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Geschafft, wenn auch mit Gegenstimmen: Die Kanzlerin und Abgeordnete der Koalition - Unionsfraktionschef Volker Kauder (links von Merkel) und der SPD-Politiker Karamba Diaby (rechts) am Donnerstag bei der Stimmabgabe zum Asylpaket II .

© Wolfgang Kumm/dpa

Asylpakete I und II: Willkommen und Abschiebung für Flüchtlinge

Ein Land, das Flüchtlingen kein freundliches Gesicht zeige, wäre nicht mehr ihres, sagte Kanzlerin Angela Merkel im September. Seither wurde das Asylrecht zweimal massiv verschärft.

Alles begann an jenem 5. September, den heute viele als den Tag sehen, an dem die Kanzlerin die Flüchtlinge nach Deutschland eingeladen habe. Tatsächlich liefen die Dinge etwas anders: Zwei Tage zuvor hatte die ungarische Regierung Züge ankommender Flüchtlinge gestoppt, die Leute machten sich zu Fuß auf den Weg. Nach Telefonaten mit Ungarns Premier Orbán, der erklärt, die Lage sei außer Kontrolle, entscheiden der österreichische Kanzler Werner Faymann und die deutsche Kanzlerin, die Flüchtlinge über die Grenzen beider Länder zu lassen. Merkels Sprecher verkündet dies am Abend und spricht von einer „akuten Notlage“, die man habe „bereinigen müssen“.

Asylpaket I ist erst vier Monate alt

Zehn Tage später, bei einer Pressekonferenz mit Faymann, ist bereits der Druck zu spüren, unter den sich Merkel mit ihrer Entscheidung gestellt hat und es fällt der Kanzlerinnen-Satz, der inzwischen ähnlich berühmt ist wie ihr "Wir schaffen das" aus der Sommerpressekonferenz vom 31. August: "Ich muss ganz ehrlich sagen, wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land." 

Seither ist das Gesicht Deutschlands erkennbar unfreundlicher geworden, jedenfalls für die, die nicht erst über die Grenze müssen, sondern sie bereits passiert haben: Am 23. Oktober trat, im Schnellverfahren verabschiedet, das erste Asylpaket in Kraft: Es schreibt vor, dass Asylbewerber länger in den Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben müssen, erhöht die „Residenzpflicht“, also die Zeit, in der sie den zugewiesenen Landkreis nicht verlassen dürfen, auf sechs Monate und führte ein, dass sie statt Bargeld wieder Waren und Lebensmittel erhalten sollten – für verschiedene Gruppen können die Leistungen auch gekürzt werden. Gleichzeitig wurden Albanien, Kosovo und Montenegro zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt und Abschiebungen ohne Vorankündigung vorgeschrieben. Zugleich erhielten Flüchtlinge bessere Möglichkeiten, ein Konto zu eröffnen oder schneller Studienförderung wie Bafög zu bekommen.

"Änderungen der Änderungen der Änderungen" 

Bereits im November liefen die Vorbereitungen zum Asylpaket II, das an diesem Donnerstag den Bundestag passiert hat – jetzt mit Tunesien, Marokko und Algerien als weiteren sichere Herkunftsstaaten und mit einem Verbot des Familiennachzugs auf zwei Jahre auch für viele Jugendliche, die allein nach Deutschland gekommen sind. In besonderen Aufnahmeeinrichtungen sollen zudem Asylverfahren für große Gruppen von Flüchtlingen im Schnellverfahren abgewickelt werden, und nur lebensbedrohlich Kranke sind künftig gegen eine Abschiebung geschützt. 

Ob in den Paketen drin ist, was sie in Aussicht stellen, vor allem die Beschleunigung von Verfahren, wird von den meisten Fachleuten bestritten. Die in rascher Folge verabschiedeten Gesetze verkomplizierten sie eher, meint etwa Stefan Kessler vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst: „Die Änderungen der Änderungen der Änderungen werden selbst große Verwaltungen kaum mehr nachvollziehen können. Das bringt auch die Gerichte in Schwierigkeiten, deren Personal ja anders als das des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge nicht aufgestockt wird.“

Schon die alten Regeln werden nicht angewandt

Der Verwaltungsrichter und Migrationsrechtsfachmann Klaus Dienelt sieht das Problem bereits in der Wirklichkeitstauglichkeit einzelner Vorschriften. Dass Flüchtlinge jetzt auch Deutschland verlassen müssten, wenn sie zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt wurden, "das liest sich nicht schlecht", sagt Dienelt. Es werde aber, "nie zur Anwendung gelangen", weil es gegen europäisches Recht verstoße. Er sieht "hilflosen Aktionismus" am Werk - ohnehin liege es nicht am Mangel an Gesetzen, sondern an deren dürftigem Vollzug, wenn kriminelle Ausländer bisher oft nicht abgeschoben würden. Die neuen Ausweisungsregeln änderten daran nichts.

Was die Abschreckung angeht, verweist Stefan Kessler auf die verzweifelte Lage in den Hauptherkunftsländern der Flüchtlinge: „Irak, Syrien, Eritrea: Glauben wir wirklich, dass die Leute sich davon aufhalten lassen, dass sie hier etwas weniger Geld bekommen?“ Zweck der Gesetze sei es in Wirklichkeit, die Handlungsfähigkeit des Staates zu beweisen, doch auch dies werde nach hinten losgehen, fürchtet Kessler: „Wer gegen Flüchtlinge ist, wird sich bestätigt fühlen, aber doch lieber die Radikaleren von der AfD wählen. Die vielen, die Flüchtlingen helfen wollen, werden sich nicht mehr vertreten fühlen und sich abwenden. Ich fürchte, Politik sägt gerade an dem Ast, auf dem sie sitzt.“

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