zum Hauptinhalt
Auch in Berlin gab es am Wochenende pro-palästinensische Demonstrationen.

© Imago/Stefan Zeitz

Antisemitismus in Deutschland: Alle müssen das „Nie Wieder“ akzeptieren

Auch Zuwanderer geht an, wie die Geschichte Deutschland prägt – zumindest wenn sie als Staatsbürger hier leben wollen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Fatina Keilani

Ein Thema ist bei den öffentlichen Auftritten der grünen Spitzenkandidatin Annalena Baerbock bisher auffallend kurz gekommen: die Migrationspolitik. Sollte Baerbock Bundeskanzlerin werden, kann sich Deutschland auf eine grundlegend andere Migrationspolitik einstellen. Eine Erneuerung auf diesem Gebiet ist aber – wie auf so vielen anderen Gebieten – ohnehin überfällig, egal wer die Wahl gewinnt.

Die Frage des Umgangs mit der Migration und der Steuerung von Zuwanderung stellt sich schon seit Jahren dringend, und fast möchte man sagen, seit dem Wochenende stelle sie sich noch dringender. Am Wochenende waren bundesweit pro-palästinensische Demonstranten zu sehen, die israel- und judenfeindliche Parolen brüllten und Gewalt gegenüber der Polizei anwandten.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

In den Augen der allermeisten Zuschauer war klar, dass bei der Integration dieser Menschen mit arabischen Wurzeln einiges schiefgegangen sein muss.

Das ideelle Fundament des Staates, in dem wir leben, ist das „Nie wieder“, das die höchsten Repräsentanten des Staates immer wieder betonen – nie wieder Faschismus, nie wieder Antisemitismus, nie wieder totalitäre Willkür. Das Existenzrecht Israels ist Teil der deutschen Staatsräson.

Nun ist es von Menschen, die lange nach dem Zweiten Weltkrieg aus anderen kulturellen und geschichtlichen Zusammenhängen nach Deutschland gekommen sind, vielleicht nicht zu erwarten, dass sie sich in gleicher Weise mit der Geschichte des Dritten Reiches auseinandersetzen wie diejenigen, deren Eltern und Großeltern in dieser Zeit hier gelebt haben und deren Identität davon maßgeblich geprägt wurde. Einerseits.

Die Identität Deutschlands in die eigene aufnehmen

Andererseits kann sehr wohl erwartet werden, dass Personen, die hier als Staatsbürger leben wollen, die Identität dieses Landes auch in ihre eigene Identität aufnehmen und daher auch seine geschichtliche Prägung durch die Abgrenzung von den Schrecken der NS-Zeit – das „Nie Wieder“ – akzeptieren.

Immerhin ist es dieser Grundbestimmung der Bundesrepublik zu verdanken, dass dieser Staat ein vergleichsweise liberales Asyl- und Ausländerrecht hat, das vielen der am Samstag auf den Straßen randalierenden Personen ihr Hiersein erst ermöglicht. Es ist vielleicht schwierig, wenn die Eltern oder ein Elternteil aus Palästina gekommen ist, wenn ihnen vielleicht Eigentum weggenommen wurde, wenn gar Verwandte verletzt oder getötet wurden, die Wut zu beherrschen.

Aber es ist nicht zu viel verlangt, zu begreifen, welches Fundament die neu erworbene Heimat Deutschland hat, und dass, wer es angreift, Gefahr läuft, das zu zerstören, weshalb es sich lohnt, Teil dieser Gesellschaft zu sein.

Der Antisemitismus ist in Deutschland freilich ein massives Problem in der gesamten Gesellschaft, nicht nur bei Migranten.

Es wird interessant sein zu beobachten, ob eine schon mit dem Wort „Deutschland“ im Titel ihres Wahlprogramms hadernde Partei wie die Grünen in der Lage sein wird, so eine geradezu „patriotische“ Kommunikationsaufgabe zu meistern, sollte sie nach den Wahlen diese schwierige Heimat nach außen, aber auch und vielleicht ganz besonders nach innen zu repräsentieren haben. Die Frage, ob Deutschland ein Einwanderungsland ist, stellt sich längst nicht mehr.

Zur Startseite