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Angekommen - und dann? Europäische und deutsche Erfahrungen zeigen, dass unabhängige Beratung Asylsuchenden wie dem Staat nutzt.

© Gustavo Alabiso/epd

Asylverfahren: Asylsuchende sollen sich beim Staat informieren

Obwohl eine unabhängige Asylberatung auch den Behörden nutzt, will Minister Seehofer sie nicht. Informieren sollen seine Beamten.

Von der unabhängigen Beratung Asylsuchender, wie sie der Koalitionsvertrag vom März 2018 vorsah, dürfte wenig bleiben. Das geht aus Erläuterungen der Bundesregierung zum Verfahren hervor, die die Linke im Bundestag in einer Kleinen Anfrage verlangt hatte.

Im Abschnitt „Effizientere Verfahren“ heißt es dort: „Menschen, die in Deutschland Schutz suchen, brauchen Asylverfahren, die schnell, umfassend und rechtssicher bearbeitet werden.“ Dazu hatten SPD und Union unter anderem vereinbart: „Eine unabhängige und flächendeckende Asylverfahrensberatung ist zu gewährleisten. Über die Frage von Zuständigkeit und Trägerschaft wird eine Vereinbarung zwischen Bund und Ländern getroffen.“

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Diese Zuständigkeit, traditionell bei den Wohlfahrtsverbänden, ist nun Richtung Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) gerutscht.

Damit soll nun diejenige Behörde Schutzsuchende individuell beraten, deren Kernaufgabe es ist, über ihre Asylanträge zu entscheiden.

Wer über Asyl entscheidet, darf auch beraten

Für den zusätzlichen Job werden zudem die Asyl-Entscheiderinnen und Entscheider selbst abgestellt. Loyalitäts- oder Interessenkonflikte sieht das Bundesinnenministerium dennoch nicht: „Um  die  Unabhängigkeit  der  Asylverfahrensberatung  behördenintern  zu  gewährleisten, sind Mitarbeitende der Asylverfahrensberatung während ihres Einsatzes organisatorisch vom Asylbereich getrennt und werden nicht für Anhörungen und Entscheidungen im Asylverfahren eingesetzt“, heißt es in der Antwort. 

Auch wenn die beratenden  Bamf-Angestellten dabei Fehler ihrer Kolleginnen und Kollegen entdeckten, sei das im Gegenteil nützlich und kein Grund für behördeninterne Spannungen, heißt es in der Antwort des Bundesinnenministeriums weiter. „Sollten im Rahmen der individuellen Asylverfahrensberatung gravierende Verfahrensmängel festgestellt werden, d. h. Mängel, die einen Einfluss auf die zu treffende bzw. getroffene Entscheidung haben können bzw. haben, sind diese von der Asylverfahrensberatung gemäß den definierten Meldewegen zu melden.“ 

Gute Erfahrungen, die Seehofers Ministerium nicht veröffentlicht

Im übrigen Europa gibt es schon länger Erfahrungen mit unabhängiger Beratung für Asylsuchende, etwa in den Niederlanden und in der Schweiz, die sie bereits 2012 eingeführt hat. Sie wird von unabhängigen Rechtsanwälten erledigt oder – im schweizerischen Fall – von Fachleuten, die der Schweizer Flüchtlingsrat, eine Nichtregierungsorganisation, beauftragt.

Das Forschungszentrum des Bamf hatte vor drei Jahren selbst – zusammen mit dem UNHCR – ein eigenes Pilotprojekt gestartet, mit dem erklärten Ziel, „durch eine freiwillige, unabhängige und unentgeltliche Asylverfahrensberatung die Rechtsstaatlichkeit und Fairness sowie die Qualität und Effizienz des Asylverfahrens zu verbessern.“

Das implizite Eingeständnis, dass es an der Qualität de Verfahren hapert, schlägt sich seit Jahren auch in einer Flut von Klagen Betroffener vor den Verwaltungsgerichten nieder, die oft erfolgreich für sie enden. 

