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Auch viele deutsche Bundesländer praktizieren Schule online. Doch meist nicht als gewohnter Unterricht durch die Lehrer, sondern in Form von Aufgaben, die die Schüler zuhause lösen sollen wie hier in Schleswig-Holstein.

© dpa

Anwesenheit wird auch online kontrolliert: So funktioniert Schule in Polen in der Pandemie

Unterricht vor dem Laptop statt im Klassenraum. In Polen ist das weniger eine Umstellung als gedacht. Und die Eltern sagen: „Wir müssen uns nicht groß kümmern.“

Für Zofia in Breslau beginnt der Unterricht jeden Tag um 7 Uhr 30, wie vor Corona. Nur jetzt vor dem Laptop am Schreibtisch daheim statt im Gymnasium. Die Anwesenheit wird auch online kontrolliert, erzählt die 14-Jährige.

Ihre 11-jährige Schwester Hanna besucht die achtklassige Grundschule und startet um 8 Uhr. Was ist anders als beim Präsenzunterricht? Es kommt aufs Fach an, meint Zofia. „Mathe läuft so wie vorher.“ Ihr fehlt die persönliche Begegnung mit den Freundinnen.

Fällt Sport jetzt aus? Nein, mischt sich Hanna ein. Die Lehrerin gebe Übungen vor oder spiele Musik, zu der sich jede(r) eine Tanzgymnastik ausdenken soll. Hanna kann dem „Homeschooling“ via Internet viel Positives abgewinnen: länger schlafen, weil sie die Zeit für den Schulweg spart; längere Pausen, weil die Lehrer Online-Stunden von 45 auf bis zu 30 Minuten kürzen dürfen; und es geht nicht so laut zu wie im Klassenzimmer.

Polen möchte so nah wie möglich am gewohnten Schulalltag festhalten, sagt Roksana Tolwinska, die zuständige Abteilungsleiterin im Bildungsministerium in Warschau. Das Abitur und andere Abschlussprüfungen möchte sie keinesfalls absagen; die Absolventen sollen Studium oder Berufsausbildung direkt anschließen.

Ihre Abteilung hat im März 2020, als sie noch die stellvertretende Leiterin war, begonnen, die Umstellung auf Online-Unterricht vorzubereiten: mit Sonderbudgets für die Anschaffung von Laptops und Tablets, die Schulen an Schüler aus sozial benachteiligten Familien ausleihen, Schulungen von Lehrern, dem Aufbau von Plattformen und der Ausarbeitung spezieller Lehrpläne und Materialien.

Roksana Tolwinska, Abteilungsleiterin für Online-Unterricht im polnischen Bildungsministerium, hier auf einem Wahlplakat der Regierungspartei PiS.
Roksana Tolwinska, Abteilungsleiterin für Online-Unterricht im polnischen Bildungsministerium, hier auf einem Wahlplakat der Regierungspartei PiS.

© PiS

Die Klassen eins bis drei der Grundschulen sind im Präsenzunterricht. „In dem Alter geht es nicht online.“ Und Schüler der Abschlussklassen in Gymnasien, Haupt- und Berufsschulen dürfen Nachhilfe anfordern, wenn sie das Gefühl haben, dass sie sich zuhause nicht ausreichend auf die Abschlussprüfung vorbereiten können.

„Für alle anderen gilt Unterricht via Internet“, erklärt Tolwinska. „Und klar, die Präsenz wird kontrolliert. Wir haben ja Schulpflicht.“

Berlins Probleme? Die kennt Polen auch

Funktioniert das? Hat Polen nicht die Probleme, die man in Berlin hört: langsames Internet, überlastete Lernplattformen, fehlende Technik bei Lehrern wie Schülern, Datenschutz, überlastete Eltern, die einspringen müssen, worunter ihre Arbeit leidet?

Tolwinska lacht. „Die Klagen kenne ich auch. Unsere Aufgabe ist es aber, Unterricht zu ermöglichen. Und nicht, Erklärungen zu finden, was nicht geht und warum.“

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In regelmäßigen Berichten wird aufgelistet, was klappt und wo es hapert. „Auch bei uns bleiben Schüler zurück oder schwänzen unbemerkt.“ Auf dem Land ist das Internet nicht so zuverlässig wie in Großstädten. In den Dörfern haben weniger Kinder eigene Computer und Eltern, die ihnen technisch helfen. „Oft ist es aber umgekehrt: Schüler kennen die Technik besser als die Lehrer.“

Eigenverantwortung für Schulen und Bezirke

Wichtig sei es, den Bezirken und einzelnen Schulen Eigenverantwortung zu überlassen, von der Einhaltung der Coronaauflagen im Präsenzunterricht für die unteren Klassen sowie die Lehrer, die Onlineunterricht von der Schule aus halten, über Anwesenheitskontrolle und technische Ausstattung bis zur Kooperation mit Privatunternehmen, sagt Tolwinska.

Lehrer haben die Wahl zwischen mehreren Kommunikationsdiensten. Zofias Gymnasialklasse in Breslau nutzt Teams, Hannas Grundschule Zoom. „Vieles, was wir vor einem Jahr für unrealistisch gehalten hätten, funktioniert heute“, fasst Tolwinska zusammen. Sie verweist auch auf die Unterrichtsangebote in staatlichen Fernsehprogrammen, die in Polen bereits im März 2020 begonnen hatten.

Unterricht im Fernsehen: Vermintes Gelände

Da freilich beginnt das politisch verminte Gelände. Die staatlichen Sender gelten in Polen nicht als neutral, sondern als Instrument der nationalpopulistischen Regierungspartei PiS. Soweit man in Polens Medien Kritik an Tolwinska findet, etwa aus Anlass ihrer Beförderung zur Abteilungsleiterin im Herbst, betrifft dies weniger die Praxis des Online-Unterrichts als den Vorwurf der Nähe zu PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski. Und den Argwohn, sie wolle die Lehrpläne an die PiS-Ideologie anpassen.

Zofias und Hannas Eltern zählen auf die Frage, wie Polens Schulen in der Coronakrise abschneiden, zwar einige Pannen auf. Aber im Vergleich mit Frankreich, das die Abiturprüfungen 2020 abgesagt hat, und Deutschland, wo vielerorts kein geregelter Unterricht angeboten wird oder Vergleichsarbeiten ausfallen, finden sie den Alltag in Polen gar nicht schlecht. „Unsere Mädchen bekommen Schulunterricht. Wir müssen uns nicht groß kümmern und können unserer Arbeit nachgehen.“

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