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Tunesien, Tunis, Avenue Bourghiba

© Rolf Brockschmidt

Arabischer Frühling: Tunesien blickt nach vorn

In Tunesien herrscht Aufbruchstimmung und Zuversicht. Doch ganz ist die Gefahr des Islamismus noch nicht gebannt.

Die Schützenpanzer und Militärfahrzeuge auf der Place de L’Indépendance zwischen der französischen Botschaft und der Kathedrale St. Paul de Vincent in Tunis sind verschwunden. Geblieben ist der Stacheldraht um den Platz, in dessen Mitte die Statue von Ibn Khaldoun thront, dem großen Aufklärer der arabischen Welt.

Vor eineinhalb Jahren sah es hier bedrohlicher aus. Dass die Zeiten noch nicht ganz normal sind, zeigen die Absperrungen vor dem Innenministerium an der Avenue Bourghiba, der Prachtmeile der tunesischen Hauptstadt. Die Menschen sitzen derweil in den Cafés, flanieren, kaufen ein. Die Stimmung wirkt heiter. Ein paar Zelte und Plakate erinnern an die Veranstaltung zu Ehren des im vergangenen Frühjahr ermordeten Politikers Chokri Belaid. Gleichzeitig ist die Stadt weiterhin mit zig Fahnen geschmückt. Denn erst kürzlich hatte man die neue Verfassung mit Gästen aus aller Welt gefeiert. Und das hat offenbar den Optimismus gestärkt. Jüngste Umfragen besagen, dass 75 Prozent der Tunesier zuversichtlich in die Zukunft schauen.

Sicherheitslage hat sich stabilisiert

Und wie ist es um die Sicherheit bestellt? Diese Frage beantwortet Tunesiens neue Tourismusministerin Amel Karboul diplomatisch. Das Land sei für Besucher sicher, allerdings habe man einen Nachbarn, der über zu viele Waffen verfüge – Libyen. „Ein Jagdgewehr zu besitzen ist etwas anderes als einen Lastwagen voller Kalaschnikows. Wir müssen unsere Gesetze ändern“, fordert Karboul. An der Grenze zu Libyen kommt es zwar immer noch zu bewaffneten Zwischenfällen. Auffällig ist, dass die Polizei öfter als vor noch vor zwei Jahren Straßenkontrollen durchführt. Eine anscheinend beruhigende Maßnahme. Das Leben spielt sich wieder mehr auf der Straße ab, die Bevölkerung hat sich den öffentlichen Raum zurückerobert.

„Das Volk hat jetzt Hoffnung gefasst, die Menschen wissen, dass sie geduldig sein müssen. Streit und Streik müssen aufhören. Nach der Revolution waren wir zu ungeduldig“, sagt Fremdenführer Ibrahim. „Wir müssen das Land jetzt gemeinsam aufbauen, hart arbeiten und für Sauberkeit sorgen. Die Menschen sind stolz auf die Verfassung und hoffen jetzt auf gute Wahlen Ende des Jahres.“ Bis dahin muss die Übergangsregierung aus Technokraten die Weichen neu stellen und ein Wahlgesetz ausarbeiten. „Wir brauchen auch eine höhere Wahlbeteiligung, sie wird entscheidend sein“, betont Mohammed Amar, bis vor kurzem noch Direktor des Nationalen Tourismusamtes. Seiner Ansicht nach ist die Opposition nicht mehr so zersplittert wie nach der Revolution und dem Sturz von Präsident Ben Ali Anfang 2011. Die Säulen der Zivilgesellschaft – Gewerkschaften, der Arbeitgeberverband, die Vereinigung der Anwälte, die Liga für Menschenrechte – hätten für die Verfassung gekämpft und zwischen den zerstrittenen Parteien moderiert.

Islamisten versuchen Einfluss auf Wahlvorbereitung zu nehmen

Dennoch gibt es auch mahnende Stimmen. „Der wahre Kampf entbrennt jetzt um das Wahlgesetz“, sagt die Künstlerin und Aktivistin Sadiqa. Alle schauten auf die Verfassung und freuten sich darüber, aber man müsse wachsam sein. „Die Islamisten haben versucht, die wahlvorbereitende ISIE (Instance Supérieure Indépendente des Élections) zu unterwandern, um Einfluss auf das Wahlgesetz zu bekommen. Wir haben mit unserem Netzwerk von etwa 1000 Jugendlichen Wind davon bekommen und mit einer Sitzblockade reagiert“, sagt sie. Sadiqa stand nach den politischen Morden auf einer Todesliste von Ben Alis Anhängern. „Wir waren aber zu viele. Die Armee hat uns gerettet. Ich kann nun ganz beruhigt schlafen.“

Doch nach Sadiqas Ansicht gibt es durchaus Probleme im Land. Die Bourgeoisie etwa habe rasch Geld gemacht, doch nun gelte es, das Gleichgewicht wieder herzustellen. Eine große Herausforderung für die Regierung, denn die Arbeitslosigkeit ist hoch. Und immer noch verbrennen sich Jugendliche aus Verzweiflung über ihre aussichtslose Zukunft.

Sadiqa will gegensteuern. Sie hat in Sidi Bou Sid, wo der Aufstand gegen Ben Ali einst begann, Frauen geholfen, sich für die Wahl einschreiben zu lassen und sich in einer Kooperative zu organisieren. Nun knüpfen sie nach Sadiqas Entwürfen Teppiche. Das gibt Selbstvertrauen. Sadiqa veröffentlichte zum Beispiel einen Aufruf mit dem Titel „Frauen, zeigt eure Muskeln“. Die Zivilgesellschaft im Land, so scheint es, ist stark. Eine gute Grundlage für das tunesische Experiment.

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