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Tausende Armenier setzen sich dafür ein, dass die Gräueltaten international als „Völkermord“ verurteilt werden.

© REUTERS

Armenien-Resolution des Bundestags: Warum der Begriff "Völkermord" für die Armenier wichtig ist

Mehr als 100 Jahre Schmerz: Für Armenien wäre eine Resolution des Bundestags zum Genozid während des Ersten Weltkriegs von enormer Bedeutung.

Für die Südkaukasusnation Armenien könnte die Sitzung des Bundestags an diesem Donnerstag zu einem zentralen Erfolgsmoment ihrer langjährigen Außenpolitik werden. Seit Jahrzehnten arbeitet die Ex-Sowjetrepublik darauf hin, dass die Massaker an den Armeniern durch das Osmanische Reich im Ersten Weltkrieg international als Genozid anerkannt werden. Der Bundestag will mit einer Resolution von Union, SPD und Grünen die Gräueltaten als „Völkermord“ verurteilen. Für Eduard Scharmasanow, Vize-Parlamentschef in der Hauptstadt Eriwan, standen die Chancen nie besser als jetzt. „Meine Überzeugung basiert auf informellen und formellen Kontakten (in Berlin)“, sagt Scharmasanow.

Schätzungen zufolge kamen bei der Vertreibung, die vor 101 Jahren auf dem Gebiet der heutigen Türkei begann, bis zu 1,5 Millionen Armenier um. Die osmanische Führung verdächtigte die christliche Minderheit, mit dem Kriegsgegner Russland zu kollaborieren. Historiker sprechen von systematischer Verfolgung. Die Türkei – Rechtsnachfolgerin des Osmanischen Reiches – geht von deutlich weniger Toten aus und lehnt den Ausdruck „Genozid“ entschieden ab.

Auch die Bundesregierung hat den Begriff bisher gemieden. Doch seit Bundespräsident Joachim Gauck und Bundestagspräsident Norbert Lammert 2015 das Wort ausdrücklich benutzt haben, zeichnet sich ein Wandel in Berlin ab. Deutschland wäre in der Riege der Staaten wie Frankreich und Russland, die den Genozid beim Namen nennen, umso gewichtiger, als das Deutsche Kaiserreich als Verbündeter der Osmanen im Ersten Weltkrieg nachweislich von den Massakern wusste.

„Der Völkermord ist nicht nur ein Problem des armenischen Volkes. Das ist ein Schmerz, den wohlwollende Menschen auf der ganzen Welt teilen“, sagt der armenische Präsident Sersch Sargsjan. Es enttäuscht viele seiner Landsleute, wenn strategische Erwägungen einer Ächtung als Genozid im Wege stehen. So bleiben die USA bisher zurückhaltend – wohl aus Rücksicht auf den Nato-Partner Türkei. Und auch für Berlin sind die Türken wichtig, weil sie als wichtiger Partner in der EU-Flüchtlingskrise gelten.

Russische Freunde

Zu den „wohlwollenden Menschen“ zählt Russlands Präsident Wladimir Putin. Beim 100. Jahrestag 2015 hielt er in Eriwan eine bewegende Rede. Überhaupt ist Russland Armeniens engster Verbündeter. Russische Marken prägen das Straßenbild in Eriwan. Das Land mit drei Millionen Einwohnern hängt von Energielieferungen Russlands ab. Militärisch gilt Putins Reich als Schutzmacht. Armenien sieht sich von Feinden umzingelt: Im Westen teilt das Land mehr als 300 Kilometer Grenze mit der Türkei. Im Osten lauert der Erzfeind Aserbaidschan.

Gerade wegen der Vergangenheit ist Armenien so sensibel im jahrzehntealten Konflikt mit Aserbaidschan um das von Baku abtrünnige Gebiet Berg-Karabach. Erst im April kam es mit rund 120 Toten zur schwersten Eskalation seit gut 20 Jahren. „Wir werden keinen neuen Genozid an Armeniern zulassen“, sagt Sargsjan entschlossen.

Mit einem Kurswechsel der Türkei rechnet in Eriwan niemand. Daran dürfte auch die Resolution des Bundestages nichts ändern. Doch Fürsprache kommt gut an bei den Armeniern. Mit Spannung erwarten sie Ende Juni den nächsten „wohlwollenden Gast“: Papst Franziskus. Das katholische Kirchenoberhaupt hatte bereits im vergangenen Jahr offen den „ersten Völkermord im 20. Jahrhundert“ gebrandmarkt. (dpa)

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