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Ein an den Rollstuhl gebundener Bewohner sitzt in einem Altenpflegeheim in seinem Zimmer.

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Arzneiversuche an Demenzkranken: Ethikratschef: „Studien benötigen tiefstes Vertrauen“

Der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Peter Dabrock, spricht über Arzneiversuche an Demenzkranken, die Notwendigkeit klinischer Untersuchungen und die Rolle der Kirchen.

Die Regierung plant, die Möglichkeiten für Arzneiversuche an Demenzkranken auszuweiten. Die Kirchen sehen die Menschenwürde in Gefahr. Was halten Sie davon ?

Die jetzt aufgeheizte Stimmung zeigt zum einen: Es wäre wichtig gewesen, die mit der Novelle des Arzneimittelgesetzes verbundenen Fragen früher und intensiver in der Gesellschaft zu debattieren. Jetzt haben viele den Eindruck: Es ist zu spät. Zum anderen denke ich, dass das eigentliche ethische Dilemma präziser bestimmt werden muss. Es geht einerseits um den Schutz von physisch oder psychisch besonders verletzlichen Menschen. Es steht aber auch der Gesundheitsschutz genau der Gruppe auf dem Spiel, zu der diese Menschen gehören. Eine rechtliche Regelung muss versuchen, diese beiden hohen Schutzgüter zu wahren und in eine rechtlich und ethisch verantwortbare Balance zu bringen.

Müssen die Deutschen bei medizinischen Versuchen mit nichteinwilligungsfähigen Menschen aufgrund der Verbrechen im Nationalsozialismus an geistig Behinderten nicht besonders zurückhaltend sein?

Unsere Geschichte legt uns eine besondere Sensibilität und Verantwortung auf. Wer darauf zu Recht verweist, sollte angesichts der erwähnten Verantwortungsbalance aber auch Rechenschaft ablegen, ob er unter Achtung der Würde des Einzelnen nicht den Menschen, die er zu schützen gewillt ist, wichtigen medizinischen Fortschritt vorenthält.

Arzneitests an Demenzkranken darf es bisher nur geben, wenn für die Probanden dadurch ein Nutzen zu erwarten ist. Nun sollen an ihnen auch Studien möglich sein, von denen sie gar nichts haben. Ist damit nicht die Grenze überschritten hin zur Verzweckung hilfloser Menschen?

Eine Verzwecklichung läge sicher vor, wenn eine nichteinwilligungsfähige Person ungefragt und ohne Hinzuziehung ihres rechtlichen Betreuers einem fremdnützigen Eingriff ausgesetzt würde. Schaut man sich jedoch nicht nur die Gesetzesnovelle, sondern auch die zugrundeliegende EU-Verordnung an, sieht man, dass es eine Fülle an Bedingungen und Kontrollmechanismen gibt, die diese Verzwecklichung verhindern sollen. Beispielsweise, dass zuerst Forschungen an Einwilligungsfähigen und an Nichteinwilligungsfähigen durchzuführen sind, die davon Nutzen erwarten können. Und der jetzige Gesetzentwurf greift sogar auf die ausdrückliche Möglichkeit der Verordnung zurück, noch striktere Schutzmaßnahmen einzuführen...

Fordert eine intensive Debatte über Medikamententests: der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock.
Fordert eine intensive Debatte über Medikamententests: der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock.

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Sie meinen die Regelung, dass es solche Tests nur an Dementen geben darf, die sich dazu noch in gesundem Zustand und per Patientenverfügung bereiterklärt haben?

Die von den Kirchen angestoßene Debatte gegen die drohende Verzwecklichung von Demenzkranken in der klinischen Forschung dreht sich um diesen einen strittigen Punkt: Darf man in einer Vorausverfügung festlegen, dass man sich bei eventueller Nichteinwilligungsfähigkeit an einer Studie mit minimalem Risiko – auch das ist festgelegt – beteiligen möchte. Nur darum geht es. Wer diese Möglichkeit bezweifelt, sollte erklären können, warum er nichts gegen andere Patientenverfügungen und gegen Organspende hat. Berücksichtigen muss man bei der erwähnten Verantwortungsbalance auch: Die Umsetzung einer Patientenverfügung folgt nie einem Automatismus. Haben Arzt und Betreuer den Eindruck, der Demenzkranke will bei der Studie nicht mitmachen, muss diese aktuelle Willensäußerung beachtet werden. Auch das ist klar geregelt. Nicht generalistisch, sondern konkret. Ob angesichts all dieser Kautelen eine Verdinglichung einer an Demenz erkrankten Person vorliegt, muss in der aktuellen Debatte geklärt werden.

Der Entwurf von Gesundheitsminister Gröhe sieht auch vor, den Einfluss der Ethikkommissionen bei der Zulassung solcher Versuche zu schwächen. Gibt es dafür eine Notwendigkeit?

Klinische Studien sind entscheidend, damit der medizinische Fortschritt bei den Menschen ankommt. Sie benötigen tiefstes und umfassendes Vertrauen. Das bindende Votum von exzellent und höchst verantwortlich arbeitenden Ethikkommissionen war bisher das Herzstück dieses Vertrauensmanagements. Gerade wenn man die obige Verantwortungsbalance finden und bewerben will, sollte man auf die Erfolgsgeschichte der Ethikkommissionen nicht unnötig verzichten.

Wie ethisch akzeptabel ist die Teilnahme an Studien, wenn die Probanden dafür bezahlt werden? Es gibt doch viele, die das Geld dringend benötigen und deshalb keineswegs frei in ihrer Entscheidung sind...

Wenn wir die geschichtlich uns aufgegebene Verantwortung ernst nehmen wollen, dann muss jeder Anschein, dass Menschen sich aus finanziellen Gründen durchaus ja nicht risikolosen Studien aussetzen, vermieden werden.

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