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Annalena Baerbock, Bundesvorsitzende Bündnis 90/Die Grünen.

© Andreas Arnold / dpa

Asylpolitik: Ein cleverer Balanceakt der Grünen

Ein neuer Ton bei den Grünen soll das Traumtänzer-Image der Partei abstreifen. Und das zum Schaden der Union. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Fabian Löhe

Die Grünen hatten das Jahr über so etwas wie einen Lauf und inzwischen erwägt jeder fünfte Wähler bei der Partei sein Kreuz machen. Doch noch sind keine Bundestagswahlen, und so stellt sich die Frage, wie sich das eine ums andere Hoch in den Meinungsumfragen in tatsächliche Wahlergebnisse münzen lässt. Durch das forsche Benennen einer Kanzlerkandidatin oder eines Kanzlerkandidaten sicherlich nicht, auch wenn das zuweilen immer mal wieder von den Grünen gefordert wird.

Um hinter der Union den Platz zwei bei der Beliebtheit des Wählers auch beim Urnengang abzusichern, müssen die Grünen ihren Ruf als Volkspartei nachhaltig festigen. Dafür sind stetige Funksignale an die Mitte nötig, die weder die eher linke Basis noch die Zuwanderer aus den Gefilden der Union verschrecken. Genau diesen cleveren aber auch risikoreichen Balanceakt aus doppelten Botschaften versuchen die Grünen. Es gilt, das Traumtänzer-Image abzustreifen. Nicht den Diskurs verschieben – wohl aber den Ton.

Aufschrei nach Kretschmann war groß

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann schoss zunächst über das Ziel hinaus, als er forderte, geflüchtete „Tunichtgute“ von Großstädten fernzuhalten. Gewalttätige Flüchtlinge bezeichnete er als „Männerhorden“, die es „in die Pampa“ zu schicken gelte. Der Aufschrei war groß.

Etwas mildere, aber noch immer ungewohnt harte Töne stimmte kürzlich Partei-Chefin Annalena Baerbock an: Straffällige Asylbewerber, die die deutsche Rechtsordnung nicht akzeptieren und „vollziehbar ausreisepflichtig“ sind, sollten ihrer Ansicht nach bei der Abschiebung vorgezogen werden. Die Parteilinken bleiben erstaunlich ruhig, „mutig“, nannte der Grünen-Ko-Vorsitzende Robert Habeck die Äußerung seiner Kollegin. Als „vernünftige Position“, bewertete sie der SPD-Politiker Thomas Oppermann.

Dabei war die Forderung inhaltlich nicht gerade neu. Durchaus auffällig ist es aber, wenn die Grünen sich jetzt plötzlich häufiger zum Thema generell äußern, anstatt die Kommentierung anderen zu überlassen. Und wenn sie dann auch noch öffentlich bekennen „konsequent durchgreifen“ zu wollen, bespielen sie in puncto Sicherheit ein klassisches Kernthema der Union. Auf diese Weise wagen die Grünen den Spagat zwischen Willkommenskultur einerseits, während sie andererseits versuchen, ein eigentlich eher vages Gefühl von mehr Ordnung zu vermitteln. Denn das Thema Flüchtlingspolitik ist nach wie vor politisch höchst aufgeladen.

Wie gefährlich die Grünen bei einer guten Positionierung der Union werden können, zeigen die Landtagswahlen in Bayern und Hessen eindrücklich: Ganze 170 000 Wähler wanderten in Bayern von der CSU zu den Grünen, mehr als zu jeder anderen Partei. In Hessen waren es ebenfalls die Grünen, die der CDU 108 000 Wähler abspenstig machten – abermals wurde keine andere Partei der Union so gefährlich.

Solche Erfolge werden die Grünen mit dem Klimathema allein auf Dauer nicht einheimsen können. Sie müssen raus aus der Öko-Nische. Auch wenn der Klimaschutz inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist – Fragen der Flüchtlingspolitik sind es auch. Und hier gilt es, die Unterschiede gegenüber der Union deutlich zu machen.

Vor diesem Hintergrund ist auch verständlich, warum sich die Grünen in Hessen mit der CDU nicht in der Frage der Ausweitung sicherer Herkunftsstaaten, für deren Bürger beschleunigte Asylverfahren gelten, einigen konnten: Zur Balance gehört eben auch eine Grenze.

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