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Lehrer stellen im Unterricht eingefahrene Feindbilder bei den Schülern fest.

© picture alliance / Daniel Karman

Antisemitismus an Schulen: Der Kampf der Lehrer gegen krude Weltbilder

Antisemitismus nimmt zu – auch unter muslimischen Schülern. Pädagogen suchen nach Antworten. Und fühlen sich oft alleingelassen.

Was tun, wenn muslimische Schüler den Holocaust relativieren mit Hinweis auf den Nahostkonflikt? Wenn sie antisemitische Sprüche begründen mit den „Bankgeschäften“ der Juden und sich dabei neuerdings auch noch auf Palästinenserpräsident Mahmud Abbas berufen können?

Lehrer stehen vor immensen Herausforderungen, wenn im Geschichtsunterricht die Zeit des Nationalsozialismus an der Reihe ist und somit auch die Judenvernichtung. Denn je nach Zusammensetzung ihrer Schülerschaft müssen sie darauf gefasst sein, dass sich im Unterricht auch der islamisch oder besser: islamistisch geprägte Antisemitismus Bahn bricht, der im Zuge der Migration nicht nur aus dem Libanon, sondern zunehmend auch aus Syrien, aus Nordafrika oder dem Irak nach Deutschland importiert wird.

Da mehr als jeder vierte Muslim erst in den vergangenen sechs Jahren nach Deutschland eingewandert ist, ist klar, dass der in den Herkunftsländern – auch von staatlichen Medien sowie Geistlichen – verbreitete Antisemitismus eine bedeutende Rolle in deutschen Klassenzimmern spielt; zumal dann, wenn er sich dort vermischt mit einer zunehmenden religiösen Intoleranz auch von Seiten einer rein zahlenmäßig stark vertretenen türkischstämmigen Schülerschaft, die unter dem Einfluss Erdogans steht.

„Die antisemitischen Tendenzen gehören zu den aktuell wichtigsten Herausforderungen im Geschichtsunterricht – gerade an Schulen, in denen mehrheitlich Kinder mit muslimischen Migrationshintergrund lernen“, stellt denn auch der Berliner Geschichtslehrer und Schulbuchautor Robert Rauh fest. Schulleitungen und Lehrer seien häufig überfordert, „weil sie mit einem Problem konfrontiert werden, das in ihrer Ausbildung keine Rolle spielte und das sie allein nicht lösen können“.

"Ich trug den gelben Stern" als Lektüre

Tatsächlich findet das Problem des muslimischen Antisemitismus bisher keinen Eingang in die Lehramtscurricula der Universitäten. Die Pädagogen waren und sind daher gezwungen, eigene Konzepte für diese Schülerklientel zu entwickeln, deren Anteil an der Gesamtschülerschaft jährlich steigt. Aber was bedeutet das? Einer von den Lehrern, die sich im Laufe von Jahrzehnten auf diese Aufgabe eingestellt haben, ist Reiner Haag.

„Wir besuchen mit unseren Schülern seit 30 Jahren Gedenkstätten wie Sachsenhausen oder das Haus der Wannseekonferenz“, berichtet Haag, der an einer Sekundarschule in Berlin-Tempelhof Geschichte, Ethik und Politik unterrichtet. Früher hat er diese Besuche mit überwiegend deutschstämmigen Schülern gemacht, später kamen viele aus der Türkei, aus Ex-Jugoslawien, inzwischen mehr aus arabischen Ländern, aber die Gedenkstättenfahrten blieben fester Bestandteil des Curriculums.

Zuletzt las Haag mit seinem Jahrgang die Autobiografie „Ich trug den gelben Stern“ von Inge Deutschkron, und in der anschließenden Klassenarbeit ließ er die Frage beantworten, warum Islamfeindlichkeit und Antisemitismus „die gleiche Dummheit“ sind. „Natürlich haben wir es auch mit einem arabisch geprägten Antisemitismus zu tun“, stellt Haag klar.

Die Antworten auf die zunehmende Intoleranz, die der Pädagoge beobachtet, sind vielstufig. Im Grunde beginnt seine Schule in den siebten Klassen damit, dass die Schüler zu „Guardian Angels“ ausgebildet werden – zu Schülern, die in der gesamten Schule bei jeder Form von Respektlosigkeit und Gewalt einschreiten.

Das große Ziel: Ein positives Schulklima

Das große Ziel: „Ein positives Schulklima und schließlich Schüler, die als freundliche und respektvolle Persönlichkeiten ins Leben gehen.“ Dazu gehört für Haag und seine Kollegen an der Johanna-Eck-Sekundarschule auch, dass „keine Form von Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit und Rassismus geduldet wird“.

Ein weiterer Baustein besteht darin, dass die Gemeinsamkeiten der drei Weltreligionen herausgearbeitet werden. Haags Botschaft: Es gibt keine Weltreligion, die zu Gewalt aufruft. All das findet statt, lange bevor im Unterricht der Nationalsozialismus drankommt und bevor Haag dann mit seinen Schülern zu den Gedenkstätten fährt.

