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Blick auf den Jachthafen von Hamilton, der Hauptstadt der Bermuda-Inselne.

© Horst Ossinger/dpa

Arrogante Kritik aus der Steueroase: Die Niederländer sind die Schlendriane, die Italiener die Sparfüchse

Die Niederlande fügen anderen EU-Staaten seit Jahren schweren Schaden zu mit ihrem Steuersystem. Italien hätte eine Entschädigung verdient. Eine Kolumne

Eine Kolumne von Harald Schumann

Ich mag die Niederländer, wirklich. Ich kenne sie nur als hilfsbereit und zuverlässig, und ihr trockener Humor ist legendär. Doch seitdem das Gift des Nationalismus auch in die niederländische Politik immer tiefer eindringt, verschwindet dieses schöne Bild zusehends hinter hässlichen Flecken aus Ignoranz und Borniertheit – und das zum Schaden von ganz Europa.

Das demonstrierte Regierungschef Mark Rutte jetzt bei den Verhandlungen über den Corona-Rettungsfonds. Da gerierte er sich als Anführer der „Sparsamen“, die sich gegen die vermeintlich drohende Verschwendung des Geldes ihrer Steuerzahler in Italien und anderen wirtschaftlich schwächeren EU-Staaten wandten.

So setzten sie umfangreiche Kürzungen durch und beschnitten genau die Elemente, die der EU den Weg in eine klimaneutrale und solidarisch geeinte Zukunft bahnen sollten. Das ist schlimm genug.

Ruttes Regierung fügt anderen EU-Staaten seit Jahren Schaden zu

Aber unerträglich macht es die Attitüde des Besserwissers, mit der Rutte „niederländische Interessen schützt“ , wie er sagte. Der Premier und sein Finanzminister Wopke Hoekstra gefallen sich bei all dem auch noch in der Rolle der Lehrer, die anderen Regierungen Lektionen über die notwendigen Reformen zur Sanierung ihrer Volkswirtschaften und Staatsfinanzen erteilen.

Doch wenn irgendwer in Europa kein Recht dazu hat, dann sind es Rutte und seine Kollegen in Den Haag. Denn sie fügen mit voller Absicht seit vielen Jahren den anderen EU-Staaten systematisch Schäden in dreistelliger Milliardenhöhe zu.

Dafür unterhalten sie ein Steuersystem, das es internationalen Konzernen ermöglicht, über niederländische Briefkastenfirmen Gewinne in Steuerfluchtzentren wie die Bermudainseln zu verschieben und so deren Besteuerung auf unter fünf Prozent zu drücken. Jahr für Jahr werden mehr als 90 Milliarden Dollar an Konzerngewinnen über niederländische Konten geschleust, ergaben jüngst veröffentlichte Daten der OECD.

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Allein US-Konzerne entziehen auf diesem Weg mehr als 40 Milliarden Euro Gewinn jährlich der Besteuerung in Europa. So entgehen den Staatskassen der EU dadurch mindestens 10 Milliarden Euro jährlich, rechneten die Fachleute des „Netzwerks Steuergerechtigkeit“ vor. Allein für Italien macht das 1,5 Milliarden Euro aus, und das jedes Jahr.

Mit sich zufrieden, aber vielleicht kurzsichtig: Der niederländische Regierungschef Mark Rutter.
Mit sich zufrieden, aber vielleicht kurzsichtig: Der niederländische Regierungschef Mark Rutter.

© Stephanie Lecocq/ REUTERS

Gleichzeitig nutzen natürlich auch europäische Firmen das System. Aus Italien sind unter anderem die Konzerne Fiat-Chrysler, Luxottica, Campari, Ferrero, Barilla und Segafredo dabei, berichtete die Zeitung „Il Fatto Quotidiano“. Der Schaden beträgt daher vermutlich ein Vielfaches.

Eigentlich müsste Italien in Den Haag überfällige Reformen anmahnen

Vor diesem Hintergrund wäre es eher an der Regierung in Rom, Ausgleichszahlungen in Milliardenhöhe in den Niederlanden anzumelden und auf überfällige Reformen zu drängen als umgekehrt.

Dabei geht die arrogante Kritik am angeblichen italienischen Schlendrian ohnehin an der Realität vorbei. Italiens Staatskasse erzielte in 20 der 24 vergangen Jahre einen höheren Primärüberschuss von Einnahmen über Ausgaben als die Niederlande. Nur der Zins auf die Schuldenlast aus der Vor-Euro-Zeit zehrt das auf.

Zugleich sind eigentlich die Niederländer Europas Schuldenmeister. Rechnet man die Kredite von privaten Haushalten und Firmen hinzu, dann liegt die Gesamtverschuldung ihrer Volkswirtschaft höher als in allen anderen Euroländern und 20 Prozent über der der sparsamen Italiener.

Das allerdings macht die niederländische Wirtschaft höchst verwundbar. Wenn der nächste voraussehbare Schock in Folge des Klimawandels die Ökonomie erschüttert, wird es das Land hinterm Deich voraussichtlich besonders hart treffen. Aber was geschieht, wenn dann die Niederländer auf europäische Solidarität angewiesen sind?

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