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Der Test verlief offenbar zur Zufriedenheit der Beteiligten. Mit dabei waren Wohlfahrtsverbände, eingesetzt wurden behördenunabhängiges externes Personal und Rechtsanwältinnen; sogar bei den den Übersetzern achtete man darauf, dass sie nicht zugleich in Asylverfahren für das Bamf arbeiteten, „um Interessenkonflikte zu vermeiden und die Vertraulichkeit der Beratungsgespräche zu gewährleisten“, wie es im abschließenden Bericht heißt.

Darin stellten Bamf und UNHCR nicht nur einen „hohen Informations- und Beratungsmangel vonseiten der Asylsuchenden“ fest, vor allem bei Schnellverfahren. Informationen des Bamf nützten ihnen oft nicht, weswegen sie sich häufig mit unzuverlässigen Angaben anderer, von Verwandten und Schleppern versorgten.

Dagegen habe die unabhängige Beratung gezeigt, dass sie „tendenziell zu einem effektiveren Sachvortrag und folglich zu einer besseren Aufklärung des Sachverhalts in der Anhörung beitragen kann“.

Der Bericht hebt auch die Vorteile unabhängiger Beratung für das Bamf hervor: Werde die Klientel gut beraten, könne sie ihre Pflichten der Behörde gegenüber besser erfüllen „und fördert so die Qualität der im Asylverfahren getroffenen Entscheidungen“.

Einsatz höchstens ein Jahr lang

Das Bundesinnenministerium hat diese positive Einschätzung des ihm unterstellten Bamf bis heute nicht veröffentlicht; auf die Frage der Linken nach den Gründen heißt es, das BMI habe sich gegen Ende 2017 „aufgrund nicht auszuräumender fachlicher Mängel gegen die Veröffentlichung des Berichts entschieden“. Welche Mängel gemeint sind, wird nicht erwähnt. 

Stattdessen erklärt das Innenministerium, dass auch die eigenen Leute unabhängig beraten könnten: Für Beamte gelte „die  ausschließliche Bindung  an Recht  und  Gesetz,  Neutralität  und  Unabhängigkeit  von  politischen  und  wirtschaftlichen Einflüssen, das Handeln ohne Ansehen der Person“.

Auf die Frage der Linken, ob die abgestellten Mitarbeitenden sich nicht zwangsläufig sähen und eventuell in der Kantine über ihre Fälle sprächen, heißt es: „Das BAMF sensibilisiert die Mitarbeitenden der Asylverfahrensberatung  im Rahmen der Schulung bereits besonders im  Sinne der Fragestellung.“

Im Übrigen widerspreche derartiger Kantinentalk „dem Selbstverständnis der Beamten“. Dass sie nur für sechs bis zwölf Monate  beraten dürfen – das hat nach Auskunft der Regierung tarifrechtliche Gründe  –, sei von Vorteil, weil dadurch viele Entscheider des Bamf eingebunden seien und „die Perspektive der Asylsuchenden und deren Blick auf die Entscheidertätigkeit besser kennen“ lernten.

Linke: Zeigt, wie ideologisch Asylpolitik betrieben wird

Die Linke sieht stattdessen mangelnde Kontinuität der Beratung und vermutet, dass so kein oder zu wenig Erfahrungswissen für die Beratung entstehe. 

Deren Innenpolitikerin Ulla Jelpke kritisierte die Antworten scharf: „Die Bundesregierung räumt ein, dass es eine politische Entscheidung war, das BAMF mit der Aufgabe der Asylverfahrensberatung zu betrauen – alle fachlichen Argumente sprechen dagegen. Dass das BMI sich dabei über den Sachverstand der zuständigen Bundesbehörde und des UNHCR hinweggesetzt hat, zeigt, wie ideologisch Asylpolitik in Deutschland betrieben wird.“

Sie nannte es „bezeichnend“, dass die SPD nicht auf Erfüllung der Vereinbarung im Koalitionsvertrag bestanden habe: „Hier muss dringend umgesteuert werden.“ 

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