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Wie sicher sind Juden in Deutschland? Wird genug auf Antisemitismus geachtet? Nein, finden die Rabbiner Abraham Cooper und Yitzchok Adlerstein.

© AFP/Tobias Schwarz

Antisemitismus in Deutschland: Wie kann ein Anschlag auf eine Synagoge nicht judenfeindlich sein?

Eine Synagoge wird in Brand gesetzt, und das Gericht sagt: aus Protest gegen Israels Politik. Das ist ein Skandalurteil, dem viel zu wenig widersprochen wurde. Eine Position.

Ein Brandanschlag auf eine Wuppertaler Synagoge sei kein antisemitischer Akt, entschied das Oberlandesgericht Düsseldorf zu Beginn dieses Jahres. In einem rechtskräftigen Urteil befand das Gericht, dass der Angriff auf das jüdische Gebetshaus während des Gaza-Krieges 2014 politisch motiviert gewesen und als Kritik an Israel zu werten sei. Es könne nicht als Antisemitismus bezeichnet werden. Bis heute wurde diese skandalöse Entscheidung nur von wenigen prominenten Deutschen kritisiert. Wenn es unbeanstandet bleibt, gefährdet es die demokratischen Werte Deutschlands.

Am 10. November 1938 wurde die 16-jährige Gertrude Rothschild von ihrem Rabbiner gebeten, aus den Ruinen ihrer Synagoge in Konstanz die verbrannten Reste der Thora-Rollen zu retten und zu begraben. Das einzige, was nach dieser berüchtigten Nacht der Gewalt noch geblieben war. Die Geschichte grub sich Gertrude Rothschild, die später das Gurs-Konzentrationslager in Vichy-Frankreich überleben sollte, tief ins Gedächtnis ein. Gertrude wusste, warum Menschen Synagogen anzündeten. Jahrzehnte später gab sie die Erinnerungen an die Reichspogromnacht an ihre Kinder und Enkelkinder weiter, einer von ihnen ein Co-Autor dieser Zeilen. Wir alle wussten von einem frühen Alter an, dass jeder Angriff auf eine Synagoge den Kern unseres Jüdisch-Seins besudelt und bedroht.

Im Nachkriegsdeutschland versteht man das und hat entsprechend gehandelt, wenn der Antisemitismus seine hässliche Fratze zeigte: nicht jedoch das Wuppertaler Gericht. Wir Enkel bringen nicht den Mut auf, der inzwischen mehr als neunzigjährigen Gertrude zu erzählen, dass diese Richter in ihren schwarzen Roben und das Oberlandgericht, das später das Urteil bestätigte, entschieden haben, dass drei Muslime lediglich ihren politischen Protest gegen Israels Verhalten im Gaza-Krieg ausdrückten, als sie eine deutsche Synagoge anzündeten, dass sie nicht wegen Antisemitismus verurteilt werden konnten.

War die Reichspogromnacht nur ein Protest gegen den schlechten Service jüdischer Ladenbesitzer?

Falls die deutsche Geschichte nicht genug Anhaltspunkte gibt, sollte wenigstens die Arbeitsdefinition für Antisemitismus, die von 31 europäischen Staaten angenommen wurde, Anwendung finden und der deutschen Rechtsprechung bei der Beseitigung dieser Farce helfen. Aber die Schande und der verursachte Schmerz sind nicht beseitigt. Der Harvard-Professor Alan Dershowitz drückt es folgendermaßen aus: "Die Idee, ein Angriff auf eine Synagoge sei als anti-israelischer politischer Protest zu rechtfertigen und nicht als antijüdische Hasstat einzuordnen, ist so absurd wie die Behauptung, die Reichspogromnacht sei ein Protest gegen den schlechten Service jüdischer Ladenbesitzer.“ Oder, so könnte man anfügen, eine angesteckte Moschee sei ein Zeichen des Protests gegen ISIS. Oder eine Entweihung des Kölner Doms sei eine Folge lang schwelender Unzufriedenheit wegen der Kreuzzüge im Mittelalter.

