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Das Weiße Haus in Washington

© Joshua Roberts / REUTERS

Arbeiterpräsident gegen Reichenpräsident: Die Milliardenschlacht ums Weiße Haus

Der Herausforderer kopiert Trump und setzt im Wahlkampf auf „America First“, Konjunkturhilfen und hohe Schulden, aber mit einer sozialen Note. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Was ist das siegbringende Wahlkampfthema: der Ausbau des Sozialstaats, die Wirtschaft oder Identitätsfragen und Kulturkampf? In den USA fallen die Antworten anders aus als in Deutschland. Wirtschaftsfreundlichkeit ist dort generell wichtiger und der Sozialstaat weniger entscheidend als hierzulande.

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Auch in den USA sind die Prioritäten freilich nicht statisch. Sie verschieben sich je nachdem, was das Land gerade erfreut oder bedrückt. 2016 hat Donald Trump die Wahl mit der Betonung der Spaltungslinien in der Identitätspolitik gewonnen: Die weiße „Middle Class“, also die Mehrheit, werde rücksichtslos übervorteilt und an den Rand gedrängt, von Einwanderern, China und Deutschland in der ökonomischen Konkurrenz, von ethnischen und sexuellen Minderheiten in der Innenpolitik.

2020 dominieren Corona und die tiefe Wirtschaftskrise die Stimmung und den Wahlkampf. Joe Biden setzt auf Bill Clintons Einsicht: „It’s the economy, stupid!“ Freilich ergänzt um wirtschaftlichen Nationalismus, eine Anleihe bei Trumps „America First“, sowie eine ebenfalls nationale Antwort auf die Coronakrise. Als Präsident werde er 700 Milliarden Dollar in den Kauf amerikanischer Produkte und in die Forschung investieren, damit US-Firmen die Technologie-Führerschaft zurückgewinnen.

Der Staat müsse zudem einen 100-Tage-Vorrat der unverzichtbaren Güter in Pandemien und anderen Krisen anlegen. Nur US-Waren, versteht sich. Fünf Millionen neue Jobs würden so entstehen, versprach Biden in einer Metallfabrik in Pennsylvania, einem der „Swing States“, die früher verlässlich demokratisch wählten, aber Trump 2016 den Sieg bescherten.

Beide setzten auf höhere Schulden

Biden wildert in Trump-Territorium, könnte man sagen. Oder es andersherum betrachten. Biden besinnt sich auf die frühere Wählerschaft der Demokraten, die zu Trump abgewandert war: weiße Arbeiter und Farmer in Staaten, die unter der Globalisierung leiden.

Die Programme der beiden Kontrahenten haben einiges gemeinsam: Sie zeigen keine Bedenken, die hohe öffentliche Verschuldung, rund 25 Billionen Dollar, durch Konjunkturprogramme weiter zu erhöhen; dabei liegt sie bereits deutlich über der Wirtschaftsleistung eines Jahres, derzeit 21,5 Billionen Dollar. Beide predigen „America First“ und Protektionismus.

Bei „America First“ ist Donald Trump das Original.
Bei „America First“ ist Donald Trump das Original.

© Leah Millis/Reuters

Die Unterschiede: Trump hat zwar die weiße Unter- und Mittelschicht mit Identitätsfragen umgarnt und tut es auch 2020, von der Inschutznahme weißer Polizisten vor dem generellen Rassismusvorwurf bis zur Verteidigung der Denkmäler. Seine Wirtschaftspolitik jedoch, voran die enorme Steuersenkung, kam in erster Linie der Oberschicht zugute.

In der Abwägung zwischen Steuerausfällen und erhofftem Wirtschaftswachstum würde sie dem Gemeinwesen mehr Kosten als Nutzen bringen, hatten die meisten Experten gewarnt. Doch bis Corona kam, liefen die Wirtschaft und die Börsenkurse, an denen die Altersabsicherung der meisten Amerikaner hängt, gut und waren Trumps bestes Argument für die Wiederwahl.

Biden für eine US-Variante der Sozialdemokratie

Biden knüpft an die klassische Linie der Demokraten an: Kaufkraft stärken durch höhere Löhne, bessere soziale Bedingungen, von den Bildungschancen bis zur Krankenversicherung. Was er vorschlägt, mag Deutschen als viel zu bescheiden erscheinen, generell und verglichen mit den Forderungen linker US-Demokraten wie Bernie Sanders.

Doch im Kontext der USA, wo die Masse unternehmerfreundlich tickt und die Sekretärinnen und Arbeiter erstaunliches Verständnis für die niedrigen Steuersätze ihrer Chefs zeigen, steht Biden für eine amerikanische Variante der Sozialdemokratie.

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Für die weiße Unter- und Mittelschicht in den „Rust Belts“, die zwischen Amtsinhaber und Herausforderer schwankt, ist er die glaubwürdige Alternative: ein Präsident der Arbeiter im Kontrast zu einem Präsidenten der Reichen. 2016 wurden diese Etiketten noch umgekehrt verteilt. Hillary Clinton war die angebliche Kandidatin der Oberschicht, Trump der angebliche Vertreter der Malocher.

Hohe Wette mit einer Unbekannten: Corona

Die Rückkehr des „It’s the economy, stupid!“ gleicht einer hohen Wette mit einer entscheidenden Unbekannten: Wie lange drückt Corona die Wirtschaft nieder, wann setzt eine spürbare Erholung ein – vor oder nach dem Wahltag? Je früher, desto besser für Trump. Je später, desto größer die Versuchung, es mit Biden und seiner sozialen Variante des „America First“ zu versuchen.

Mit der Dauer des nationalen Leidens am Wirtschaftseinbruch verschieben sich die Instinkte vom Schutz der Gesundheit zur Rettung der Ökonomie. Die große Mehrheit empfindet die Kosten des Lockdowns als untragbar hoch. Selbst wenn eine zweite Welle droht, sind in den USA viele eher bereit, noch höhere Totenzahlen zu akzeptieren, als eine Vertiefung der Rezession zu riskieren.

Wer auch immer am 3. November gewinnt, der Jubel wird nicht lange währen. Der Sieger übernimmt die Verantwortung für ein Land in einer tiefen Krise – wie Barack Obama 2008 auf dem Höhepunkt der Finanzkrise. „Black man gets worst job in the nation“, titelte die Satirezeitschrift „The Onion“ damals. Jenseits der Anspielung auf Hautfarbe und Diskriminierung trifft der Kern auch auf den Sieger 2020 zu.

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