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Arbeiter ohne Rechte: Von der Konkurrentin zur Kollegin

Wer in Deutschland ohne Papiere arbeitete, galt lange als Lohndrücker. Jetzt setzen sich auch Gewerkschaften für Migranten ein.

Berlin - Darf eine Gewerkschaft sich für Menschen einsetzen, die hier ohne Vertrag und sogar ohne Aufenthaltsrecht arbeiten? Die Frage ist alt und noch immer ungeklärt. Bei Verdi hat man die Antwort jetzt erst einmal verschoben und angefangen zu handeln. Seit gut vier Wochen unterhält die Dienstleistungsgewerkschaft in Berlin eine Beratungsstelle für sogenannte Illegale.

Peter Stahl, der für „besondere Dienstleistungen“ zuständige Gewerkschaftssekretär von Verdi Berlin-Brandenburg, ist mit dem Zulauf bisher zufrieden. Obwohl kein Großplakat auf den neuen Service hinweist, hätten ihn bisher fünf irregulär beschäftigte Hausangestellte genutzt. „Es ging um zu geringen Lohn, aber sie wollten sich auch aufklären lassen, welche Rechte sie überhaupt haben.“ Im Augenblick ist die Stelle in der Landeszentrale von Verdi in der Köpenicker Straße 30 in Berlin jeden zweiten Mittwoch jeweils einige Stunden lang besetzt, mal vor-, mal nachmittags. Doch Stahl denkt schon an Ausbau, falls der Bedarf stärker wird. Über Migrantenorganisationen wie „respect“, mit denen Verdi zusammenarbeitet – dort organisieren sich Haushaltshilfen ohne Papiere – könnte das Angebot rasch bekannter werden.

Der im vergangenen Herbst in Berlin gegründete Verdi-Arbeitskreis „Undokumentierte Arbeit“ ist freilich nicht der erste seiner Art. Schon seit Mai 2008 arbeitet eine Anlaufstelle bei Verdi in Hamburg. Stahls Hamburger Kollege Peter Bremme sagt, das Thema sei fast natürlicherweise auf sein buntes Arbeitsgebiet „Besondere Dienstleistungen“ zugelaufen, zu dem auch die Sexarbeiterinnen auf St. Pauli gehören: „Die anderen organisieren die Kernarbeit, wir den prekären Rand.“ So stieß das Verdi-Team auch auf Ana K., eine Peruanerin, die mehr als drei Jahre lang für kleines Geld in einem Haushalt im feinen Hamburg-Blankenese Tag und Nacht Kinder, Hund und Garten versorgte. Mit Hilfe von Verdi klagte Ana K. den ausstehenden Lohn ein – der Film über ihren Fall „Mit einem Lächeln auf den Lippen. Eine Hausarbeiterin ohne Papiere zieht vors Arbeitsgericht“ war im Februar auch in Berlin, im Kino Babylon, zu sehen. Bremme freut der glückliche Ausgang des Falls Ana K. besonders: „Wir haben bewiesen, dass das geht.“

Die Regel ist das nicht: Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus haben meist gute Gründe, ihre Ausbeutung klaglos hinzunehmen. Zwar haben sie ein Menschenrecht auf angemessenen Lohn, Gesundheitsversorgung und Bildung für ihre Kinder. Doch wenn sie es in Anspruch nehmen, werden sie aktenkundig und sind damit in Gefahr, ausgewiesen zu werden. Berlins Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher (Linke) versucht deshalb derzeit, den „anonymen Krankenschein“ einzuführen, um etwa Schwangeren eine gefahrlose Entbindung und Nachsorge oder Kranken ein Minimum an Therapie zu ermöglichen. Auch für den Berliner Gewerkschafter Stahl ist Beratung im Einzelfall nicht das Ende der Arbeit. „Wir müssen politisch weiterkommen, beim Aufenthaltsrecht, aber auch beim Recht der Kinder von irregulären Migranten auf den Schulbesuch.“

Die Gewerkschaften selbst scheinen inzwischen auch ein Stück weiter zu sein. Dort galten die „Illegalen“ lange als Lohndrücker und mancher Gewerkschafter erinnert sich mit Grausen, dass noch vor wenigen Jahren Kollegen der IG Bauen, Agrar, Umwelt Polizeirazzien auf Baustellen begleiteten. Natürlich wolle man die Zahl der Illegalen verringern, sagt der IG-BAU-Abteilungsleiter Internationales Frank Schmidt-Hullmann jetzt. „Aber wir helfen auch denen, die da sind, an ihren Lohn zu kommen.“ Demnächst dürfte es sogar eine klare Position der deutschen Gewerkschaften zum Thema „Kollegen oder Konkurrenten“ geben. Ein Papier des DGB-Vorstands geht demnächst zur Diskussion an die Einzelgewerkschaften.

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