Die Art und Weise, wie Haag den Deutsch-, Ethik- und Geschichtsunterricht zusammendenkt, ist auch für den Leiter des Berlin-Brandenburgischen Geschichtslehrerverbands, Peter Stolz, der richtige Weg – zumal in Bundesländern, in denen für den Geschichtsunterricht nur ein oder zwei Stunden pro Woche zur Verfügung stehen: „Man kann den Holocaust in allen Fächern thematisieren“, steht für Stolz fest.

Ihm fehlen „mutige Schulleitungen“, die genau dies umsetzen, damit sich „nicht nur der Geschichtslehrer abstrampeln muss“. Ein Schlüssel zur sogenannten Holocaust-Education ist für ihn, dass die Menschenrechte in den Mittelpunkt gestellt werden. Daraus könne alles Andere entwickelt werden.

Das Ende der pädagogischen Einflussnahme

Wie erreichbar aber sind Schüler überhaupt noch, wenn sie bereits komplett von ihren Parallelgesellschaften aufgesogen wurden? „Eine pädagogische Einflussnahme ist dann kaum noch möglich“, diagnostiziert Detlef Pawollek vom Verband der GEW-Schulleiter.

Er leitet die Röntgen-Schule in Berlin-Neukölln und beobachtet, dass mitunter „jede Art von Information umsonst ist“. Auch gut gemeinte Projekte zur Toleranz könnten nichts mehr ausrichten, wenn das Weltbild so festgelegt sei, wie er es bei vielen seiner Schülern beobachtet.

Allerdings gibt es auch innerhalb Neuköllns Abstufungen: „Wir hatten vergangene Woche eine Schulklasse aus Neukölln, die großartig mitgearbeitet hat“, berichtet Elke Gryglewski, Leiterin der Bildungsabteilung im Haus der Wannsee-Konferenz. Es gebe auch sehr gute Kooperationen mit Geflüchteten. Wichtig sei, dass die Schüler gut vorbereitet würden und dass es nicht bei „Ein-Tages-Veranstaltungen“ bleibe.

Allerdings weiß auch Gryglewski: „Wer ein geschlossen rechtes oder antisemitisches Weltbild hat, für den ist die Gedenkstätte nicht der richtige Ort“ – das gelte für Schüler aus arabischen Parallelgesellschaften ebenso wie für Schüler, die zu Hause nur rechtes Gedankengut hörten. In jedem Fall rät Gryglewski davon ab, KZ-Besuche zu verordnen, wie Berlins Staatssekretärin Sawsan Chebli vorgeschlagen hatte. Besser sei, es bei einer Empfehlung an die Lehrer zu belassen.

Weg von der "Moralkeule"

„Wir werden Antisemitismus in den Schulen weder mit Pflichtbesuchen von KZ-Gedenkstätten noch mit der Moralkeule bekämpfen können“, meint auch Robert Rauh, der wegen seines Geschichtsunterrichts im Jahr 2013 „zum Lehrer des Jahres“ gekürt worden war.

Er fordert aber, dass Angebote für Weiterbildung und für kostenlose Unterrichtsmaterialien ausgeweitet werden, damit Lehrkräfte auf antisemitische Tendenzen im Unterricht „angemessen und professionell reagieren können“. Außerdem sollten mehr Sozialpädagogen eingestellt werden, die die Lehrer in der interkulturellen Erziehung – auch im Unterricht – unterstützen.

Rauh, der auch selbst Lehrer ausbildet, bekommt mit, dass Referendare öfter als früher von antisemitischen Äußerungen im Geschichts- und Politikunterricht berichten – „und von ihrer Hilflosigkeit“.

Problematisch seien in diesem Kontext auch die Verschwörungstheorien, die von den digitalen Medien ungefiltert verbreitet würden. Rauh hat deshalb einen Lehrer ins Fachseminar eingeladen, der Unterrichtseinheiten gegen Verschwörungstheorien zur Diskussion gestellt hat: „Er schlug vor, die Schüler selbständig eine Verschwörungstheorie ihrer Wahl bearbeiten zu lassen – nach einem Kriterienkatalog, der vor allem die Seriosität von Quellen in den Fokus nimmt. Ganz nebenbei wird so auch ein Beitrag zur Medienbildung geleistet“, lobt Rauh den Ansatz.

Den Nahostkonflikt nicht ausblenden

Michael Kiefer, Islamwissenschaftler an der Universität Osnabrück, hält es für vorrangig, die Lehrpläne der deutschen Schulen zu erweitern, indem Antisemitismus nicht nicht mehr nur im Kontext des Mittelalters und des Nationalsozialismus thematisiert werde. Es sei nicht nachvollziehbar, dass der Nahostkonflikt und die Berichterstattung darüber in diesem Zusammenhang „kaum berücksichtigt werden“, schreibt er in einer aktuellen Analyse über „Antisemitismus und Migration“. Dies hatte auch die Unabhängige Expertenkommission Antisemitismus des Bundestags bemängelt.

Allerdings sind Bundesländer wie Berlin an diesem Punkt schon weiter: Der Nahostkonflikt spielt im hiesigen Rahmenplan neuerdings eine wichtige Rolle und wird auch in neuen Lehrbüchern berücksichtigt – direkt im Anschluss an das Kapitel über den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust.

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