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Fast einstimmig votiert der Bundestag für die Armenienresolution.

© Michael Kappeler/dpa

Armenien-Resolution im Bundestag: "Deutsche kennen schmerzhaften Umgang mit eigener Geschichte"

Massenmord, historische Schuld und Verantwortung: Die ganz großen Themen wurden an diesem Donnerstagvormittag im Bundestag verhandelt.

Selbst im Reichstagsgebäude trennt ein Abgrund Armenier und Türken. Vertreter aus den beiden benachbarten Ländern haben auf zwei verschiedenen Besuchertribünen Platz genommen, links die Armenier, rechts die Türken. Beide Lager verfolgen die Bundestagsdebatte an diesem Donnerstag mit Anspannung. Die einen haben schon seit vielen Jahren auf diesen Tag gewartet, die anderen sehen in dem bevorstehenden Bundestagsbeschluss einen Angriff nicht nur auf ihre Regierung, sondern auf ihr ganzes Volk. Und auch für die Abgeordneten selbst ist es keine alltägliche Parlamentsdebatte. Es ist einer der seltenen Tage, an dem über die Parteigrenzen hinweg Einigkeit möglich ist.

Die ganz großen Themen werden an diesem Donnerstagvormittag in der gut einstündigen Debatte im Bundestag verhandelt: Massenmord und Versöhnung, historische Schuld und Verantwortung. Am Ende wird der Bundestag bei nur einer Gegenstimme sowie einer Enthaltung die 2015 im Osmanischen Reich an den Armeniern begangenen Massaker als Völkermord bezeichnen.

Drohungen gegen Abgeordnete

In der öffentlichen Diskussion um die Armenien-Resolution war bisher für leise, nachdenkliche Töne kaum Platz. Zu aufgeheizt war die Debatte, zu groß die Verärgerung in Ankara schon im Vorfeld. Zum Auftakt der Debatte spricht Bundestagspräsident Norbert Lammert die Hassmails und Morddrohungen an, die Abgeordnete mit türkischem Migrationshintergrund erhalten haben. „Drohungen mit dem Ziel, die freie Meinungsäußerung des Deutschen Bundestages zu verhindern, sind inakzeptabel“, betont der Bundestagspräsident. „Wir werden sie nicht hinnehmen und uns ganz gewiss davon nicht einschüchtern lassen.“ Der Bundestag werde seine Verantwortung wahrnehmen.

Zuvor hat Lammert betont, dass das Parlament „keine Historikerkommission“ sei – „und ganz gewiss kein Gericht“. Der Bundestag wolle aber unbequemen Fragen nicht aus dem Weg gehen, vor allem, wenn das Deutsche Reich eine Mitschuld auf sich geladen habe. Und so wie es mehrere Redner an diesem Tag tun werden, erinnert auch Lammert an die Aufarbeitung der deutschen Geschichte: „Die Deutschen wissen mehr als andere, dass der Umgang mit der eigenen Geschichte schmerzhaft sein kann.“ Sie hätten aber auch erfahren, „dass die Aufarbeitung der eigenen Geschichte nicht die Beziehungen zu anderen Ländern gefährdet“, ergänzt der Bundestagspräsident unter dem Beifall der Abgeordneten.

Merkel, Steimeier, Gabriel? Nicht anwesend

Auf der Regierungsbank bleiben an diesem Vormittag mehrere Plätze leer. Bundeskanzlerin Angela Merkel, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel haben andere Verpflichtungen. Kanzleramtsminister Peter Altmaier ist zumindest zeitweise im Saal, aus dem Kabinett sind außerdem Innenminister Thomas de Maizière, Sozialministerin Andrea Nahles und Gesundheitsminister Hermann Gröhe dabei. Dass Merkel, Gabriel und Steinmeier ausgerechnet an diesem Tag fehlen, nennt der Linken-Bundestagsabgeordnete Gregor Gysi „nicht besonders mutig“. Er nutzt seine Rede für eine schnelle Attacke gegen Unionsfraktionschef Volker Kauder, dem Gysi „pathologische Ausschließeritis“ vorwirft. Kauder habe sich geweigert, den Antrag gemeinsam mit den Linken zu erarbeiten, kritisiert der Ex-Fraktionschef. Die Resolution wurde von Union, SPD und Grünen gemeinsam eingebracht. Am Ende stimmen die Linken zu – auch das eine Ausnahme im Bundestag.

Es kommt nur selten vor, dass Regierungsfraktionen und Opposition im Bundestag einander die Hand reichen – genau das ist im Februar passiert, und nicht nur im übertragenen Sinn. Per Handschlag hatten sich Kauder und der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir auf einen gemeinsamen Armenien-Antrag verständigt. Dass der Bundestag nach langem Zögern die Massaker an den Armeniern Völkermord nennt, geht zum großen Teil auf Özdemirs Bemühungen zurück. Von Genugtuung ist ihm an diesem Tag allerdings nichts anzumerken.

Aufruf zur Versöhnung

Özdemir sieht es als historische Verpflichtung Deutschlands, sich zu diesem Thema klar zu äußern und zugleich Armenier und Türken zur Versöhnung aufzurufen. „Nur weil wir in der Vergangenheit Komplizen dieses furchtbaren Verbrechens geworden sind, dürfen wir heute nicht Komplizen der Leugner werden“, mahnt der Grünen-Chef, der wegen seines Einsatzes für die Resolution massiv bedroht worden ist.

Mehrere Redner betonen, dass die Resolution nicht gegen die heutige Türkei gerichtet sei. Es gehe nicht darum, „die Türkei an den Pranger zu stellen“, sagt der Unionsfraktionsvize Franz-Josef Jung. Und der SPD-Abgeordnete Dietmar Nietan appelliert an die jungen Menschen vor allem in der Türkei, nicht alles zu glauben, was ihnen gesagt werde oder was in ihren Schulbüchern stehe. „Lassen Sie sich nicht einreden, dass die, die das Wort Völkermord in den Mund nehmen, das türkische Volk beleidigen wollen!“

Doch auch wenn es nicht um die heutige Türkei gehen soll, scheint doch hin und wieder Kritik am autoritären Kurs von Präsident Erdogan auf. Als Özdemir nach der Abstimmung vor die Kameras tritt, wiederholt er noch einmal, was er gerade im Plenarsaal betont hat: Er müsse keine Angst davor haben, dass er später vor dem Parlament verhaftet oder dass seine Immunität aufgehoben werde, dass er geschlagen oder gar umgebracht werde, sagt er in Anspielung auf die politische Lage in der Türkei und das Vorgehen der Regierung gegen die Opposition.

Auf der linken Zuschauertribüne halten die Armenier derweil Plakate mit dem Wort „Danke“ hoch. Auf der anderen Seite verlassen die türkischen Gäste mit versteinerten Gesichtern den Saal.

Mitglieder der Armenier-Initiative "Anerkennung Jetzt" danken nach der Abstimmung den deutschen Parlamentariern.
Mitglieder der Armenier-Initiative "Anerkennung Jetzt" danken nach der Abstimmung den deutschen Parlamentariern.

© Michael Kappeler/dpa

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