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Ein Junge mit Mundschutz hält während einer Demonstration ein Plakat mit der Aufschrift «Black lives matter» in der Hand.

© Zheng Huansong/XinHua/dpa

Arbeit, Bildung, Gesundheit, Justiz: Wo schwarze Bürger in den USA benachteiligt sind

Schwarze Haushalte haben im Schnitt nur etwa ein Zehntel des Vermögens, die weiße haben. Welche Rolle spielt hier und in anderen Bereichen Diskriminierung?

Die strukturelle Benachteiligung bestimmter Bevölkerungsgruppen zeigt sich in vielen Aspekten des täglichen Lebens: Bildung, Arbeit, Gesundheitsversorgung, Lebenserwartung, dem Anteil an der Kriminalität und manchem mehr. Aber was sind die Ursachen einer Schlechterstellung? Spielen gezielte Diskriminierung oder offener Rassismus eine Rolle? Sind die Nachteile, die diese Gruppe erlebt, eher ein unbeabsichtigter Nebeneffekt ihrer ökonomischen und sozialen Lebensverhältnisse?

Das lässt sich kaum wissenschaftlich exakt erfassen und ist auch eine Interpretationsfrage, über die Bürger und Parteien je nach politischem Standpunkt streiten. Wie auch jetzt im Wahljahr 2020.

Die nackten Zahlen über die Lage schwarzer US-Bürger legen ein hartes Urteil nahe. Die Arbeitslosenrate von Afroamerikanern ist in normalen Zeiten konstant höher als unter weißen US-Bürgern, und sie ist in der Coronakrise weit stärker gestiegen als die der Weißen. Allein bis April – dies sind die jüngsten verfügbaren Daten nach Hautfarben – verdoppelte sie sich auf annähernd 17 Prozent.

Inzwischen dürfte sie noch deutlich höher liegen. Die Zahl der Amerikaner, die sich als arbeitslos gemeldet haben, hat sich im Mai fast verdoppelt.

Job weg, Krankenversicherung weg

Die meisten Menschen in den USA erhalten ihre Krankenversicherung über den Arbeitgeber. Fällt der Job weg, fehlt auch diese Absicherung, bis die oder der Betreffende eine neue Anstellung findet. Schwarze US-Bürger haben im Schnitt schlechter bezahlte Arbeitsverhältnisse; bei ihnen ist die Krankenversicherung öfter nicht Teil des Vertrags.

Ihr Anteil an den Unversicherten war schon vor der Krise weit größer als ihr Anteil an der Bevölkerung. Die Diskrepanz hat sich durch Corona nochmals verschärft. Dies schlägt sich auch in den Zahlen der Menschen nieder, die sich mit dem Coronavirus infizieren oder an ihm sterben. An die 70 Prozent der Corona-Toten in den USA sind schwarzer Hautfarbe. Dabei stellen Afroamerikaner nur zwölf Prozent der Bevölkerung der USA.

Vermögen und Bildung

Schwarze Haushalte haben im Schnitt nur etwa ein Zehntel des Vermögens oder der finanziellen Rücklagen, die weiße Haushalte im Schnitt haben. 72 Prozent der weißen US-Bürger wohnen in den eigenen vier Wänden, aber nur 41 Prozent der schwarzen US-Bürger.

Rund ein Drittel der Amerikaner verfügt über einen Hochschulabschluss (Bachelor, Master oder höher). Ganz oben in der Statistik stehen Einwohner asiatischer Abstammung mit 51 Prozent. Unter Afroamerikanern sind es 23 Prozent; das ist eine deutliche Steigerung über die vergangenen zwei Jahrzehnte. 1997 hatten nur 13 Prozent der Schwarzen einen solchen Abschluss.

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Die Statistik sagt freilich wenig über die Qualität der jeweiligen Bildung. Im Alltag besteht ein großer Unterschied zwischen den High Schools und den Colleges, je nachdem wo sie liegen und von welchen Bevölkerungsgruppen sie besucht werden. Schulen in armen Stadtvierteln, wo Afroamerikaner und andere Benachteiligte leben, sind in der Regel schlechter ausgestattet als Schulen in wohlhabenden Gegenden.

Und ein Abschluss an einem namenlosen College eröffnet nicht so gute Karrierechancen wie ein Diplom von einer teuren Eliteuniversität wie Harvard oder Princeton.

