht exponiert, müsste sich der Außenminister allein noch stärker gegen die Spitzen der eigenen Fraktion und Partei stellen. Die in der SPD weit verbreitete Position kennt er gut: Er hatte schließlich vor drei Jahren noch selbst gegen Atomwaffen argumentiert. 

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