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Die saudische Frauenrechtlerin Loujain Al-Hathloul wurde 2018 verhaftet.

© Marieke Wijntjes / Amnesty International

Atmosphäre der Angst in Saudi-Arabien: Inhaftierte Frauenrechtlerin will mit Hungerstreik Kontaktverbot brechen

Die 29-jährige Loujain AlHatloul ist seit März 2018 im Gefängnis. Sie wurde verschleppt, gefoltert und wartet immer noch auf ihren Prozess.

Mehr als anderthalb Jahre ist es her, dass Lina AlHathloul ihre Schwester Loujain zuletzt gesprochen hat. Fast drei Jahre haben die beiden sich nicht gesehen. „Als meine Eltern sie im August gesehen haben, war sie sehr dünn und schwach“, sagt Lina, „im Gefängnis wurde ihr gesagt, dass sie wegen Corona keine Anrufe und Besuche empfangen dürfe, aber als sie mit andere Gefangenen sprach, stellte sich heraus, dass diese weiterhin regulär Besuch bekamen.“

Daraufhin habe die saudische Frauenrechtlerin, die im Jahr 2018 verhaftet wurde, sich dazu entschieden, so lange in den Hungerstreik zu treten, bis sie wieder Kontakt zu ihrer Familie haben dürfe.

Das war im Oktober; seitdem hat niemand mehr etwas von ihr gehört.

Immer wieder werden in Saudi-Arabien Oppositionelle und Aktivisten, die Menschenrechtsverletzungen anprangern, verhaftet und unterdrückt.  So ließ der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman im Jahr 2018- kurz vor der Einführung der Frauenfahrerlaubnis- mehrere prominente Frauenrechtlerinnen festnehmen, darunter die damals 29-jährige Loujain AlHatloul.

Sie und andere Aktivistinnen hatten sich dafür eingesetzt, dass das Fahrverbot für Frauen in Saudi-Arabien aufgehoben und das repressive Vormundsystem, abgeschafft werden.

Das System der Vormundschaft existiert weiter

Zwar haben Frauen seit dem vergangenen Jahr das Recht, ohne Zustimmung ihres Vormunds einen Pass zu bekommen und ins Ausland zu reisen. Trotzdem wurde das System der Vormundschaft, das saudische Frauen in etlichen Lebensbereichen von ihren männlichen Vormunden abhängig macht, nicht abgeschafft. Bis heute dürfen Frauen ohne Zustimmung ihres Vormunds weder heiraten noch eine Wohnung mieten.

„Von den Propagandaaktionen der Königsfamilie sind Frauen besonders betroffen“, sagt Julia Legner, die als unabhängige Menschenrechtsberaterin arbeitet und Direktorin für Öffentlichkeitsarbeit bei der saudischen Menschenrechtsorganisation ALQST for Human Rights ist.

Loujain blieb zehn Monate ohne Anklage, dann wurde sie als Spionin diffamiert

So werde behauptet, dass die Regierung in Richtung Gleichstellung arbeite, was sich zwar international gut verkaufe, aber nicht strukturellen tiefergreifenden Reformen entspreche. „Frauen sind immer noch wie Minderjährige unter der Obhut ihres männlichen Vormunds“, betont Legner.

Internationale Organisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International fordern deshalb, Loujain und andere Inhaftierte freizulassen und tiefergehende Reformen durchzusetzen.

„Als Loujain festgenommen wurde, bekam sie zehn Monate lang keine Anklage“, erzählt Lina. Die saudischen Zeitungen hätten sie als Verräterin und Spionin diffamiert und ihr vorgeworfen, sich öffentlich zu Menschenrechten in Saudi-Arabien zu äußern und in Kontakt mit Organisationen wie Amnesty International zu stehen. „Im Grunde beschuldigen sie sie dafür, Aktivistin zu sein und vertagen den Prozess bis heute.“

Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman Saudi.
Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman Saudi.

© Saudi Press Agency/dpa

Während der Haft sei ihre Schwester, die im März 2018 von saudischen Sicherheitskräften entführt und verschleppt wurde, mit Elektroschocks und Waterboarding gefoltert worden, berichtet Lina.

Anschließend habe sie sieben Monate lang in Einzelhaft verbringen müssen und ihr seien Grundrechte wie der regelmäßige Kontakt mit ihrer Familie verwehrt worden.

