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Der Philosoph Alain Finkielkraut in der Bibliothek der "Academie française".

© Eric Feferberg/AFP

Antisemitismus: Philosoph Finkielkraut bezeichnet Gelbwesten als Sekte

Anfangs hat der französische Philosoph Alain Finkielkraut die "Gelbwesten" unterstützt. Doch seit dem antisemitischen Verbalangriff sieht er das anders.

Alain Finkielkraut gehörte im vergangenen Jahr sehr früh zu denen, die den Protest der französischen „Gelbwesten“ gutgeheißen haben. Aber jetzt sagte der Philosoph über die Bewegung der „gilets jaunes“, die inzwischen immer weniger Zulauf hat: „Daraus ist eine Sekte geworden, mit dem Autismus einer Sekte, die sich weigert, sich außerhalb der Sekte zu informieren.“

Finkielkrauts Sinneswandel hat einen handfesten Grund. Der Sohn eines KZ-Überlebenden musste am vergangenen Samstag in Paris bei einer Demonstration der „Gelbwesten“ antisemitische Beschimpfungen über sich ergehen lassen. Die Pöbeleien haben ihn nicht nur persönlich getroffen, sondern ganz Frankreich. Um ein Zeichen gegen den zunehmenden Antisemitismus in Frankreich zu setzen, hat ein breites parteiübergreifendes Bündnis an diesem Dienstagabend zu Demonstrationen in Paris und anderen Städten aufgerufen. „Ça suffit!“ („Es reicht!“) lautet das Motto der Demonstrationen.

Antisemitismus ist in Frankreich kein neues Phänomen. Weltweites Entsetzen löste schon im Jahr 1990 die Schändung eines jüdischen Friedhofs im südfranzösischen Carprentas aus. Auch damals reagierten 100.000 Menschen in Paris mit einem Protestmarsch vom Place de la République zur Place de la Bastille, auch der damalige Staatschef François Mitterrand war unter den Demonstranten.

Nach dem verbalen Angriff vom vergangenen Wochenende vertrat Finkielkraut die Ansicht, dass der Antisemitismus in Frankreich inzwischen ein neues Gesicht habe. Der „Gelbwesten“-Vertreter, der den jüdischen Intellektuellen beschimpfte, stammt offenbar aus der salafistischen Szene und ist den französischen Sicherheitsbehörden bekannt. Bei den Männern, die ihn am vergangenen Samstag bedrohten, habe eine „Pogromstimmung“ geherrscht, erzählte Finkielkraut hinterher.

Umstrittene Äußerungen während der Vorstadt-Unruhen

Der 69-Jährige gehört zu den französischen Philosophen, die sich regelmäßig in die Tagespolitik einmischen. Jeden Samstagmorgen lädt Finkielkraut im Radiosender „France Culture“ Gäste ein und bespricht mit ihnen beispielsweise die Folgen des Arabischen Frühlings oder den Kult um den Schriftsteller Michel Houellebecq. Vielen Linken in Frankreich gilt Finkielkraut allerdings als rotes Tuch. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass er sich mit Frankreichs Einwandererkindern immer wieder kritisch auseinandergesetzt hat. Als es im Jahr 2005 zu wochenlangen Krawallen von Jugendlichen mit nordafrikanischen Wurzeln in den Vorstädten kam, sprach er von einer „ethnisch-religiösen Revolte“.

Auch dass Finkielkraut vor knapp fünf Jahren in die renommierte Gelehrtengesellschaft der Académie française gewählt wurde, irritierte etliche Franzosen. Kurz zuvor hatte Finkielkraut ein Buch mit dem Titel „Die unglückliche Identität“ veröffentlicht, in dem er angesichts der Einwanderung von einem „nationalen Zerfall“ Frankreichs sprach.

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