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Bei einer Kundgebung vor dem Kanzleramt wurde kürzlich mehr Unterstützung für die Ukraine gefordert.

© Kay Nietfeld/dpa

Antwort auf offenen Brief von Prominenten: Ukrainer in Deutschland „erschüttert und entsetzt“ über Schwarzer-Brief

Alice Schwarzer und andere Prominente verharmlosten Russlands Kriegsverbrechen in der Ukraine, kritisieren Ukrainer in Deutschland. Ihre Antwort im Wortlaut.

In einem offenen Brief haben Alice Schwarzer und weitere Prominente an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) appelliert, Deutschland solle keine schweren Waffen an die Ukraine liefern, um nicht Kriegspartei zu werden. Von der Ukraine und Russland fordern die Unterzeichner einen „Kompromiss, den beide Seiten akzeptieren können“. Der Brief hatte massive Kritik ausgelöst. Nun melden sich in Deutschland lebende Ukrainerinnen und Ukrainer zu Wort, die sich kürzlich in Berlin zur „Allianz ukrainischer Organisationen“ zusammengeschlossen haben. Der Tagesspiegel dokumentiert ihre Antwort an Schwarzer und die anderen Unterzeichner des offenen Briefes im Wortlaut:

Sehr geehrte Frau Schwarzer, sehr geehrte Unterzeichner*innen, mit unfassbarer Verachtung der Menschlichkeit führt Russland einen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine. Während Sie diese Zeilen lesen, töten russische Soldaten massenhaft Ukrainer*innen. Leichen von - teils gefesselten - Zivilisten werden in Massengräbern „entsorgt“ oder einfach auf der Straße angezündet. Hunderttausende Kinder und Erwachsene werden nach Russland verschleppt. Frauen, Kinder und Männer werden systematisch vergewaltigt. Schutzsuchende Zivilisten werden in den Unterschlüpfen mit russischen Granaten beworfen.

Wir, Ukrainer*innen und Europäer*innen, sind über Ihren Brief an Herrn Bundeskanzler Olaf Scholz zutiefst erschüttert und entsetzt. Nicht nur angesichts der dokumentierten Kriegsverbrechen, sondern auch in Bezug auf das erklärte Ziel des Krieges - die Vernichtung alles Ukrainischen - dokumentiert der Brief die gleiche Verachtung.

Die Aufforderung zum Kompromiss kommt einer Aberkennung des Existenzrechts der Ukraine als unabhängiges, selbstbestimmtes Land gleich. Sie reduzieren die Ukraine auf eine Örtlichkeit, auf ein Schlachtfeld. Die Vernichtung von Kultur, Sprache, Souveränität sorgt Sie nicht, Ihre ganze Sorge gilt der Eskalation. Dabei blenden Sie vollkommen aus, dass die Ukraine durch Russland unter brutalstem Bruch des Völkerrechts angegriffen wurde. Die von der russischen Armee begangenen Gräuel werden in Ihrem Brief an keiner Stelle benannt. Somit verharmlosen Sie den fortschreitenden Genozid in der Ukraine.

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„Zivilisten kämpften nicht – und wurden trotzdem massakriert“

In Ihrem Brief äußern Sie indirekt die Meinung, dass die Ukrainer*innen den Kampf um eigenes Land, um Freiheit, das Recht auf Selbstbestimmung und die eigene Existenz aufgeben sollen, um das Leid der Menschen zu beenden. Mit Ihren Statements nivellieren Sie all die Menschen, die mit Ihrem Leben die Freiheit und Sicherheit der Ukraine und - ja - auch in Europa verteidigen. Wir möchten Sie besonders darauf aufmerksam machen, dass die Zivilisten in Butscha, Irpin, Borodjanka, Worsel, Mariupol nicht gekämpft haben – und trotzdem von russischen Soldaten massakriert wurden.

In Ihrem Brief rufen Sie zum Kompromiss und Dialog mit dem Kriegsverbrecher Putin auf. Vor acht Jahren okkupierte Russland die ukrainische Halbinsel Krym. Seit über acht Jahren führt Russland Krieg im Donbas, im östlichen Teil der Ukraine. Seit acht Jahren führt die Ukraine den Dialog mit Russland. Deutschland war der führende Partner in den Friedensgesprächen. Können Sie bitte benennen, welche Indikatoren – konkrete Handlungen seitens Russlands - darauf hinweisen, dass das Land bereit zu einem Dialog ist?

[Alle aktuellen Nachrichten zum russischen Angriff auf die Ukraine bekommen Sie mit der Tagesspiegel-App live auf ihr Handy. Hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen.]

In den letzten acht Jahren ist Russland um ein Vielfaches repressiver geworden: Verfolgung der eigenen Bevölkerung, Vergiftung der Oppositionellen, Hackerangriffe an den Bundestag, Listung deutscher NGOs – Brücke zur russischer Zivilgesellschaft – als ausländischer Agenten. Mit dem Auftragsmord im Tiergarten 2019 wurde auch die Souveränität Deutschlands verletzt. Was waren also die konkreten Beispiele, die uns hoffen lassen, dass uns ein verlässlicher Partner gegenüber steht?

Wir stehen fest hinter dem Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen, dass jedes Land das Recht auf Selbstverteidigung hat. Wir sind fest davon überzeugt, dass es eine prinzipielle politische und moralische Pflicht gibt, das vorsätzliche Töten der Menschen, das brutale Morden der Zivilisten zu verhindern und unschuldige Menschen mit allen Mitteln zu retten.

Wir erachten es als wichtig, dass in der Öffentlichkeit stehende und meinungsbildende Menschen - wie Sie - sich über das volle Ausmaß des Krieges und der begonnenen Zerstörung Europas im Klaren sind. „Nicht nur mit Blick auf unsere heutige (Wirtschafts)Macht,“ sondern gerade in Anbetracht der historischen Verantwortung Deutschlands – „und in der Hoffnung auf eine gemeinsame friedliche Zukunft.“ Hochachtungsvoll, Allianz Ukrainischer Organisationen

CineMova. Ukrainian Film Community Berlin e.V. Initiative für Wissensaustausch Empowerment und Kultur (IWEK) e.V. kul‘tura e.V. Plast “Ukrainischer Pfadfinderbund in Berlin” e.V. Ukraine-Hilfe Berlin e.V. Ukrainische Orthodoxe Kirche e.V. Ukrainische Schule Berlin e.V. Ukrainisches Radio in Deutschland “Trembeats.fm” Initiative Ukrainian Virtual House UkrDim Vitsche Berlin e.V.

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