„Saudi- Arabien wird ein Polizeistaat und es gibt keine Justiz.“ Weil der einzige Anwalt, der bereit war, Loujains Fall zu übernehmen, sie dazu aufforderte, die gegen sie erhobenen Vorwürfe abzustreiten, vertreten sie stattdessen ihre Eltern.

Die Eltern dürfen nicht über ihre Tochter sprechen

Doch auch sie werden unter Druck gesetzt und dürfen das Land seit der Festnahme ihrer Tochter nicht verlassen. „Unsere Eltern haben Angst, dass sie ebenfalls festgenommen werden und es gibt viel sozialen Druck“, berichtet Lina. Dadurch, dass es ein gesellschaftliches Tabu sei, über Loujain zu sprechen, fühlten die Eltern sich isoliert. Sie selbst hatte Glück, dass sie sich zum Zeitpunkt der Verhaftung in Belgien aufhielt und mittlerweile in Berlin studiert. Wann sie ihre Familie wiedersehen kann, weiß niemand; zu groß ist das Risiko, nicht wieder ausreisen zu dürfen.

Linas Hoffnung liegt jetzt auf dem anstehenden G-20 Gipfel, der in diesem Jahr von Saudi-Arabien abgehalten wird. Sie hofft, dass die internationale Staatengemeinschaft Saudi-Arabien dazu auffordere, ihre Schwester und weitere Aktivistinnen freizulassen.

Deutschland sollte das Thema Menschenrechte zu einem zentralen Punkt machen, fordert Lina, denn die Situation verschlechtere sich zunehmend. „Es ist eine Atmosphäre der Angst in Saudi-Arabien.“

"Alle denken, dass du eine wahre Heldin bist"

Legner ist ebenfalls der Auffassung, dass es grundlegender Reformen bedürfe. Im Falle der Frauen in Saudi-Arabien bedeute das nicht nur, die Aktivistinnen freizulassen, sondern auch das System der Vormundschaft abzuschaffen.

„Die Probleme dürfen nicht personifiziert werden“, betont die Menschenrechtsberaterin. Loujain sei ein Symbol der Freiheit, aber wenn sie freigelassen werde, dann dürfe der Fokus nicht von den anderen hunderten politischen Gefangenen und den andauernden schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen weggehen.

Lina hofft, dass sie ihre Schwester bald wiedersieht. Weil die Gespräche zwischen Loujain und ihren Eltern überwacht werden, kann sie ihrer Schwester keine persönliche Botschaft zukommen lassen.

„Aber wenn ich könnte, dann würde ich Loujain sagen: Wir sind deine Stimme. Niemand hat dich vergessen und wir werden nicht aufhören, bis du frei bist. Niemand glaubt den Diffamierungskampagnen von Saudi-Arabien. Alle denken, dass du eine wahre Heldin bist.“

Erklärung des Bundestags zur Lage der Menschenrechte

Aus Anlass des zweitägigen digital ausgerichteten G20-Gipfels, der im Rahmen der Saudi-Arabischen Präsidentschaft der G20 stattfindet, hat der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe des Deutschen Bundestages am Mittwoch eine Erklärung veröffentlicht.

Darin heißt es: "Die nur sehr selektiven sozialen Reformen des Landes mit der unter anderem der begrenzten, überwiegend ökonomischen Zwängen geschuldeten Liberalisierung von Frauenrechten wird durch die massive politische Repression und Verfolgung von Dissidenten, die auf Einhaltung der Menschenrechte und demokratischen Reformen beharren, konterkariert. Ein gesellschaftlicher Diskurs zur Öffnung des Landes findet in keiner Weise statt und wird stattdessen brutal unterdrückt."

Der Ausschuss verurteile diese drastischen Verletzungen der grundlegenden Menschenrechte und "hier vor allem die Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe auf das Schärfste".

Die saudische Regierung wird aufgefordert, alle politischen Gefangenen "unmittelbar und ohne Auflagen" freizulassen sowie jede Verfolgung gegen Menschenrechtsverteidigerinnen und - verteidiger "sofort einzustellen".

Die Erklärung wurde von allen Bundestagsfraktionen mitgetragen - mit Ausnahme der AfD.

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