Die Entscheidung des deutschen Gerichts wird den Antisemitismus weiter anheizen. Juden werden in vielen europäischen Hauptstädten ausdrücklich gewarnt, nicht die Kippah oder andere jüdische Symbole zu tragen. Holocaust-Überlebende in Malmö, Schweden - wo sie sich paradoxerweise nach der Flucht vor den Nazis niedergelassen hatten - fürchten sich, am Schabbat zur Synagoge zu gehen, weil das anti-israelische Establishment sie oder ihre Rabbiner nicht vor antisemitischen Bedrohungen schützt. Bewaffnete Wachleute sind vor den Synagogen auf dem ganzen Kontinent stationiert - und trotzdem fühlen sich Juden laut dem Präsidenten der Europäischen Rabbinerkonferenz nicht sicher in ihren eigenen Gebetshäusern.

Die deutsche Gerichtsentscheidung passt zu dem Muster europäischer Beamter und Medien, die es für politisch korrekter halten, die Angriffe auf jüdische Bürger eher dem Hooliganismus, der Wut auf Israel oder der Not der arbeitslosen Jugend als dem Antisemitismus zuzuschreiben. In den Vereinigten Staaten haben antisemitische Vorfälle deutlich zugenommen. Generell sind Hass-Verbrechen in der aufgeladenen Atmosphäre seit dem letzten Präsidentschaftswahlkampf, der die schlimmsten und extremsten Stimmen auf der Rechten wie der Linken befeuert hat, angestiegen Wir mussten mit ansehen, wie schwarze Gläubige in einer  Kirche niedergeschossen und Brandstiftungen gegen Moscheen verübt wurden. In erster Linie sind jedoch Juden das Ziel von Hassverbrechen, die auf Religionszugehörigkeit zielen.

Auch das nicht geglückte NPD-Verbot ist Grund zur Sorge

Das Wuppertaler Gericht hat ein neues Werkzeug für diejenigen geschaffen, die den ältesten Hass der Welt verleugnen oder jedenfalls untätig bleiben wollen: Ihn einfach als politischen Protest abtun. So gehen die Schuldigen straffrei aus, der Druck auf die Strafverfolgungsbehörden wird beseitigt und das Gewissen der Teilnahmslosen bleibt ungerührt. Das stellt für Deutschland ein besonderes Problem dar. „Die Freiheit", sagte Rousseau bekanntermaßen, "ist eine kräftige Speise, aber schwer zu verdauen.“

Es gibt heute noch weitere Gründe zur Sorge. Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass die Nationaldemokratische Partei (NPD) trotz ihrer verfassungsfeindlichen Positionen nicht verboten werden könne, weil sie keine Bedrohung für die Demokratie sei. Dasselbe sagte man über die Nazipartei und Hitler im Jahre 1933. In der Mitte des 19. Jahrhunderts hielt der große Frankfurter Rabbiner Samson Raphael Hirsch die Unterhöhlung des Gesetzes für die größere Bedrohung für die Zivilisation als  dessen Verletzung: „Wenn die Welt vor G-tt korrupt ist, können alle menschlichen Institutionen und Gesetze der Gesellschaft den Niedergang der Gesellschaft als Ganzes nicht verhindern … Durch offenen Raub wird sie niemals fallen. Sie weiß sich dagegen durch Gefängnis und Strafe zu schützen … Aber durch arglistiges Handeln, durch durchtrieben raffinierte Unehrlichkeit, die mit dem Buchstaben des Gesetzes im Einklang steht, wird sie untergehen…“

Nicht alle deutschen Juristen sehen über Antisemitismus hinweg. Ein Gericht in Essen hat im vergangenen Jahr korrekt festgestellt, dass es eine antisemitische Straftat gewesen sei, bei einer Demonstration "Tod und Hass den Zionisten" zu singen. 

- Rabbiner Abraham Cooper ist Associate Dean und Rabbiner Yitzchok Adlerstein ist Direktor für interreligiöse Angelegenheiten beim Simon Wiesenthal Center. Der Text wurde übersetzt von Michael Spaney, Direktor des Mideast Freedom Forum Berlin

Von Abraham Cooper, Yitzchok Adlerstein

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