Kriminalität und Familienverhältnisse

Statistisch gesehen haben schwarze Männer eine fünf mal so hohe Wahrscheinlichkeit, im Laufe ihres Lebens im Gefängnis zu landen wie weiße Amerikaner. 1500 je 100.000 schwarze Einwohner sehen eine Zelle von innen.

Auch die Familienverhältnisse unterscheiden sich. Mehr als die Hälfte der schwarzen Kinder wächst nicht mit Vater und Mutter in einem Haushalt auf. Der Anteil der unehelichen und der Scheidungskinder ist unter Afroamerikanern höher. Ihre Viertel sind zudem in höherem Maß von Gewalt durch Jugendgangs, Drogenmissbrauch und illegalem Waffenbesitz betroffen.

Lebensperspektiven junger Schwarzer und Weißer

Für die Lebensperspektiven von jungen schwarzen und weißen US-Bürgern heißt das in der Summe: Ein junger Afroamerikaner hat ein 14 Mal höheres Risiko, bereits in seiner Jugend vom erhofften Bildungsweg abzukommen, Bekanntschaft mit Drogen, Waffen und Bandenkriminalität zu machen und früh zu einem Opfer zu werden.

Mit Blick auf die vielfältigen Einzelfaktoren und Wirkungsmechanismen entbrennt bei jeder Gewalteskalation zwischen Weißen und Schwarzen in den USA ein Streit, wer wie viel Schuld an diesen Verhältnissen trägt. Welchen Anteil hat die strukturelle Benachteiligung – und welchen ein Mangel an Eigenverantwortung für das eigene Schicksal? Barack Obama bestritt die Diskriminierung nicht und appellierte als Präsident dennoch an schwarze Väter, sie dürften ihre Freundinnen in der Schwangerschaft nicht verlassen und sollten mehr Verantwortung für ihre Kinder übernehmen.

Die Sicht der Konservativen

Die Einordnungen republikanischer Politiker klingen oft mehr nach Schuldzuweisung. Jeder sei seines Glückes Schmied. Im Wahljahr 2016 griffen Rudy Giuliani und andere auf dem Parteitag in Cleveland, Ohio, der Donald Trump als Präsidentschaftskandidaten nominierte, die Protestbewegung „Black Lives Matter“ an. Die sollten sich nicht so sehr auf weiße Polizisten konzentrieren, die schwarze Jugendliche erschießen – wahrscheinlich doch nur aus Notwehr. Mehr als 90 Prozent der Afroamerikaner, die durch Waffengewalt sterben, seien Opfer anderer Schwarzer. Das hebt Guiliani weiterhin in Interviews hervor.

Ein weißer Polizist warb auf dem Parteitag für „Blue Lives Matter“ – in Anspielung auf die blaue Farbe der Polizeiuniformen. Er verwies auf die vielen Polizisten, die im Dienst erschossen werden, oft von schwarzen Tätern.

Einwanderer aus Afrika haben mehr Erfolg als in den USA Geborene

Konservative verweisen auch gerne darauf, dass Einwanderern aus Afrika, die ebenfalls eine dunkle Hautfarbe haben, Aufstieg und Integration besser gelingen als den in Amerika geborenen Schwarzen. Soziologen erklären das so: Schwarze Kinder, die in den USA aufwachsen, lernen von der Umgebung, sich als Opfer zu sehen, das kaum Chancen habe. Schwarze Einwanderer tun das nicht; sie glauben an ihre Chance im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Der jeweilige Glaube werde zur „Self-fulfilling prophecy“.

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„Affirmative Action“, die gezielte Förderung Schwarzer, und der erste afroamerikanische Präsident sind nicht wirkungslos geblieben. Barack Obama war der wandelnde Beweis, dass Aufstieg bis an die Spitze möglich ist. Dank der Förderprogramme ist eine schwarze Mittelschicht entstanden. Afroamerikaner leiten heute bedeutende Unternehmen. Auch beim Waffengebrauch hat sich manches geändert. Die Zahl von Mord und Totschlag in den USA hat sich in den vergangenen 25 Jahren halbiert.

Martin Luther King, die Galionsfigur der Bewegung, die die bürgerliche Gleichberechtigung der Afroamerikaner durchsetzte, hatte vor seiner Ermordung gepredigt: Nach der rechtlichen sei die ökonomische Emanzipation die nächste große Hürde. Das gilt bis heute.

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